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Oliver Heilwagen
Auch heute noch heißen Schrebergärten
"Dauerkolonie Togo"
Das Black Atlantic Festival im Berliner Haus der
Kulturen der Welt thematisiert die Kolonialvergangenheit
Deutschlands
Ein schwarzer Tänzer im Harlekinskostüm schreitet
über die Treppe des Konzerthauses am Berliner Gendarmenmarkt.
Dann greift er einen Schellenbaum und eskortiert eine
Märchenprinzessin, deren Schleppe von schwarzen Pagen getragen
wird. Die Szene mutet surreal an, doch historisch verbürgt
ist, dass sich Ähnliches vor fast 300 Jahren hier zugetragen
haben muss. Denn 1680 hatten preußische Soldaten an der
Küste des heutigen Ghana in Westafrika das Fort "Groß
Friedrichsburg" errichtet. 1717 verkaufte der
Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. die Festung an die
Niederländer für 7.200 Dukaten und zwölf Afrikaner.
Diese "Hofmohren" sollten in seiner Regimentskapelle den
Schellenbaum tragen; die Straße, in der man sie einquartierte,
heißt bis heute Mohrenstraße.
An diese skurrilen Anfänge deutsch-afrikanischer Kontakte
knüpft der bekannte schwarze Tänzer und Choreograph
Ismael Ivo an. Mit seiner "Black Berlin City Bus Tour" zum Auftakt
des Festivals "Black Atlantic" im Haus der Kulturen der Welt (HKW)
schickt er die Zuschauer in einem Bus, dessen verdunkelte Fenster
an die einst über den Ozean kreuzenden Sklavenschiffe
gemahnen, an Orte, die auf Deutschlands Kolonialvergangenheit
verweisen. Sie ist weitgehend vergessen, weil alle Kolonien nach
dem Ersten Weltkrieg an die Siegermächte abgetreten wurden.
Doch Spuren finden sich in der Hauptstadt einige. Etwa das
"Afrikanische Viertel", dessen Straßen nach vom Kaiserreich
annektierten Gebieten auf dem Kontinent benannt wurden. Dass manche
Namen von Schrebergartensiedlungen bis heute "Kleingartenverein
Kamerun" oder "Dauerkolonie Togo" lauten, befremdet oft in Berlin
lebende Schwarze.
Oder den "Hererostein" auf dem Garnisonsfriedhof zum Gedenken an
die Gefallenen der deutschen Schutztruppe in Südwestafrika.
Sie rottete 1904 den Stamm der Herero nahezu aus. Erst der 100.
Jahrestag ihres Aufstands hat die Erblast dieses Völkermords
hierzulande wieder in Erinnerung gerufen. Der Botschafter des
heutigen Namibia protestierte bereits dagegen, dass bei der
alljährlichen Kranzniederlegung am Hererostein nur der
Besatzer, nicht aber ihrer Opfer gedacht wird.
Die Geschichte ganz Afrikas im 19. und 20. Jahrhundert wurde
durch deutsches Eingreifen nachhaltig geprägt. Im Dezember
1884 lud Reichskanzler Otto von Bismarck nach Berlin zur
Kongo-Konferenz ein. Auf ihr vereinbarten 15 europäische
Mächte die Aufteilung des Kontinents. Der britische Premier
Lord Salisbury urteilte darüber im Rückblick: "Wir
zeichneten Linien auf Karten und traten einander Berge, Flüsse
und Seen ab, ohne zu wissen, wo diese genau lagen." Diese
künstlich gezogenen Grenzen gelten größtenteils bis
in die Gegenwart; sie waren und sind Anlass für viele blutige
Konflikte.
Berlin war aber auch der Ort, an dem der wichtigste Vordenker
der schwarzen Bürgerrechtsbewegung studierte und prägende
Anregungen empfing. Um der Rassentrennung in seiner Heimat USA zu
entfliehen, schrieb sich William E. B. Du Bois 1894 an der
Friedrich-Wilhelm-Universität, der heutigen
Humboldt-Universität, ein und notierte in sein Tagebuch: "Hier
bin ich frei von den eisernen Banden, die mich zu Hause umfangen."
Später promovierte er als erster Schwarzer in Harvard und
veröffentlichte 1903 sein Hauptwerk "The souls of black folk",
das von Hegel und deutschen Nationalökonomen beeinflusst
ist.
Schon Du Bois hatte festgestellt, was Paul Gilroy in seinem
Aufsehen erregenden Buch "The Black Atlantic" von 1989
ausformulierte: Die Kultur der Schwarzen ist nicht an ein
Territorium gebunden, sondern entstand durch Einflüsse aus
Afrika, Amerika und Europa. Umgekehrt sind heutige Popmusik und
Showbusiness, aber auch Tanz, Malerei und Literatur ohne die von
Schwarzen ausgehenden Impulse undenkbar. Diese "Kreolisierung" im
Sinne einer wechselseitigen Befruchtung gilt als Musterbeispiel
dafür, dass aus zuvor räumlich getrennten Kulturen etwas
Neues hervorgeht, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Daher
widmet sich das HKW-Festival der Frage, ob und wie die ortlose
Kultur der Schwarzen eine Vorbildfunktion für die
Weltgesellschaft enthält.
Eines ihrer wesentlichen Elemente ist der Schock durch die
Konfrontation mit früher Unbekanntem. Dieser Erfahrung
verschafft in der HKW-Ausstellung die Filminstallation "True North"
von Isaac Julien überzeugend Ausdruck: Schwarze wandeln
mutterseelenallein durch die arktische Landschaft von Island. Ihre
geradezu metaphysische Einsamkeit versinnbildlicht das Gefühl
der Entwurzelung, das schwarze Sklaven bei ihrer Ankunft in Amerika
empfanden. Dass die Wahrnehmung fremder Kulturen stets durch
Zwänge der eigenen beeinflusst wird, thematisiert eine Arbeit
von Tim Sharp. Er hat Sequenzen aus einem Dokumentarfilm über
Tuareg so geschnitten, dass deutlich wird: Der Regisseur inszeniert
ihr Verhalten, anstatt sie mit der Kamera nur zu beobachten.
Lisl Ponger dokumentiert in "Phantom Fremdes Wien" die Feste
zahlreicher Einwanderergruppen: Die österreichische Hauptstadt
entpuppt sich als multikultureller Kosmos. Der längst auch
hierzulande existiert. Elemente schwarzer Kultur prägen immer
stärker den deutschen Alltag. Wie vielfältig und komplex
sie sind, zeigt das Festival mit Lesungen, Konzerten und einem
Symposium auf. Damit die zunehmende Präsenz Schwarzer nicht
nur als Bedrohung durch Wirtschaftsflüchtlinge, sondern auch
als Bereicherung erfahren und verstanden wird. Oliver Heilwagen
Bis 15. November dienstags bis sonntags 12 - 20 Uhr. Programm
unter www.hkw.de
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