K. Rüdiger Durth
"Ich trete nicht zurück"
Berlin: Anklage gegen Finanzsenator Sarrazin
wegen Untreue
Thilo Sarrazin (59), sozialdemokratischer
Finanzsenator des Landes Berlin, denkt nicht an Rücktritt -
obwohl die Staatsanwaltschaft Anklage wegen des Verdachts der
Untreue erhoben hat. Denn Sarrazin ist von seiner Unschuld
überzeugt. Und die rot-rote Koalition hält zu ihm.
Das kann sich freilich ändern, wenn das
Landgericht Berlin die Klage zulässt. Spätestens dann
wird Sarrazin politisch nicht mehr zu halten sein. Intern wird auch
schon nach einem Nachfolger Ausschau gehalten. Gute Chancen werden
seinem Staatssekretär Hubert Schulte (53)
eingeräumt.
Was ist passiert, dass erstmals in der
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein Finanzminister wegen
des Verdachts der Untreue vor Gericht soll? Dafür gibt es nur
ein Stichwort, nämlich Tempodrom. Und wegen dieses Stichwortes
ist im April bereits der Senator für Stadtentwicklung, Peter
Strieder (56), zurückgetreten. Sein Amt als Landesvorsitzender
der SPD hat er ebenfalls niedergelegt. Inzwischen ist er leitender
Angestellter einer großen PR-Agentur. Auch gegen Strieder hat
die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben.
Schuld an allem ist, so die Berliner SPD, die
oppositionelle CDU. Diese erstattete im vergangenen Jahr gegen
Strieder Anzeige. In diesem Zusammenhang wurden nun die
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen auch auf Sarrazin ausgedehnt.
Wegen vermutlich geringer Schuld hat die Staatsanwaltschaft ihre
Ermittlungen gegen den Staatssekretär im Wirtschaftsressort,
Volkmar Strauch (SPD), eingestellt.
Zurück zum Stichwort Tempodrom, das
zugleich eine "Kreuzberger Geschichte" ist: Mit ihrem Erbe
erfüllt sich die Krankenschwester Irene Moessinger einen Traum
und errichtet 1980 am Potsdamer Platz in einem Zirkuszelt eine
alternative Kultureinrichtung. Vier Jahre später muss sie
weichen und zieht mit ihrem Zelt in den Tiergarten. Als dort die
Planungen für das künftige Regierungsviertel beginnen,
muss das Tempodrom erneut den Standort wechseln. Es passt nicht in
den Schatten der neuen Regierungsbauten. Doch wohin mit dem
Tempodrom, das längst für die Berliner zu einem Begriff
geworden ist? Peter Strieder, in den 90er-Jahren Bürgermeister
des damals noch selbstständigen Stadtbezirks Kreuzberg, macht
sich für eine dauerhafte Lösung stark: Aus dem Zelt soll
ein fester Bau werden, der an der S-Bahn-Station Anhalter Bahnhof
errichtet werden soll. Kosten: 16 Millionen Euro. Die
Trägerschaft geht auf die "Stiftung Neues Tempodrom"
über.
Als im Jahr 2000 die Bauarbeiten für das
heute weithin sichtbare Betonzelt beginnen, sind die Baukosten
bereits explodiert. Die zur Landesbank Berlin (LBB) zählende
Investitionsbank (IBB) beteiligt sich mit 3,1 Millionen Euro
für Sponsoring an den Kosten. Doch das reicht nicht. 2002
willigt die IBB auf eine Verlängerung ihres Sponsorings ein
und genehmigt weitere 1,74 Millionen Euro. Sarrazin und Strieder
stimmen als Mitglieder des Aufsichtsrates dieser Transaktion
zu.
Finanziell nicht zu halten
Aus der Sicht der Staatsanwaltschaft war
jedoch schon damals klar, dass das Tempodrom finanziell nicht mehr
zu halten war (es meldete bei Baukosten von über 30 Millionen
Euro im Frühjahr 2004 Insolvenz an). Die zusätzlichen
1,74 Millionen Euro Sponsoring seien also verlorenes Geld gewesen.
Und weil man gewusst habe, dass das Abgeordnetenhaus einer solchen
Transaktion nicht zugestimmt hätte (es verweigerte 2003
weitere Zuschüsse in Höhe von 0,9 Millionen Euro), habe
man es nicht eingeschaltet.
Inzwischen beschäftigt sich auch ein
Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses mit der Frage, warum
immer wieder Steuergelder in das defizitäre Tempodrom gesteckt
wurden, das übrigens als Veranstaltungsort sehr beliebt ist
und auch über eine gute Auslastung berichtet.
Sarrazin und Strieder weisen den Vorwurf der
Untreue zurück. Durch ihr Ja zur Verlängerung des
Sponsoringvertrages habe man Schaden vom Land Berlin abgewehrt.
Schließlich haftete das Land für die diversen Hypotheken
und Schulden des Tempodroms. Und ein finanzkräftiger
Käufer, der die Schulden mitübernimmt, war und ist nicht
in Sicht. Aus der Sicht der beiden Beschuldigten hat man alles
getan, um dem hochverschuldeten Berlin weitere finanzielle
Belastungen zu ersparen.
Auch im Blick auf das Tempodrom kann sich der
alte Ohrwurm "Kreuzberger Nächte sind lang" bewahrheiten.
Sarrazin, der wegen seines harten Sparkurses der wohl unbeliebteste
Senator, ist für den Regierenden Bürgermeister Klaus
Wowereit (SPD) unverzichtbar. Denn Sarrazin ist es gelungen,
erhebliche Einsparungen im Personalsektor vorzunehmen,
Tarifverträge zu ändern, Zuschüsse an private und
öffentliche Einrichtungen so zusammenzustreichen, dass es
ständig zu Demonstrationen aufgebrachter Mitarbeiter des
öffentlichen Dienstes und der Bürger kam. Als der
Landeshaushalt 2003/04 für verfassungswidrig erklärt
wurde (die Kreditaufnahme überstieg die Investitionssumme),
war Sarrazin als einer der wenigen zufrieden. Der Grund: Nun hatte
er ein weiteres Druckmittel für Sparmaßnahmen in der
Hand.
Ohne Sarrazins Sparkurs aber hat Wowereit mit
seiner Klage in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht auf eine
Teilentschuldung des Landes durch den Bund (es ist die Rede von 25
bis 35 Milliarden Euro ) keine Chance. Aber kann ein unter Verdacht
der Untreue stehender Finanzsenator erfolgreich in Karlsruhe vor
dem höchsten Gericht auftreten? Das fragt sich die
CDU-Opposition im Abgeordnetenhaus und fordert den Rücktritt
des Finanzsenators. Die SPD kontert, ein Rücktritt mache der
Opposition nur Lust auf weitere Strafanzeigen. Noch beharrt
Sarrazin auf seinem "Ich trete nicht zurück."
Zurück zur Übersicht
|