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03/2002
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ESSAY

Die Bilder entscheiden

von Tissy Bruns

Tissy Bruns.

Tissy Bruns.

Wo wird entschieden über die öffentlichen Angelegenheiten? Der wichtigste Ort dafür ist im Verständnis aller Demokraten dort, wo die gewählte Volksvertretung zusammenkommt. In allen Sprachen ist für diesen Ort ein Oberbegriff jenseits des konkreten Namens geläufig: Parlament. Hier geht es um Reden, Debatten, Kontroversen. Im Parlament dominiert, kurzum, das Wort.

Die Öffentlichkeit von heute, so scheint es, nimmt diesen Ort immer weniger ernst. Jedenfalls, wenn sie in Gestalt von Journalisten auftritt. Sie nehmen auf der Pressetribüne im Bundestag so selten Platz, dass die Abgeordneten schon darüber nachgedacht haben, ob die Plätze nicht besser den Besuchergruppen zur Verfügung gestellt werden sollten. Der Bundestagspräsident hat unlängst beklagt, dass viele Spitzenpolitiker die Medien vorziehen, wenn Neuigkeiten zu verkünden sind. Angeblich spielen heute Talk-Shows so etwas wie eine Ersatzrolle für das Parlament, das zu langweilig geworden ist für das Publikum und für die Medien mit ihrem Hunger nach Personalisierung, Symbolik und politischer Inszenierung.

Daran ist wahr, dass der Bundestag mit Talk-Shows nicht konkurrenzfähig ist. Es stimmt auch, dass die Parlamentsarbeit für die veröffentlichte Meinung in den Hintergrund tritt im Vergleich zu den Machtkämpfen in Parteien oder Koalitionen. Aber unwahr ist die kulturpessimistische Annahme, irgendein Bürger könnte glauben, bei Christiansen würde über die Rentenreform entschieden. Das schwache öffentliche Interesse am Bundestag beleuchtet nur besonders drastisch, wie sehr sich der öffentliche Diskurs über Politik verändert hat. Dass die Bürger nur noch an Unterhaltung interessiert sind, stimmt heute so viel oder so wenig wie zu Adenauers oder Brandts Zeiten. Beide mussten einem Fußball-Endspiel, einem Durbridge-Krimi den Vortritt lassen, und ganz ohne Unterhaltungswert ist Politik nie ausgekommen. Früher ergab er sich aus der Spannung zwischen den politischen Lagern, die klar unterscheidbar waren und denen sich viel mehr Bürger als heute eindeutig zuordnen konnten. Große Parlamentsdebatten oder Wahlkämpfe folgten der Dramaturgie eines sportlichen Zweikampfs, bei dem sich die Bürger mit Freud oder Leid von Siegern und Besiegten identifizieren konnten.

Längst ist der mehrdeutige Spitzenpolitiker an die Stelle des eindeutig identifizierbaren Lagers getreten. Er muss für die Unterscheidbarkeit sorgen, die an den Parteien nur noch schwer dingfest zu machen ist. Parallel haben sich dramatische Veränderungen auf der medialen Seite vollzogen: Es gibt kein politisches Ereignis mehr, das nicht zuallererst über das Fernsehen kommuniziert wird. Also über Bilder, und Bilder sind es auch, die maßgeblich darüber entscheiden, ob Spitzenpolitiker X oder Y beim Bürger glaub- und vertrauenswürdig ist.

Erst das Zusammenwirken beider Veränderungen hat zu einem Verhältnis zwischen Politik und Medien gesorgt, das mehr als früher von Skepsis geprägt ist. Es verdient festgehalten zu werden, dass auf beiden Seiten etwas Ähnliches Anstoß erregt: Der Begriff Inszenierung hat, ob Politiker oder Journalisten darüber sprechen, einen negativen Beigeschmack. Wenn wir einem Politiker eine gelungene Inszenierung bescheinigen, dann schwingt immer mit, dass dahinter wohl nichts steckt. Misstrauisch vermuten Politiker bei den Medien einen inszenierten Umgang mit politischen Themen, überzogene Personalisierung, das "Hochziehen" von Streit und ein Desinteresse an der "eigentlichen" politischen Arbeit.

Politik ist noch nie ohne Inszenierungen ausgekommen. Dass sie nötig ist, gerade im Zeitalter der elektronischen Medien, liegt auf der Hand, schon weil diese Medien bildträchtig sind. Aber auch, weil Politik heute in einer gewaltigen Flut von Informationen und Events um Aufmerksamkeit konkurrieren muss. Ein Problem nicht nur für die Politiker, sondern auch für die politischen Korrespondenten und Berichterstatter. Vielleicht ist es gar nicht schlecht, dass dem Bundestag in diesem Wettlauf natürliche Grenzen gesetzt sind. Denn die Demokratie ist auch aus der Abgrenzung gegen die bildlich inszenierte Macht von Sonnenkönigen entstanden. Sie setzt auf das Wort, auf Reden und Debatten. Gefährlich sind nicht die Inszenierungen von Politikern und Medien, sondern das Missverständnis, dass Inszenierungen das ersetzen könnten, was demokratische Politik unverändert bleibt: ein starkes, langsames Bohren von dicken Brettern.

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Tissy Bruns, in Sachsen-Anhalt geboren und im ersten Beruf Lehrerin, arbeitet seit 1981 als Journalistin. Von 1991 bis zum Umzug nach Berlin im Sommer 1999 war sie Parlamentskorrespondentin in Bonn, schrieb zunächst für die "tageszeitung", später für den "Stern", die "Wochenpost" und den "Tagesspiegel". Seit April 2001 leitet sie das Berliner Korrespon-dentenbüro der "Welt". Seit 1999 ist sie Vorsitzende der Bundespressekonferenz, die ein Zusammenschluss aller Parlamentskorrespondenten ist. Tissy Bruns ist verheiratet und hat einen 14-jährigen Sohn.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2002/bp0203/0203003a
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