Peter Dudek
Notwendig, aber in der Defensive
Politische Bildung in der
Bundesrepublik
Über Sinn und Zweck politischer
Bildungsarbeit zu diskutieren, ist notwendig und doch zugleich ein
Prozess mit stets offenem Ende und langer Tradition. Dass diese
Arbeit in einer demokratischen Gesellschaft unverzichtbar ist und
gesellschaftspolitisch wie finanziell gefördert werden muss,
ist unstrittig, ja ein Gemeinplatz, dem jeder gefahrlos zustimmen
kann.
Bleibt aber das anerkennende Schulterklopfen
genauso folgenlos wie die politische Bildungsarbeit? Welche
Wirkungen hat sie? Welche Erfolge kann sie vorweisen, um sich einer
bundes- wie länderweiten Rotstiftpolitik erfolgreich zur Wehr
setzen zu können? Diese Fragen sind nicht neu; sie begleiten
die Geschichte der politischen Bildung in der Bundesrepublik seit
ihren Anfängen. Aber sie sind immer noch und immer wieder
aktuell und sie wurden und werden in Zeiten knapper
öffentlicher Kassen stets neu ventiliert.
Die Argumente zwischen Finanz- und
Bildungspolitik sind über Jahrzehnte hinweg nahezu identisch
geblieben. Finanzpolitiker sehen die Notwendigkeit und klagen
über die Kosten, die politischen Bildner erkennen angesichts
veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse neue
Aufgabenfelder und beklagen die unzureichenden Mittel, die statt
gekürzt aufgestockt werden müssten.
Vor diesem Hintergrund lässt sich jetzt
auch der von Gotthard Breit und Siegfried Schiele herausgegebene
Sammelband lesen. Er versammelt als Autoren vor allem die
akademische Szene der politischen Bildungsarbeit, die man auch von
anderen Sammelbänden her bestens kennt. Die Herausgeber haben
den Band in sieben Kapitel gegliedert, denen Siegfried Schiele, der
Direktor der Landeszentrale für politische Bildung
Baden-Württemberg, einen Beitrag mit dem programmatischen Satz
"Demokratie braucht politische Bildung" vorangestellt
hat.
"Ausgerechnet jetzt!"
In diesem Aufsatz begründet er mit
bildungspolitischen und demokratietheoretischen Argumenten die
Notwendigkeit politischer Bildung - so wie es viele Autoren vor ihm
getan und nach ihm tun werden, beklagt zugleich aber den Abbau der
politischen Bildungsarbeit innerhalb und außerhalb der Schulen
in den alten wie in den neuen Bundesländern. Sein Fazit:
"Ausgerechnet in einer Situation, in der die politische Bildung
mehr denn je gefordert ist, wird sie abgebaut. Das kann man fast
als tragisch bezeichnen."
Thematisch decken die 27 Autoren ein breites
Spektrum ab. Ihnen geht es um die Stellung politischer Bildung in
der Demokratie, um ihr Verhältnis zu wissenschaftlichen
Referenzdisziplinen, um Kanon und Lehrplan und dann in einem
größeren Kapitel um verschiedene Aspekte des
Politikunterrichts als integraler Bestandteil politischer
Bildungsarbeit. Drei Beiträge befassen sich mit der
außerschulischen politischen Bildung, unter ihnen Siegfried
Schieles knappe Skizze über die Aufgaben und die Praxis der
Bundeszentrale und der Landeszentralen für politische Bildung
- endend mit dem erneuten Plädoyer, der politischen
Bildungsarbeit ausreichend finanzielle Mittel und vor allem auch
Zeit zur Verfügung zu stellen.
Paul Ackermann und Wolfgang Beer hingegen
richten in zwei Fallstudien ihren Blick auf die Lehrenden in der
politischen Bildung. Fünf thematisch disparate Beispiele aus
deren vielschichtiger Praxis beenden diesen Sammelband, der eher
eine ernüchternde Bestandsaufnahme der gegenwärtigen
Situation der politischen Bildung darstellt und kaum Signale zum
Aufbruch an neue Ufer sendet - aber wie sollte er auch angesichts
der Fülle der Probleme.
Dennoch gilt: Demokratie verlangt von ihren
Bürgern ein Mindestmaß an politischer Bildung. Sie muss
helfende, interpretierende und unterstützende Maßnahmen
bereitstellen. Dazu zählt auch die Diskussion der Frage: Was
kann und was soll Politik im Strukturwandel der transnational
vernetzten Marktgesellschaften leisten? Das ist eine Thematik, der
sich Emanuel Richter, Professor für Politische Wissenschaft an
der TH Aachen, widmet. Sein Band versteht sich als Einführung
und Orientierung für politisch Interessierte und Engagierte,
für Gesellschaftswissenschaftler sowie für die in Politik
und politischer Bildung Tätigen.
Richters Thema ist "republikanische Politik",
ein Thema - so der Autor -, das heute gleichsam "in der Luft
liegt". Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Beobachtung,
dass konventionelle Erscheinungsformen "des Politischen" in
schnellen Schüben zerfallen und neue Manifestationen von
Politik entstehen. Vor diesem Hintergrund gilt es, Werte wie
Freiheit, Gleichheit und Solidarität neu zu diskutieren und zu
bewerten und zu fragen, wie bürgerliches Engagement und
demokratische Zivilgesellschaft zu stärken sind.
Richter tut dies in drei Kapiteln und
vorwiegend ideengeschichtlich. Diskutiert werden die Grundlagen des
Republikanismus, sein Begriff und seine Geschichte bis zu deren
Anfängen in der griechischen Antike sowie seine Bedeutung in
der Gegenwart. Es geht dem Autor dabei um grundsätzliche und
grundlegende Fragen, etwa jener nach dem Verhältnis von
Individuum und Kollektiv, ferner um demokratische Partizipation, um
die Legitimation der Normen des öffentlichen Handelns und um
politische Moralität.
Die öffentliche Sphäre sei, so
Richter, häufig von eklatanten moralischen Substanzverlusten
und Wertekrisen gekennzeichnet. Aufgabe des Republikanismus sei es,
den normativen Verfall aufzuhalten und "alle in der
öffentlichen Sphäre agierenden Personen mahnend an die
sozialintegrativen Grundlagen des kollektiven Handelns zu
erinnern."
Das bedeutet für Richter mehr als nur
rückwärts gewandt die moralische Qualität
vergangener Zeiten zu beschwören. Es fordert zu ethischen
Grundsatzreflexion auf, "die innovativ überkommene moralische
Leitsätze des öffentlichen Lebens in demokratischen
Verfahren prüft, verwirft und durch Neuanpassungen an
veränderte normative Bedürfnisse des kollektiven Lebens
ersetzt."
Hier schließt sich der Kreis zur
politischen Bildungsarbeit, denn zu deren vordringlichsten Aufgaben
zählt es auch, im Prozess der Globalisierung die
republikanischen Potenziale innerhalb der Bevölkerungen zu
stärken und einer nur globalen Fragmentierungsdynamik kritisch
entgegenzutreten. Das setzt - nach Richters Überzeugung - das
kritische soziale und politische Engagement möglichst vieler
Bürger voraus.
Gotthard Breit / Siegfried Schiele
(Hrsg.)
Demokratie braucht politische
Bildung.
Wochenschau-Verlag, Schwalbach/Ts.
2004;
387 S., 19,80 Euro
Emanuel Eichter
Republikanische Politik.
Demokratische Öffentlichkeit und
politische Moralität
Rowohlt-Verlag, Reinbek 2004;
190 S.; 12,90 Euro
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