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Hans-Georg Golz
Editorial
"In unserem Lande ist die Kommunikation zwischen Staat und
Gesellschaft offensichtlich gestört. Belege dafür sind
die weitverbreitete Verdrossenheit bis hin zum Rückzug in die
private Nische oder zur massenhaften Auswanderung." So begann der
Gründungsaufruf des Neuen Forums im September 1989. Die Feier
zum 40. Jahrestag der DDR wenig später war eine gespenstische
Veranstaltung. Am 7. Oktober tauschten Erich Honecker und der
sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow im Palast der
Republik Trinksprüche aus, während "das Volk" vor der
Tür skandierte: "Gorbi, hilf!" Die Sicherheitskräfte
reagierten mit kompromissloser Härte. Von Erich Mielke, der
nach Gorbatschows Abreise den Polizeieinsatz persönlich
leitete, ist der Satz überliefert: "Jetzt ist Schluss mit dem
Humanismus!"
Zwei Tage später schien es in Leipzig zum Showdown zwischen
den Montagsdemonstranten und der Staatsmacht zu kommen. Im Juni
hatte die Volksbefreiungsarmee unter den protestierenden Studenten
in Peking ein Blutbad angerichtet. Vieles deutete darauf hin, dass
die SED-Führung gegen die bereits seit dem Spätsommer
andauernden Massenproteste die "chinesische Lösung" in
Betracht ziehen wollte: Panzer fuhren auf, Straßen wurden
abgesperrt und "Kampfgruppen der Arbeiterklasse" mobilisiert.
In Leipzig fiel an diesem 9. Oktober 1989 nicht ein einziger
Schuss. Angesichts der schieren Masse der Demonstranten wichen die
Sicherheitsorgane zurück. Nach Friedensgebeten zogen über
70000 friedlich über den Ring und riefen "Wir sind das Volk",
"Keine Gewalt", "Neues Forum zulassen", "Freie Wahlen" und "Wir
bleiben hier". Die Machtfrage war gestellt. Die SED suchte ihr Heil
in der Ablösung Honeckers. Sein Nachfolger Egon Krenz
behauptete live im DDR-Fernsehen, dass nun eine "Wende" eingeleitet
werde, um "die politische und ideologische Offensive"
wiederzuerlangen. Die Partei habe "die gesellschaftliche
Entwicklung in unserem Lande in ihrem Wesen nicht real genug"
eingeschätzt. In Wirklichkeit war das Politbüro der SED
von der Fluchtwelle Hunderttausender und den Massenprotesten der
"Hierbleiber" förmlich überrollt worden.
Während des Oktobers hing dieweitere Entwicklung in der
Schwebe. Die Massendemonstrationen breiteten sich über das
ganze Land aus. Am 9. November kam es zur überstürzten
und in jener Nacht wohl unbeabsichtigten Öffnung der Mauer in
Berlin. Für die Dialogrhetorik der SED interessierte sich
niemand mehr. "Dritte Wege" wurden schon bald ad acta gelegt und
die Zeichen auf Vereinigung mit der Bundesrepublik gestellt. Das
war der ausdrückliche, im März 1990 mit großer
Mehrheit in einer freien Wahl geäußerte Wunsch der
Bürgerinnen und Bürger der DDR.
Die friedliche Revolution in der DDR war Teil einer Kette von
bis dahin kaum vorstellbaren Ereignissen, an deren Ende sich die
bipolare Weltordnung auflöste. Worin liegt 15 Jahre danach die
Bedeutung jenes "wind of change", der damals durch Europa wehte?
Der rasche und weitgehend geräuschlose Zusammenbruch des
Ostblocks belegt, dass legitime Macht nicht auf Bajonettspitzen
ruht oder aus Gewehrläufen kommt. Ohne demokratische
Legitimation haben Regime keine Überlebenschance. Dazu
gehören Bürgerrechte, Gewaltenteilung, Rechtssicherheit,
freie Medien, Parteienwettbewerb und freie Wahlen, Reisefreiheit,
eine saubere Umwelt und ein Mindestmaß an sozialer
Sicherheit.
Dies gilt es hervorzuheben, wenn die Erinnerungen an den Alltag
in der DDR zunehmend im Nebel des Vergessens verschwinden. Wer die
notwendigen Mühen demokratischer Aushandlungsprozesse mit dem
mutigen Aufbegehren gegen eine Diktatur verwechselt, begeht
Geschichtsklitterung.
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