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Elisabeth Niejahr
Auf der Suche nach einem neuen Selbstbild
Deutschland kommt in die Jahre
Selten haben sich die Deutschen so für das
Alter und die Alten interessiert wie in den vergangenen Monaten.
Mit großer Wucht und großer Verspätung hat die
Debatte über den demografischen Wandel die Volkshochschulen,
Stiftungen, Talkshows und Parlamente erfasst. Gerade einmal
fünf Jahre sind vergangen, seit die Jungunternehmer der New
Economy gefeiert wurden, nun gilt das öffentliche Interesse
der Generation Golfplatz statt der Generation Golf. Nie waren so
viele grauhaarige Models auf Plakatwänden und in Werbespots zu
sehen, die Bundesregierung bringt ein Gesetz gegen
Altersdiskriminierung auf den Weg. Auf dem Arbeitsmarkt haben es
die über 50-Jährigen nach wie vor extrem schwer, doch
immerhin zeichnet sich in vielen Personalabteilungen langsam ein
Umdenken ab.
Vor allem wächst das öffentliche
Bewusstsein dafür, dass der Doppeltrend aus Alterung und
Bevölkerungsrückgang in Zukunft viel mehr ändern
wird als nur die Höhe der Renten: Wir werden anders wohnen,
anders reisen, anders Auto fahren, anders arbeiten, anders lieben
und anders essen, wenn Deutschland in die Jahre kommt. Schulen und
Universitäten werden sich umstellen müssen und neue
Angebote für Rentner und ältere Berufstätige
erfinden müssen. Die Verteilungsdebatte, der Konflikt zwischen
Arm und Reich, wird sich mit der neuen Generation von Erben
verschieben. Die Unternehmen werden sich Strategien gegen einen
Mangel an jüngeren Fachkräften und für die bessere
Integration von Älteren überlegen müssen. Die
Haltung zur Familie hat sich bereits spürbar verändert.
Die ideologischen Fronten sind nicht mehr so starr wie früher:
Konservative freunden sich mit der Idee von Ganztagsschulen und
Fremdbetreuung an, und bei der politischen Linken steht die
Kleinfamilie längst nicht mehr unter Verdacht, Hort von
Spießigkeit zu sein.
Weil die Alterung der Gesellschaft so viele
unterschiedliche Bereiche des Lebens betrifft, führte die
Stadt Bielefeld kürzlich als erste deutsche Kommune eine
Demografiebeauftragte ein. So schlagen sich die großen
gesellschaftlichen Diskussionen in Institutionen nieder: In den
80er-Jahren brachte die Ökologiedebatte die Umweltbeauftragten
hervor und der Feminismus die Frauenbeauftragten - jetzt sind die
Demografiebeauftragten dran.
Gleichwohl sind Politik, Öffentlichkeit
und auch die Alten selbst noch mitten in einem Lernprozess. Die
Darstellung alter Menschen ist vielfach klischeehaft geblieben,
auch wenn statt pflegebedürftiger alter Frauen nun eher
braungebrannte sportliche Paare beim Segeln oder Fahrradfahren zu
sehen sind. Und bis heute ist das Alter trotz aller
öffentlichen Debatten auch ein Tabuthema geblieben: Nach dem
Geburtsjahr von anderen fragt man nicht, beim eigenen Alter wird
gern geschummelt. Vor allem machen viele der Älteren nicht nur
anderen, sondern auch sich selbst etwas vor. Bei einer Umfrage im
Auftrag von infratest dimap von über 50-Jährigen
erklärten kürzlich 72 Prozent der Befragten, sie
würden jünger aussehen, als sie sind. Was sich beim
Einzelnen noch als Zeichen von Vitalität und Lebensfreude
deuten ließe, ist bei der Mehrheit eher ein Indiz für
kollektiven Realitätsverlust. Sich jünger zu fühlen,
als die Jahre sagen -- das bedeutet nichts anderes als: Nein, so
wie die anderen 60-Jährigen bin ich nicht. Alt sind immer nur
die anderen.
Noch wird nach Rollenmodellen gesucht und
beispielsweise über passende Kleidung oder ein angemessenes
Auftreten diskutiert: Ist es peinlich oder sympathisch, wenn Eltern
um die 50 mit ihrem Sohn oder ihrer Tochter in die Disco wollen?
Ist es nachahmenswert, dass ein über 60-jähriger
Bundeskanzler noch ein kleines Mädchen adoptiert? Wie kurz
müssen die Haare, wie kurz dürfen die Röcke einer
60-Jährigen sein? Es ist die Generation der 68er, die wieder
einmal nach einem neuen Selbstbild sucht und erneut neue
Lebensformen ausprobiert - zum Beispiel neue Wohnkonzepte, denn die
herkömmlichen Alten- und Pflegeheime gelten nicht als
attraktiv. Ausgerechnet die Generation, die in Studentenjahren das
WG-Dasein als politisches Projekt verstand, sucht im Alter wieder
nach Gemeinschaftsmodellen - diesmal, um nicht allein zu
sein.
Lange ist in Deutschland viel zu wenig
über Demografie geredet worden, momentan besteht die Gefahr
eher darin, zu pauschal über das Alter und die Alten zu
urteilen. Schon heute leben hierzulande mehr als 19 Millionen
Rentner, was etwa der Einwohnerzahl von ganz Schweden, Norwegen und
Dänemark entspricht. Gleichwohl haben wir uns an ein
überraschend stereotypes Altenbild gewöhnt.
Zunächst, bis Ende der 90er etwa, galten die Alten generell
als arm. Gerhard Schröder machte noch 1998 Wahlkampf mit dem
Verweis auf seine alte Mutter und ihre Minirente. In den folgenden
Jahren sprach sich herum, dass junge Familien häufiger von
Armut bedroht sind als alte Menschen. Ökonomen wie der
Regierungsberater Bert Rürup rechneten regelmäßig
vor, dass Altersarmut in Deutschland kein großes Problem sei -
und die Formel "Alt gleich arm" längst nicht mehr
stimme.
In Zukunft wird man lernen, stärker
zwischen verschiedenen Gruppen von Alten zu unterscheiden. Noch
sind wir gewohnt, die Jugend als Phase der Individualität zu
verstehen. Die Alten hingegen betrachten wir oft als eher homogene
Gruppe. Dabei sind gerade Jugendliche auf Konformität bedacht,
oft wollen sie die gleiche Musik hören und die gleichen Hosen
und Frisuren tragen wie ihre gleichaltrigen Freunde. Im Alter
hingegen werden die Unterschiede größer, zumal inzwischen
Angehörige verschiedener Generationen Renten beziehen. Die
heute 90-Jährigen wurden durch ganz andere Erlebnisse
geprägt als die Generation nach ihnen, die zwischen 60 und 70
ist.
Deshalb dürften sich auch alle Warnungen
von einem bevorstehenden Generationenkrieg kaum erfüllen.
Weder das Diktat der Wähler im Rentenalter noch die Macht der
Jungen dürften die politischen Debatten der Zukunft bestimmen.
Gerade weil es schon heute und erst Recht in Zukunft so viele Alte
gibt, werden sie sich nur selten gemeinsam artikulieren. Die
große Gruppe der Alten hat ungefähr so einheitliche
Vorstellungen wie die Wählergruppe der Frauen, der Verbraucher
oder der Autofahrer.
Zudem dürften die sozialen Unterschiede
innerhalb der Generationen auf absehbare Zeit krasser bleiben als
die Unterschiede zwischen den Generationen. Bisher sind vor allem
in Ostdeutschland die Einkünfte der Rentner aufgrund der hohen
Frauenerwerbsquote in der DDR recht einheitlich. Die Ostrentner von
morgen werden jedoch Einheitsverlierer sein, denn das sind vielfach
die Langzeitarbeitslosen von heute, die nur kleine Anwartschaften
erwerben. In Westdeutschland hingegen rückt eine Generation
mit mehr berufstätigen Frauen und steigenden
Rentenansprüchen nach.
In Zukunft wird es nicht nur wachsende
Unterschiede zwischen ost- und westdeutschen Rentnern geben. Auch
andere Gegensätze werden ausgeprägter sein - Unterschiede
zwischen Erben und Nichterben, Familien und Kinderlosen,
Zuwanderern und Einheimischen. Auch die absehbaren
Veränderungen im Gesundheitssystem werden die soziale Kluft
zwischen den Alten von morgen vergrößern. Die kollektiven
Systeme werden weniger Leistungen für alle finanzieren
können, während gleichzeitig der Markt für Produkte,
die alten Menschen Gesundheit und jugendliches Aussehen bescheren,
größer wird. Nicht jeder wird sich diese Produkte leisten
können - und das wird man den Menschen ansehen: An den Haaren,
an der Haut, an den Zähnen.
Als größter Irrtum der
Altersdebatte dürften sich deshalb Prognosen erweisen, wonach
vor allem Alte und Junge gegeneinander kämpfen werden. Die
Konfliktlinien der Zukunft werden andere sein, die Alterung wird
bestehende soziale Konflikte härter und sichtbarer machen. Die
Politiker werden dann die schwierige Aufgabe haben, gleichzeitig
die wachsende Ungleichheit und unrealistische
Gleichheitserwartungen ihrer Wähler
einzudämmen.
Elisabeth Niejahr ist Redakteurin bei der
"Zeit". Gerade ist bei S. Fischer ihr Buch "Alt sind nur die
anderen" herausgekommen.
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