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Startseite > DIALOG > Online-Konferenzen > 2003 > Online-Konferenz mit dem Vertreter des EU-Konvents zum Thema "Die neue Europäische Verfassung - Pro und Kontra" vom 1. Juli 2003 >
EU-Konvent
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Online-Konferenz mit Prof. Dr. Jürgen Meyer zu dem Thema:

"Die neue Europäische Verfassung" - Pro und Kontra


Fotografie von Prof. Dr. Jürgen Meyer
Prof. Dr. Jürgen Meyer während der Online-Konferenz

Name Land Frage Antwort
 M. Solterbeck    Hat Herr Juncker, Premierminister von Luxemburg, den Konvent mit Recht kritisiert?  Nein. Er war allerdings verständlicherweise darüber enttäuscht, dass sich in der Schlussphase des Konvents nicht, wie bei Regierungskonferenzen üblich, die Regierungsvertreter, sondern die Parlamentsdeligierten durchgesetzt haben. Diese haben mit ihrer Mehrheit von 72 der insgesamt 105 Deligierten erreicht, dass der Verfassungsentwurf echte Reformen vorsieht. Eine Mehrheit der Regierungsvertreter hatte versucht, den Vertrag von Nizza und die daraus abgeleiteten Machtstrukturen zu behaupten.
 T. Kraemer    Wird die Regierungskonferenz an dem Verfassungsentwurf des Konvents viel ändern?  Nein. Denn im Konvent war jede Regierung durch einen eigenen Vertreter des Staats- oder Regierungschefs vertreten. Dieser war in den Diskussionsprozess und die Konsensfindung des Konvents eingebunden. Das verpflichtet die Teilnehmer der bevorstehenden Regierungskonferenz. Man könnte das Verfahren als "List der Konventsidee" bezeichnen.
 breuer    Was geschieht mit den nationalen Verfassungen? Werden diese durch die europ. Verfassung aufgehoben?  Nein. Die nationalen Verfassungen bleiben als Grundordnung der Mitgliedstaaten bestehen. Die Verfassung der EU regelt hingegen, wofür und wie die EU handelt. Sollte es allerdings ausnahmsweise zu inhaltlichen Widersprüchen kommen, gilt der Vorrang des EU-Rechts.
 HvS    Wie ist das Gefühl, dabeigewesen zu sein???  Gut. Zur Zufriedenheit besteht allerdings erst dann Anlass, wenn die Schlussarbeiten des Konvents am 4. und am 10./11. Juli erfolgreich beendet und die Verfassung danach in Kraft getreten ist.
 Todorova    Wie sehen Sie das Inkrafttreten der Europäischen Verfassung - europaweites Referendum, Referenden in den Mitgliedstaaten ? Wer entscheidet letztednlich über die Methode ? Und nach welcher Methode ist die Verfassung dann verfassungsrechtlich ``legal``?  Die Verfassung tritt in Kraft, sobald sie in allen Mitgliedstaaten (nach dem 01.05.2004 also 25 Staaten) nach Maßgabe der nationalen Verfassungen in Kraft gesetzt ist. Dies geschieht je nach nationalem Recht durch Referendum oder durch Ratifikation seitens des nationalen Parlaments. Die Legitimität der Verfassung wäre besonders groß, wenn in möglichst vielen Staaten ein Referendum stattfände. Dieses könnte am Tag der Europawahl 2004 mit der Wahl der EP-Abgeordneten verbunden werden.
 Ekrem Eddy Güzeldere  Italien  Sehr geehrter Herr Dr. Meyer, Halten Sie den Verfassungsentwurf für gut lesbar und allgemein verständlich?  Uneingeschränkt ja für Teil II der Verfassung, die Grundrechtecharta. Mit gewissen Einschränkungen ja auch für Teil I. Ob eine ähnlich gute Bewertung für die noch abschließend zu bearbeitenden Teile III und IV gerechtfertigt ist, kann man erst nach Beendigung des Konvents sagen.
 K. Schwarz    Eine sehr konkrete Frage: In Artikel 23 ist folgendes geregelt: "Die Gleichheit von Männern und Frauen ist in allen Bereichen, einschließlich der Beschäftigung, der Arbeit und des Arbeitsentgelts, sicherzustellen." Was meint das - Gleichwertigkeit, Gleichartigkeit oder tatsächlich Gleichheit i.e.S. ? Ich bin für Gleichwertigkeit, aber gegen Gleichmacherei im Privaten. Schließlich wollen wir doch keine Frauenparkplätze verbieten, oder ? Ews gibt Unterschiede, und die sollte man auch nicht einfach durch so einen Verfassungsartikel wegdefinieren. Ich finde unser Art. 3 GG ist da wesentlich besser formuliert.  Der von Ihnen zutreffend zitierte Art. 23 der Grundrechtecharta beruht auf der Rechtssprechung des EuGH, während der von Ihnen angesprochene Art. 3 Grundgesetz sich in Art. 20 der Grundrechtecharta wiederfindet. Die Besonderheit von Art. 23 steht in Abs. 2 (Gleichstellungsgebot) danach sind spezifische Vergünstigungen bei gleicher Qualifikation etwa im Wettbewerb um einen Arbeitsplatz dann möglich, wenn diese dem unterrepräsentierten Geschlecht zugute kommen. In keinem der genannten Artikel geht es um Gleichmacherei. Ungleichbehandlung darf nur an essentielle Ungleichheit anknüpfen. Das ist ein Grundgedanke der Gleichstellung, dem alle Deligierten des ersten Konvents (Herzog-Konvent) zugestimmt haben.
 M. Solterbeck    Hat Herr Juncker, Premierminister von Luxemburg, den Konvent mit Recht kritisiert?  Nein. Er war allerdings verständlicherweise darüber enttäuscht, dass sich in der Schlussphase des Konvents nicht, wie bei Regierungskonferenzen üblich, die Regierungsvertreter, sondern die Parlamentsdeligierten durchgesetzt haben. Diese haben mit ihrer Mehrheit von 72 der insgesamt 105 Deligierten erreicht, dass der Verfassungsentwurf echte Reformen vorsieht. Eine Mehrheit der Regierungsvertreter hatte versucht, den Vertrag von Nizza und die daraus abgeleiteten Machtstrukturen zu behaupten.
 carsten wollenweber    Welche Prozedur ist für Veränderungen der zukünftigen Verfassung vorgesehen?  Diese Frage ist noch nicht abschließend geklärt. Einigkeit besteht allerdings darüber, dass Änderungen grundsätzlich nach der Konventsmethode vorbereitet werden müssen. Das alte Verfahren der Regierungskonferenzen wird es nicht mehr geben
 Todorova    Was passiert, wenn in einem oder mehreren der MS die Prozedur scheitert ? Kann demnach das Prinzip der``verstärkten Zusammenarbeit`` auch angewandt werden ? Für diejenigen MS, die die Verfassung abgelehnt haben, gilt die auch nicht?  Bislang ist im Entwurf des Präsidium des Konvents für Teil IV lediglich vorgesehen, dass dann der Europäische Rat das weitere Vorgehen prüfen muss. Die künftige Verfassung mit der vorgesehenen Regelung einer verstärkten Zusammenarbeit kann, wie Sie richtig feststellen, an sich nur für die Staaten gelten, die der Verfassung zugestimmt haben. Diese ersetzt das bisher geltende Vertragsrecht.
 C.Brökelmann    Was wird aus der Kritik der CSU an dem Verfassungsvertrag?  Die Kritik erregt schon bei der CDU wenig Wohlwollen. Es hat der Bundesrepublik nicht geschadet, dass der Freistaat Bayern 1949 dem Grundgesetz nicht zugestimmt hat. Und es wird Europa nicht schaden, wenn sich das selbe bei der Europäischen Verfassung wiederholen sollte.
 mari    Noch mal zur Gleichheitsfrage: Derzeit wird über die Zulässigkeit unterschiedlicher Rentenversicherungstarife für Männer und Frauen diskutiert. Ist die unterschiedliche Lebenserwartung eine "essentielle Ungleichheit", die eine ungleiche Behandlung mit Anknüpfung an das Geschlecht rechtfertigt ?  Nein. Denn diese Erwartung ist lediglich eine statistische Aussage, die bei der Berechnung der individuellen Rentenansprüche nach meiner Auffassung nicht ins Gewicht fallen darf. Diese Ansprüche und die entsprechenden Tarife müssen in erster Linie aus der Dauer der Beitragszahlungen abgeleitet werden.
 Thomas Enderlin    Warum konnte nicht erreicht werden, dass die Atompolitik nach EURATOM sich in dieser Form nicht mehr im Verfassungsentwurf wiederfindet?  Das ist leider am Widerstand der französichen und britischen Delegierten im Konvent gescheitert. Ich setze mich aber dafür ein, dass dieses Thema auf die Tagesordnung einer der nächsten Regierungskonferenzen kommt. Dabei geht es nicht einmal in erster Linie um eine zu führende Atomausstiegsdiskussion, sondern um mehr Demokratie in Europa. Dem entspräche es, wenn über die Verwendung der Steuergelder auch aus Deutschland künftig das Europäische Parlament mitentscheiden könnte. Dann könnte auch wenigstens ein Teil dieser Gelder für die Erforschung alternativer Energien verwandt werden.
 Magda Schlüter    Wie schätzen Sie die Chancen dafür ein, zu einer effektiven gemeinsamen Außenpolitik der EU zu kommen? Wäre die Idee eines Kerneuropas eine akzeptable Alternative?  Der Konvent setzt große Hoffnungen auf die Arbeit des künftigen Europäischen Aussenministers. Dieser ist für die Einleitung strategischer Initiativen zuständig und steht in einem ständigen Diskussionsprozess mit dem Europäischen Parlament. Er hätte es allerdings leichter, wenn die künftigen Grundentscheidungen des Europäischen Rates mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden könnten, wie es die deHane-Arbeitsgruppe vorgeschlagen hat. Ich werde mich in den verbleibenden Konventssitzungen dafür einsetzen.
 HvS    Wann kommt denn nun der Chairman? Der Aussenminister? Die kleinere Kommission?  An dem Tag, an dem die neue Verfassung in Kraft tritt, wahrscheinlich im Jahr 2006. Alle drei Reformschritte sind im aktuellen Entwurf vorgesehen.
 Gerhard Schröder    Prof. Meyer, bitte ganz ehrlich: Wie viele der (neuen/neu zu besetzenden) Posten sind Ihrer Meinung nach bereits vergeben?  Ich bin immer ganz ehrlich. Nach meiner Information ist entgegen zahlreichen Medienberichten auch der Posten des künftigen Europäischen Aussenministers noch keineswegs vergeben. Für andere Positionen gilt das erst recht.
 L. Jauch    Hat der neue Verfassungsvertrag neue Elemente der partizipativen Demokratie erhalten?  Ja. Ich bin sehr froh darüber, dass meine Initiative der Einführung eines Europäischen Bürgerbegehrens Aufnahme in den Verfassungsentwurf gefunden hat. Nach Art. 46 der Verfassung können 1 Mill. EU-Bürgerinnen und Bürger durch ihre Unterschrift erreichen, dass die Kommission eine Gesetzesinitiative erarbeitet und auf den Weg bringt. Diese Möglichkeit hat bisher nur das Europäische Parlament.
 Todorova    In Welchen Politikbereichen hat sich laut Verfassung die Entscheidunsgprozedur geändert - welche sind immer noch Veto-Politikbereiche ? Und in welchen hat das EP an Entscheidungsmacht dazugewonnen ?  Das grundsätzliche EU-Gesetzgebungsverfahren ist künftig das Mitentscheidungsverfahren zwischen EP und Legislativrat. Das EP entscheidet mit einfacher Mehrheit und der Legislativrat mit doppelter Mehrheit (Mehrheit der vertretenden Staaten sowie 60 % der vertretenen Bevölkerung). Ein besonders wichtiger Zugewinn des EP ist neben der Wahl des Kommissionspräsidenten künftig das volle Haushaltsrecht (unter Einschluss der früher so benannten obligatorischen Ausgaben, etwa für die Landwirtschaft). Einstimmigkeit ist bisher noch in der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und leider, wie eben erwähnt, in der gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspoltik vorgesehen, außerdem in der Steuerpolitik. Eine wichtige Aufgabe des Konvents in seinen beiden abschließenden Sitzungen besteht aus meiner Sicht darin, die Einstimmigkeit noch weiter zurückzudrängen.
 Thomas Anders    Herr Meyer, bleiben Sie persönlich denn dem Europäischen Integrationsprozeß erhalten?  Ich werde mich weiter für die Europäische Verfassung engagieren, beispielsweise durch die 2. Auflage des von mir herausgegebenen Kommentars zur Grundrechtecharta der EU (Teil II der Verfassung).
 Vanessa    Werden sich Forderungen nach einer strengeren bzw. nicht-europäisch geregelten Zuwanderung durchsetzen?  Das ist gut möglich, insbesondere für den Bereich der Zuwanderung auf den nationalen Arbeitsmarkt aus Drittländern. Ein nicht von der Hand zu weiseendes Argument insoweit ist, dass die Besonderheiten des jeweiligen Arbeitsmarktes berücksichtigt werden müssen und von Brüssel aus nicht mit dem dafür notwendigen Sachverstand beurteilt werden können. Insofern handelt es sich nicht zuletzt um ein Subsidiaritätsproblem (Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, solange sie eine Frage ausreichend regeln können und eine Regelung der EU keinen Europäischen Mehrwert hat).
 Paul Kirchhof    Sie sagen: "Sollte es allerdings ausnahmsweise zu inhaltlichen Widersprüchen kommen, gilt der Vorrang des EU-Rechts." Kommt damit die vorauszusehende Ratifizierung des Dokuments durch den Deutschen Bundestag nicht einer Verfassungsänderung gleich? Welches Abstimmungsverfahren ist hierfür vorgesehen?  Sie haben Recht. Nach meiner Auffassung ergibt sich aus Art. 23 Grundgesetz, das Bundestag und Bundesrat der EU-Verfassung mit 2/3 Mehrheit zustimmen müssen.
 Klaus Latteck    Wie schätzen Sie die Chancen für ein Referendum über die Europäische Verfassung in Deutschland ein?  Die rot-grüne Koalition wird nach jetzigem Diskussionsstand den Entwurf, der plebiszitäre Elemente ins Grundgesetz einführen will und der in der letzten Legislaturperiode leider am Widerstand der Opposition gescheitert ist, nach der Sommerpause erneut einbringen und durch die auch von der FDP geforderte Möglichkeit eines Referendums über die EU-Verfassung anreichern. Dann wird sich zeigen ob die Ankündigungen aus den Reihen der CSU ausreichen, um die benötigte 2/3 Mehrheit im Bundestag und Bundesrat zu erreichen.
 anna viefhues  deutschland  wird die neu einzurichtende europäische rüstungsagentur die aufgaben moderner armeen entscheidend beeinflussen?  Das eher nicht. Es geht in erster Linie um gemeinsame und damit kostensparende Beschaffungsmaßnahmen. Allerdings ist auch Forschung ein Aufgabenbereich der Agentur. Welchen Einfluss diese haben wird, kann man erst sagen, wenn erste Forschungsergebnisse vorliegen.
 Emilia Gasser    Warum konnte sich das Mitentscheidungsverfahren in der Agrarpolitik nicht durchsetzen?  In diesem Bereich gibt es nach wie vor die bekannten Bedenken insbesondere aus Frankreich (z.B. Ablehnung der aus deutscher Sicht vernünftigen Co-Finanzierung). Es ist aber ein großer Fortschritt, dass sich das Haushaltsrecht des Europäischen Parlaments künftig auch auf die Agrarsubventionen erstreckt.
 Todorova    Wieso kann sich die Mehrheit der parlamentarischen Delegierten ( 78 von 101 ) in diesen zwei Bereichen nicht durchsetzen, wie in anderen von Ihnen hier schon erwähnten ???  Die 72 Parlamentsdelegierten reichen nicht aus, weil der Konvent seine Vorschläge im Konsenz macht. Dieser ist zwar auch erreichbar, wenn nicht jeder Delegierte mit jeder Regelung einverstanden ist. Das ist geradezu das Wesen des notwendigen Kompromisses. In den beiden Bereichen von GASP und GSVP gibt es bisher allerdings erheblichen Widerstand nicht nur vieler Regierungsvertreter, sondern auch etlicher Parlamentsdelegierter.
 Mindaugas  Litauen  Wie werden die Rechte den kleineren Staaten IN EU Verfassung geschutzt?  Zum einen dadurch, dass bei der Berechnung der doppelten Mehrheit im Rat die kleineren Staaten ebenso 1 Stimme haben wie die größeren. Zum zweiten erhalten auch die kleinsten Staaten im Europäischen Parlament mindestens 4 Sitze, obwohl ihnen nach Verhältnismäßigkeitswahlrecht weniger zustünde. Am wichtigsten ist aber, dass in der praktischen Koventsarbeit die kleineren Staaten vollen Respekt erhalten, was sich auch darin ausdrückt, dass sie ebenso wie die größten Staaten 3 Delegierte haben (1 Regierungs- und 2 Parlamentsvertreter).
 Luisa Färber    Wie lange wird Ihr Konventsbüro noch für die Information nicht nur des Deutschen Bundestages, sondern auch für die interessierten Bürerginnnen und Bürger zur Verfügung stehen?  Jedenfalls bis zum Ende dieses Jahres 2003, wahrscheinlich aber darüber hinaus bis zum Abschluss des Ratifikationsverfahrens durch den Deutschen Bundestag. Das Büro ist folgendermaßen erreichbar: Tel. 030/227-79120 Fax. 030/227-56177 e-mail: juergen.meyer@bundestag.de
 Friederike Fransen    Lieber Professor Meyer! Ich möchte mich einfach einmal bei Ihnen bedanken, daß Sie sich so unermüdlich für die Belange der Bürgerinnen und Bürger eingesetzt haben!  Danke. Gern geschehen.
Quelle: http://www.bundestag.de/dialog/Konferenzen/2003/eu_konvent030701/trans_meyer
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