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Michael Marek
Neues vom afrikanischen Kontinent in deutscher
Sprache
Die "Allgemeine Zeitung" erscheint seit 88
Jahren in Namibia
Seit 1916 erscheint die AZ. Aus dem einstigen revanchistischen
Blatt der Kolonialzeit ist eine Tageszeitung geworden, deren
Redaktion sich um ein ausgewogenes, liberales Meinungsbild
bemüht.
"Viele bezeichnen uns immer als deutsche Zeitung in Namibia.
Aber es gibt einen kleinen Unterschied: Wir sind eine namibische
Zeitung in deutscher Sprache!" Stefan Fischer ist Chefredakteur bei
der "Allge-meinen Zeitung" (AZ) in Namibia, der einzigen Tagesblatt
Afrikas in deutscher Sprache. Seit 1916 erscheint das älteste
Presseorgan Namibias. Mittlerweile täglich, außer
samstags und sonntags. Das zwölfköpfige Redaktionsteam
sitzt am Rande der Hauptstadt Windhoek. In einem modernen
Bürohaus mit angeschlossener Druckerei werden täglich
zwölf Seiten Nachrichten produziert: über den Besuch von
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul anlässlich der
Gedenkfeiern zum Herero-Krieg wird berichtet, über Korruption
und Vetternwirtschaft in der Regierung, die finanziellen
Machenschaften der deutschen Busch-Schule in Namibia, die
Verwahrlosung touristischer Einrichtungen, AIDS in Afrika,
BSE-Krise in Europa oder ob die Enteignung weißer Farmen wie
in Simbabwe drohe. Ein ungewöhnlicher Themenmix, aber für
viele deutschsprachige Namibier gehört die AZ zur wichtigsten
Informationsquelle. "Was die Leute hier bewegt", sagt der Chef vom
Dienst und langjährige Chefredakteur Eberhard Hofmann, "ist
die Landreform, die Auseinandersetzung um den Herero-Krieg von
1904: War es ein Genozid oder ein gewöhnlicher Krieg? Wichtig
sind Themen, die sich mit der nationalen Aussöhnung
beschäftigen."
Zwischen 5.300 und 6.500 Exemplare werden täglich von der
"Allgemeinen Zeitung" gedruckt. Nicht viel für ein Land, das
zweieinhalb Mal so groß wie die Bundesrepublik ist, aber in
dem nur 1,7 Millionen Menschen leben. Auch deshalb ließe sich
keine größere Auflage verkaufen, betont der 1944 im
sächsischen Freiberg geborene Journalist, denn nur rund 25.000
deutschstämmige Namibier leben im ehemaligen
Deutsch-Südwestafrika. Praktisch jeder deutschsprachige
Haushalt zwischen Tsumeb und Lüderitzbucht, Windhoek und
Swakopmund lese die AZ. Einige 100 Zeitungen gehen nach
Südafrika und - vor allem die größere
Freitagsausgabe mit der Tourismusbeilage an Ex-Namibier und Freunde
in Deutschland. Die Nachfahren deutscher Kolonialisten stellten
zwar eine Minderheit dar, aber dafür würden sie über
gesellschaftlichen Einfluss verfügen, so Hofmann. Derzeit
gehöre Namibia weltweit zu den Ländern mit den
größten Unterschieden zwischen Arm und Reich. Innerhalb
der schwarzen Bevölkerung beträgt die Arbeitslosigkeit 40
Prozent. Viele Kinder haben ihre Eltern durch AIDS verloren. Allein
20 Prozent der namibischen Bevölkerung sind HIV-infiziert.
Noch immer leben viele schwarze Namibier in den Townships von
Swakopmund und Windhoek. Die Hütten sind klein, vielleicht
zwölf Quadratmeter, zusammengezimmert aus einzelnen Blech-,
Holz- und Pappteilen. Doch es gibt Wasser und Elektrizität und
es ist sauber im Unterschied zu anderen schwarzafrikanischen Slums.
Die Toiletten haben die Bewohner draußen in einem
Extraverschlag unterbringen müssen. Während der Apartheid
durften die Toiletten we-gen des Ausgehverbotes ab 20 Uhr nicht
mehr benutzt werde. Demütigung und Machtwahn einer
vergange-nen Epoche. Katutura nennen die Bewohner selbstbewusst
ihren Wohnort, was wörtlich übersetzt heißen soll:
"Wo wir nicht leben wollen!"
1990 ist Nambia unabhängig geworden, doch das Land leide
noch immer an einer Gesellschaft, durch die einer tiefer Riss gehe,
analysiert Hofmann. Der Staatspräsident, die Regierung, die
politischen Ent-scheidungsträger seien alles Schwarze, die
Masse der Bevölkerung lebe aber weiterhin in den ehemaligen
Apartheidsghettos an den Stadträndern. Dagegen verfüge
die Minderheit der Weißen über die Macht des Geldes. Doch
vor allem die älteren unter ihnen würden sich
gesellschaftlich isolieren und sich nur wenig am öffentlichen
Leben beteiligen. Demgegenüber verstehen sich gerade deren
Kinder selbstbewusst als Namibier.
Staatliche Eingriffe in die Arbeit der Redaktion oder gar eine
Zensur gäbe es nicht, stellt Hofmann klar, "aber der Staat hat
der englischsprachigen Tageszeitung, die dem Staat zu kritisch
gegenübersteht, Anzeigen entzogen. Die AZ hat nie viele
Anzeigen von Staatsorganen erhalten, insofern sind wir davon
unberührt geblieben. Ansonsten genießen wir mehr
Narrenfreiheit als die englisch- oder afrikaanssprachigen
Zeitungen, weil Deutsch eine Minderheitensprache und nicht die
Amtssprache ist."
Viele der rund 25.000 Südwester, wie sich manche Nachfahren
der deutschen Siedler und Schutztruppen beschönigend nennen,
leben vom Tourismus und haben ihre Farmen in luxuriöse Lodges
umgebaut - ein lukratives Geschäft angesichts
zahlungskräftiger Gäste aus Südafrika, England und
vor allem der Bundesrepublik. Von einer spezifisch deutschen oder
"weißen" Sichtweise in der Berichterstattung der "Allgemeinen
Zeitung" könne aber keine Rede sein, betont Hofmann: "Wir
vertreten Interessen der Stabilität, wirtschaftlichen
Fortschritt, sozialen Wohlstand. Wir treten nicht nur für eine
Gruppe oder einen Sprachkreis ein, schließlich kann man die
Gesellschaft nicht wie in der Apartheidszeit unterteilen."
In ihrer 88-jährigen Geschichte hatte sich die "Allgemeine"
zunächst als stramm deutsch-nationales Blatt einen Namen
gemacht. Während der Kaiserzeit bezeichnenderweise unter dem
Titel "Der Kriegsbote". Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges tauften
die Blattmacher die Zeitung kurzzeitig in "Deutscher Beobachter"
um. Die Parallele zum antisemitischen, völkischen Vorbild war
gewollt. Bis in die 70er-Jahre, so Hofmann, habe die AZ auf Seiten
der südafrikani-schen Besatzer gestanden. Da wurden schon
einmal Geburtstagsgrüße an Rudolf Heß abgedruckt.
Das habe sich aber vor der namibischen Unabhängigkeit
allmählich verändert, ergänzt Hofmann.
Wer nach ihnen sucht, der findet die Ewiggestrigen aber noch
immer, zum Beispiel in Swakopmund. In Peter's Antiques gibt es
Militaria aller Art, Hitlers "Mein Kampf" und antisemitische
Standardwerke. Na-türlich rein antiquarisch, versichert der
freundliche alte Herr in seinem Laden. Schwarze haben hier keinen
Eintritt, verrät das Schild oberhalb der Eingangstür. Im
Hintergrund spielt der Deutsche Hörfunk Marschmusik. Es werde
so viel geklaut, sagt der Mann und beginnt zu schimpfen.
Journalisten vom "Stern" hätten ihn gerade als Altnazi
präsentiert. Die seien doch nur zu ihm gekommen, um ihre
eigenen Vorurteile bestätigt zu sehen. Kaiserbilder
hängen an der Wand, die Vergangenheit will nicht enden, hier
in der Moltkestraße, rund 100 Jahre nach der blutigen
Niederschlagung des Herero-Aufstandes am 11. August 1904. 50.000
Tote - ein Genozid an Männern, Frauen und Kindern, Kriegern
und Nicht-Kriegern. Nicht anders als "mit krassem Terrorismus und
mit Grausamkeit" sei den Aufständischen beizukommen, befand
der damalige Oberfehlshaber der deutschen Truppen. 200 Meter weiter
im Café Anton gibt es Schwarzwälderkirschtorte mit
Sahne.
Heute ist die AZ politisch unabhängig. Man müsse die
konservativen Stammleser beachten und wolle sich gleichzeitig als
liberale, weltoffene Zeitung profilieren, ergänzt Stefan
Fischer und weist auf die heutigen Probleme innerhalb der Redaktion
hin: "In Namibia ist es schwieriger zu recherchieren oder an
Informationen heranzukommen, weil das Selbstverständ- nis, der
Umgang mit den Medien noch nicht so ausgeprägt sind, wie
beispielsweise in Deutschland. Es gibt noch nicht so viele
Pressesprecher, wo man kurzfristig an Informationen herankommt. Und
wenn es die gibt, dann haben die auch nicht diese Erfahrung. Die
wissen nicht: Was darf ich rausgeben, was nicht. Die wissen nicht,
dass man Pressemitteilungen möglichst schnell herausgeben
sollte, dass Journalisten auf eine schnelle Antwort warten. Hier
gibt es das Prinzip: Lieber gar nichts sagen als was falsches."
1999 wurde der erste schwarze Redakteur eingestellt. Andreas
Shiyoo war eines von mehreren hundert Kindern, deren Eltern der
SWAPO angehörten und die während des Krieges mit
Südafrika von der damaligen DDR aufgenommen wurden. Dort
wuchsen sie in Heimen auf und besuchten deutsche Schulen. Nach dem
Ende der DDR wurden sie 1990 nach Namibia zurückgeschickt.
"Das war für viele ein Kulturschock", erinnert sich Fischer.
Doch verantwortlich dafür, dass es heute unter den
Blattmachern nur einen schwarzen Redakteur gibt, wäre nicht
die ethnische Zugehörigkeit, sondern "die Sprachbarriere.
Sogar Namibier mit deutschen Vorfahren würden diese Hürde
nicht nehmen. Ihr Deutsch ist nicht gut genug, um publizistisch zu
arbeiten. Wenn wir Stellen ausschreiben, müssen wir lange und
intensiv suchen, um neues Personal zu bekommen. Eine
journalistische Ausbildung gibt es nur in Südafrika. Die
meisten von den Bewerbern sind Quereinsteiger, da müssen wir
bei Null anfangen." Das gilt zum Teil für Fischer selbst. Der
Fotograf kam 1991 mit dem Fall der Berliner Mauer nach Namibia.
Zuerst als Tourist, dann als schreibender Journalist.
Finanziert wird die "Allgemeine Zeitung" hauptsächlich
über das Anzeigengeschäft, gleichwohl muss der Vertrieb
subventioniert werden. Im südafrikanischen Kapstadt sitzt ein
Korrespondent. Wenn es um deutsche Themen geht, übernimmt die
"Allgemeine Zeitung" vorwiegend Agentur-Meldungen, zum Beispiel von
dpa.
Leserbriefe und Anzeigen erscheinen mitunter auch auf Englisch
oder Afrikaans. Zumal Deutsch nur eine von sechs an den Schulen
gelehrten Landessprachen ist. Von großer Bedeutung ist die
Familienrubrik im Annoncenteil - ein Nebeneinander von Geburts-,
Heirats- und Todesmeldungen.
Mit großem Stolz verweist Stefan Fischer auch auf die
eigene Internet-Homepage (www.az.com.na), die die Redaktion seit
Juni 2000 betreibt: "Wir tun das nicht für unseren kleinen
Leserkreis, sondern für Menschen in aller Welt. Wir haben
zwischen 1.000 und 1.500 Zugriffe pro Tag, davon kommen 70 Prozent
aus Deutschland. Das sind Namibier, die in Deutschland sind, oder
aber Touristen, die schon hier waren oder hierher in unser
schönes Land kommen wollen."
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