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April 04/2001
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menschen im bundestag

Der Flaggenhisser

Um seine Arbeit zu erledigen, muss der Plenarsekretär Torsten Schneider hoch hinauf. Nur der Wind kann ihm einen Strich durch die Rechnung machen.

Plenarsekretär Torsten Schneider.
Plenarsekretär Torsten Schneider.

Das erste Treffen mit dem Mann, dem man heimlich die Berufsbezeichnung "Fahnenhisser" gegeben hatte, verläuft stürmisch. Windstärke sechs etwa, vielleicht auch sieben, kein Gedanke daran, auf die vier Ecktürme des Reichstagsgebäudes steigen zu können. Also trifft man sich in einem Raum auf der Plenarsaalebene und nähert sich dem Thema im Gespräch. Vorerst.

Die Bundesflagge besteht aus drei gleich breiten Querstreifen, oben schwarz, in der Mitte rot, unten goldfarben, Verhältnis der Höhe zur Länge des Flaggentuches wie 3 zu 5. Die Bundesflagge kann auch in Form eines Banners geführt werden. Das Banner besteht aus drei gleich breiten Längsstreifen, links schwarz, in der Mitte rot, rechts goldfarben. (Anordnung über die deutschen Flaggen vom 13. November 1996)

Der Bundestag und seine Flaggen.
Der Bundestag und seine Flaggen.

Antonius Müller, Leiter des Plenar- und Ausschussdienstes, eingängiger ist die Beschreibung als "Platzmeister", besteht darauf, den Fernseher laufen zu lassen. Dem Plenarsekretär Torsten Schneider ist es ebenso wichtig, ab und zu einen Blick auf den Fortgang der Dinge im Plenarsaal werfen zu können. In Kürze wird es eine namentliche Abstimmung geben. Gespräch hin oder her, da müssen sie dann beide im Plenum sein. So wie Antonius Müller Platzmeister und kein Platzwart ist – "dat is ja nicht wie auf'm Fußballplatz", hatte er am Telefon gesagt – ist Torsten Schneider kein "Fahnenhisser". Schon allein deshalb nicht, weil es sich hier um Flaggen handelt. Eine Flagge, dies wird bei der Richtigstellung durch die beiden Mitarbeiter des Deutschen Bundestages klar, verlangt schon von der Begrifflichkeit her größere Ehrerbietung. Fahne klingt doch eher umgangssprachlich, ganz zu schweigen von der volkstümlichen Doppeldeutigkeit.

Der Bundestag und seine Flaggen.
Der Bundestag und seine Flaggen.

Der Plenarsekretär Torsten Schneider, 24 Jahre alt, ist also zuständig für die Beflaggung des Reichstagsgebäudes und der Häuser Unter den Linden 50 und Unter den Linden 71. Einfache Sache, denkt man zu Beginn. Was soll schon daran sein, wenn der junge Mann neben seiner Arbeit als Plenarsekretär noch ein bisschen auf die Flaggen aufpasst, sie austauschen lässt, wenn sie durch Wind und Wetter verblichen oder gar kaputtgegangen sind, und darauf achtet, dass bei jedem Staatsbesuch auch wirklich die richtige Flagge zur Begrüßung und Wertschätzung gehisst wird.

Der Bundestag und seine Flaggen.
Der Bundestag und seine Flaggen.

Gut. Dann sind da noch die besonderen Anlässe. Die traurigen, die fröhlichen und die feierlichen. Muss man alles im Kopf haben. Ebenso wie die Größen der Flaggen, die ganz unterschiedlich sind, und die Anordnung der Flaggen, die bestimmten Regeln folgen, und das Wetter, das gar keinen Regeln folgt. Das sollte alles bedacht sein. Und wenn an einem Sonntag die Flaggen auf Halbmast gesetzt werden müssen, um einem Staatsoberhaupt oder Abgeordneten auf diese Art und Weise die letzte Reverenz zu erweisen, ist das freie Wochenende eben vorbei. Da kann man sich nicht einfach auf Montag vertagen, sondern muss die zuständige Firma anrufen, zum Reichstagsgebäude fahren und dafür sorgen, dass alles seinen guten Gang geht.

Zu flaggen ist an senkrecht stehenden Flaggenmasten. Nur soweit dies nicht möglich ist, können waagerecht oder schräg stehende Flaggenstöcke verwendet werden. Zur Beflaggung sollten Flaggen verwendet werden, die am Flaggenmast oder Flaggenstock aufgezogen und niedergeholt werden können. Für die Beflaggung kann auch die Form eines Banners verwendet werden. (Erlass der Bundesregierung über die Beflaggung der Dienstgebäude des Bundes vom 23. Mai 2000)

Der Bundestag und seine Flaggen.
Der Bundestag und seine Flaggen.

"Dies alles ist", bekundet Antonius Müller, der Vorgesetzte von Torsten Schneider, "eine verantwortungsvolle Aufgabe. Genauso verantwortungsvoll wie der Dienst im Plenum." Und weil er jetzt für den Torsten Schneider noch mehr als diese eine Lanze brechen möchte, sagt er gleich noch dazu: "Außerdem ist der Herr Schneider jüngstes Personalratsmitglied. Kümmert sich um die Belange der Kolleginnen und Kollegen, ist immer da, wenn man ihn braucht."

Das macht Torsten Schneider etwas verlegen, so viel Lob auf einmal. Er sieht ein wenig aus, als hätte er gerade eine schwierige Prüfung mit Bravour bestanden und schaut angelegentlich zum Fernseher. Die namentliche Abstimmung hat noch nicht begonnen, und vielleicht reicht ja die Zeit noch, um zu erzählen, wie man Verantwortlicher für die Beflaggung der Gebäude des Deutschen Bundestages wird. Zwanzig Minuten später bereits wird er dann die goldenen Knöpfe seines dunkelblauen Fracks geschlossen haben und in den Plenarsaal gegangen sein, um seinen Dienst zu versehen. Da wird man ihn dann hin- und herlaufen sehen, mit Nachrichten, Getränken, Informationen, die von A nach B gelangen müssen – und das schnell.

Der Bundestag und seine Flaggen.
Der Bundestag und seine Flaggen.

"Ich bin in Dresden zur Schule gegangen und habe in Köln beim Bundesverwaltungsamt eine Ausbildung als Beamter gemacht. Mit der war ich 1995 fertig und wurde gleich nach Bonn in den Bundestag versetzt. Mir war eigentlich schnell klar, dass mir diese Arbeit hier Spaß macht und dass immer neue Aufgaben dazukommen, so wie im vergangenen Jahr die Personalratsarbeit. Man kommt mit sehr vielen und sehr unterschiedlichen Menschen zusammen, man lernt eigentlich immer dazu. Es ist nie langweilig und das ist ja ganz wichtig, dass die Arbeit nicht langweilig ist."

Es ist trotz oder gerade wegen dieses Plädoyers die richtige Stelle zu erwähnen, dass Torsten Schneider als Junge gern Lokführer werden wollte. Einfach deshalb, weil es nur noch wenige gibt, deren Kindheitswunsch es mal war, mit einer möglichst dampfgetriebenen Lokomotive durch die Welt zu fahren. Nun trägt er einen Frack und gibt nach kurzer Verlegenheitspause zu, auch sonst ein "Anzugtyp" zu sein. Aber wenn er auf den Turm geht, wie er es nennt, folgt die Kleidung den praktischen Erfordernissen. Auf den Turm gehen, ist irgendwie auch Abenteuer. Man ist so hoch oben, kann so weit sehen und fühlt sich so – anders.

Das Hissen der Flaggen erfordert Schwindelfreiheit.
Das Hissen der Flaggen erfordert Schwindelfreiheit.

Die Größe der Flaggen muss in einem angemessenen Verhältnis zur Größe des beflaggten Gebäudes und des Flaggenmastes stehen. Sind an einem Gebäude mehrere Flaggen gesetzt, so sollen sie gleich groß sein. (Erlass der Bundesregierung über die Beflaggung der Dienstgebäude des Bundes vom 23. Mai 2000)

Fünf mal sieben Meter groß sind die Turmflaggen. Größer ist nur noch die "Flagge der Einheit" mit sechs mal zehn Metern, die am Westeingang hängt und dem Flaggenmast, der sie hält, einiges an Stabilität abverlangt. An den Eingängen Ost und West des Reichstagsgebäudes messen die Flaggen rechts und links drei mal fünf Meter. Ist ein ausländischer Gast im Lande, wird der mittlere Flaggenmast an diesen beiden Eingängen mit dessen Staatsflagge geschmückt. Die kommt dann aus einer Firma in Falkensee, und wenn es sie da noch nicht gibt, wird sie eigens für den feierlichen Anlass hergestellt.

Das Hissen der Flaggen erfordert Schwindelfreiheit.
Das Hissen der Flaggen erfordert Schwindelfreiheit.

Sollen auch nach Abschnitt IV Abs. 4 zugelassene Flaggen gesetzt werden, so gilt – von der bevorzugten Stelle aus gesehen – folgende Reihenfolge:

a) Flaggen internationaler und überstaatlicher Organisationen

b) Flaggen ausländischer Staaten und anderer Hoheitsgebiete in alphabetischer Reihenfolge der amtlichen deutschen Kurzbezeichnung ausländischer Staatennamen

c) Bundesdienstflagge oder Bundesflagge

d) Flaggen der Länder der Bundesrepublik Deutschland in alphabetischer Reihenfolge

e) Flaggen der Gemeinden (Gemeindeverbände)

(Erlass der Bundesregierung über die Beflaggung der Dienstgebäude des Bundes vom 23. Mai 2000)

Vier Tage nach dem ersten Gespräch mit Torsten Schneider ist es zum ersten Mal seit vielen Tagen windstill in Berlin. An diesem Montagmorgen kann es also raufgehen auf die Türme des Reichstages. Eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter der Firma "Mac Flag" kommen um sieben Uhr. Sie haben einen kleinen Koffer dabei, in dem die neuen Flaggen aufbewahrt sind. Sie steigen in den Türmen, die die Sitzungsräume der Bundestagsfraktionen beherbergen, eine eiserne Leiter hinauf, bis auf die erste Empore und dann noch eine Leiter, von der aus man dem Turm aufs Dach steigen kann. Alles geht schnell und reibungslos vonstatten.

Der Bundestag und seine Flaggen.
Der Bundestag und seine Flaggen.

Torsten Schneider überwacht das Auswechseln der Flaggen. Sind die ausgewechselten noch brauchbar, werden sie gewaschen und, wenn nötig, genäht.Torsten Schneider steigt selbst noch einmal hoch hinauf aufs Dach eines Eckturmes. Das sind gute Augenblicke, so früh am Morgen, wenn die Sonne scheint und im Reichstagsgebäude selbst noch Ruhe ist.

Irgendwann wird er, so stellt er es sich vor, in einem anderen Bereich der Bundestagsverwaltung arbeiten. Hier beim Plenarassistenzdienst ist er nun schon mehr als sechs Jahre. Ziemlich viel Erfahrung hat er gesammelt. Anderswo werden neue und spannende Erfahrungen dazukommen. Aber wahrscheinlich wird er nie wieder so hoch hinaufsteigen können wie hier, an einem windstillen Tag in Berlin.

Kathrin Gerlof

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2001/bp0104/0104073
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