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08/2001
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Serie

Vorbereitung einer Sondersitzung

Präzise wie ein Uhrwerk

Manche Entwicklungen halten sich nicht an die parlamentarischen Tagungsplanungen. Politik macht keine Ferien. Weltpolitik schon gar nicht. Deswegen sind auch die Bundestagsabgeordneten grundsätzlich auf Flexibilität eingestellt. Trotzdem sind Rückrufe aus dem Urlaub seltene Ereignisse – so wie jetzt bei der Sondersitzung zur Unterstützung des Bündnisses im Kampf gegen den Terrorismus. Schon drei Wochen davor war der Bundestag zu einer Sondersitzung zusammengekommen, um über die Erteilung des Marschbefehls an 300 Bundeswehrsoldaten zur Unterstützung des Friedensprozesses in Mazedonien zu entscheiden. Wie funktioniert das, wenn Parlamentarier aus allen Winkeln der Welt zu einer Sondersitzungswoche zurückgerufen werden? Ein Blick hinter die Kulissen am Beispiel der Sondersitzung zu Mazedonien.

Schreiben des Kanzlers mit der Bitte auf Einberufung der Sondersitzung.
Schreiben des Kanzlers mit der Bitte auf Einberufung der Sondersitzung.

Es gehört zur Routine, dass die Abgeordneten sich nicht mit einem einfachen "Tschüss" in den Urlaub verabschieden. Sie hinterlassen gewöhnlich in jedem Jahr bei ihren Fraktionen und im Tagungsbüro des Bundestages Adressen, unter denen sie im Falle eines Falles erreichbar sind. "Der Fall" kam diesmal nicht aus heiterem Himmel – ein möglicher Einsatz der Nato zum Einsammeln von Waffen in Mazedonien hatte sich bereits in den letzten Wochen vor der parlamentarischen Sommerpause abgezeichnet. Die Fraktionsführungen hatten deshalb ihre Mitglieder zu verstärkter Aufmerksamkeit aufgerufen.

Rede des Kanzlers in der Sondersitzung.
Rede des Kanzlers in der Sondersitzung.

Dennoch blieb wochenlang ungewiss, wann denn nun das Parlament über die Beteiligung Deutschlands an der internationalen Militäraktion beraten und entscheiden sollte. Die Zeit nutzten die Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung, um die "Rückrufaktion" minutiös vorauszuplanen: Wie kommt der Antrag der Bundesregierung schnellstmöglich zur Druckerei? Wie lange braucht die zur Herstellung der Drucksache? Wer bringt die Unterlagen in die Fächer? Wie kommen die Einladungen zum Versand?

Eintüten der Mitteilungen.
Eintüten der Mitteilungen.

Deshalb lief alles wie ein Uhrwerk ab, als am Donnerstag, dem 23. August, um 14 Uhr das Bundeskabinett zusammentrat und entschied, dass die Voraussetzungen für eine deutsche Beteiligung vorliegen. Da dies aber nicht allein Sache der Regierung ist, sondern der Bundestag dem Einsatz der Soldaten zustimmen muss, folgt das Kabinett dem vorgeschriebenen Weg: Um kurz nach 15 Uhr beantragt der Bundeskanzler nach Artikel 39 Abs. 3 des Grundgesetzes beim Bundestagspräsidenten die Einberufung einer Sondersitzung. Dieser legt daraufhin nach Rücksprache mit den Fraktionen den Sitzungstermin fest und lädt mit einer "Amtlichen Mitteilung" zur Sondersitzung am folgenden Mittwoch ein. Um 16.07 Uhr erreicht die Mitteilung bereits das Tagungsbüro, wo riesige Berge schon beschrifteter Briefumschläge bereit liegen. Die Mitarbeiter haben den Vorlauf seit Beginn der Woche gut genutzt. Sie empfinden die Absehbarkeit dieser Sondersitzung als durchaus komfortabel. 666 "Mitteilungen" werden in Windeseile eingetütet – auch ein Blatt mit Hinweisen auf den vorläufigen Tagungsplan und die voraussichtlichen Termine der einzelnen Fraktionssitzungen kommt mit hinein. Und ab geht die Post.

Transport der Briefe zum Postausgang.
Transport der Briefe zum Postausgang.

53 Minuten nach dem Eingang der "Mitteilung" sind alle Sendungen auf dem Weg. Und zwar als "express ident". Express wie schnell. Und ident wie identifizierbare Ablieferung. 22 Stunden später, es ist inzwischen Freitag Nachmittag, hat die Bundestagsverwaltung die positive Rückmeldung von 604 Abgeordneten, die den Erhalt der Einladung quittiert haben. Die Auslieferer unternehmen am Freitag einen weiteren Anlauf. Als Ergebnis schmilzt die Zahl der Unerreichten bis Samstag Morgen von 62 auf elf. Und pünktlich zum Wochenbeginn stehen die Lichter 666 Mal auf Grün.

Verpacken von Sitzungsunterlagen.
Verpacken von Sitzungsunterlagen.

Die Anreise organisiert jeder Abgeordnete selbst. Wer zu Hause war, hatte schon Gelegenheit, sich über den Computeranschluss im Wahlkreisbüro in die Materie einzulesen. Andere finden die Unterlagen in ihrem Berliner Abgeordnetenbüro. Sowohl elektronisch als auch auf Papier ist das Material in der Zwischenzeit an die Abgeordneten versandt worden. Die beraten zu Beginn der Woche zunächst fraktionsintern, wie sie mit dieser nicht ungefährlichen Mission umgehen sollen. Letzte Gespräche laufen in den Nächten auch noch zwischen Oppositionsvertretern und der Bundesregierung. Schließlich soll eine größtmögliche Mehrheit des Parlamentes hinter dem Entsendebeschluss stehen.

Sitzung des Auswärtigen Ausschusses.
Sitzung des Auswärtigen Ausschusses.

Dann kommt es am Mittwoch noch einmal auf eine funktionierende Organisation an: Morgens um neun wird der Antrag der Bundesregierung im Bundestag beraten. Am Ende dieser ersten Lesung steht die übliche Überweisung zur detaillierten Beratung einzelner Aspekte in die jeweiligen Fachausschüsse. In diesem Fall sind dies der federführende Auswärtige Ausschuss, der Verteidigungsausschuss, der Rechtsausschuss, der Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe, der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und der Haushaltsausschuss. Sieben auf einen Streich. Und sie alle tagen am späten Vormittag parallel zueinander – teils mit prominenten Sachkundigen. Der Außenminister informiert den Auswärtigen Ausschuss über den letzten Stand der Dinge, der Verteidigungsminister den Verteidigungsausschuss. Und im Europaausschuss kann der mazedonische Verteidigungsminister Vlado Buckovski als Gast zusätzliche Informationen über die Hintergründe der vertrauensbildenden Maßnahmen im gesamten Friedensprozess für den Balkan geben.

Sitzung des Auswärtigen Ausschusses.
Sitzung des Auswärtigen Ausschusses.

Zustimmungen, Anregungen und Bedenken der anderen Fachausschüsse – zum Beispiel zum Schutz der Bevölkerung in der vorgesehenen Einsatzregion – sammelt der federführende Ausschuss, der über das Ergebnis aller Fachberatungen wiederum dem gesamten Parlament Bericht erstattet. Was sonst eine Sache von Wochen ist, muss nun binnen Stunden geschehen. Am Schluss geht es um Minuten. Haarscharf können die mitberatenden Ausschüsse die Fristen einhalten, bis zu denen der Auswärtige Ausschuss die Mitberatungsergebnisse haben will, um seine Beschlussempfehlung zu formulieren.

Sitzung des Auswärtigen Ausschusses.
Sitzung des Auswärtigen Ausschusses.

Nicht nur die mit Mazedonien befassten Parlamentarier kommen zwischen den beiden Plenarsitzungen zusammen. Einige Abgeordnete nutzen die unverhoffte Gelegenheit von zusätzlichen Sitzungstagen zur Besprechung anderer Angelegenheiten. Der Landwirtschaftsausschuss organisiert sogar eine offizielle Sitzung, um sich mit dem Kampf gegen die Maul-und-Klauen-Seuche zu beschäftigen.

Wartende Fotografen.
Wartende Fotografen.

Während die Fraktionen noch einmal zusammentreten, um die eigene politische Marschrichtung zu besprechen, laufen die Druckmaschinen. Schließlich sollen zu Beginn der entscheidenden Sitzung an diesem Mittwoch Nachmittag die Beschlussempfehlung des Ausschusses sowie zusätzliche Entschließungsanträge der einzelnen Fraktionen auf den Pulten im Plenarsaal liegen. Vorsichtshalber hat das Tagungsbüro den parlamentseigenen Polizei- und Sicherungsdienst eingeschaltet, damit die Unterlagen auch bei unvorhergesehenen Verkehrsbehinderungen das Hohe Haus rechtzeitig erreichen. Ein Stau in Berlin soll nicht den Ablauf durcheinander bringen, letztlich die Soldaten verunsichern, die ebenfalls schon auf gepackten Seesäcken sitzen und auf das "Go!" des Parlamentes warten. Aber der Weg von der Lehrter Straße zum Reichstagsgebäude ist an diesem Mittag frei. Das Blaulicht bleibt aus, der Fahrer der Druckerei kommt zügig durch. Erleichterung in der Bundestagsverwaltung: "Es war knapp, aber es hat geklappt."

Namentliche Abstimmung.
Namentliche Abstimmung.

Gregor Mayntz

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2001/bp0108/0108081
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