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Bundestagspräsident Thierse betont Bedeutung der "Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft"

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hält anlässlich eines Empfangs zum 50-jährigen Bestehen der "Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft" im Paul-Löbe-Haus in Berlin nachstehende Ansprache:

"50 Jahre "Deutsche Parlamentarische Gesellschaft"- das ist ein Jubiläum, an das auch in Tagen weltpolitischer Spannungen erinnert sein will, ja, erinnert werden muss. Durch die Terroranschläge des 11. September ist uns besonders bewusst geworden, wie notwendig der politische Konsens in Grundfragen ist. Für diesen Konsens der Demokraten in der Bundesrepublik Deutschland hat die "Deutsche Parlamentarische Gesellschaft" in fünf Jahrzehnten Wichtiges geleistet. Hier ist vieles vorgedacht, besprochen, auf den Weg gebracht worden, worauf unsere parlamentarische Demokratie aufbauen kann.

Die "Deutsche Parlamentarische Gesellschaft" ist längst zu einer Institution geworden ist. In Berlin ist sie eine erste Adresse für die Mitglieder des Deutschen Bundestages, gegenwärtige wie ehemalige, und ebenso für Parlamentarier-Delegationen aus aller Welt. Sie wird geschätzt als ein Ort der Gastlichkeit und der Entspannung. Beides ist nach dem Stress der politischen Tagesarbeit oft dringend erforderlich. Aber es geht nicht nur um Stressabbau und Erholung. Die eigentliche politische Bedeutung der "DPG" liegt darin, die vertrauensvolle Begegnung, das vertrauliche Gespräch über die Parteigrenzen hinweg zu fördern. In der "DPG" steht nicht das parteipolitische Gegeneinander, sondern das überparteiliche Miteinander im Mittelpunkt. Carlo Schmid hat die DPG treffend charakterisiert als einen Ort, "an dem man sich begegnen kann als jener, der man ist, mit dem anderen, wie er ist, reden kann, und wo Toleranz nicht bedeutet, dass man den anderen nur erträgt, sondern dass man ihn in seinem Anderssein bejaht und haben will".

1951 in Bonn gegründet, fand die "DPG" nach ersten, provisorischen Tagungsstätten dann in der Dahlmannstraße ein repräsentatives Haus, an das viele Parlamentarier gute Erinnerungen haben. So denkt Richard Stücklen sicherlich gerne an zahlreiche gewonnene Schafkopf-Partien zurück, Wolfgang Mischnick an lange und erfolgreiche Skat-Abende und und und ... Viele Namen, viele unvergessene Persönlichkeiten müssten hier erwähnt werden. In den Räumen der "DPG" haben immer wieder Politiker mit grundverschiedenen Haltungen in Begegnungen und Gesprächen zueinander gefunden; Herbert Wehner und Ludwig Erhard zum Beispiel, aber auch Graf Lambsdorff und Franz-Josef Strauß. Sie verabredeten sich nach einem heftigen politischen Schlagabtausch im Plenum spontan zum Versöhnungsessen in der DPG. Damals wie heute ist das eine der schönsten Möglichkeiten, die Wunden parlamentarischer Auseinandersetzungen wieder zu heilen.

"Versöhnung mitten im Streit" - dieses Hölderlin-Wort könnte das Motto der "DPG" sein. Denn Streit gab es natürlich bisweilen auch in der "DPG". Unvergessen sind die Auseinandersetzungen um die Ausstellung von Klaus Staeck in den Räumen der "DPG" im Juli 1976. Sie brachte einige Abgeordnete so in Rage, dass sie sich bilderstürmerisch an seinen Menschenrechtsplakaten zu schaffen machten. Aber gerade diese Kunst muss die Politik aushalten können - damals wie heute.

1999 ist mit dem Deutschen Bundestag auch die "DPG" nach Berlin übergesiedelt. Im neuen Sitz der "DPG", dem ehemaligen Reichtagspräsidentenpalais, fühlen sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages bereits heimisch. Das Gebäude mit der unverwechselbaren Sandsteinfassade ist sorgfältig restauriert worden, die neuen Räumlichkeiten haben eine ganz eigene Atmosphäre, der "Kaisersaal" bietet viel Platz für Begegnungen und Veranstaltungen - und außerdem liegt die DPG nun noch näher am Plenum.

Das ehemalige Reichstagspräsidentenpalais hat eine bewegte Geschichte, die man durchaus auch als politische Allegorie der jüngeren deutschen Geschichte lesen kann. Jenes Gebäude, in dem zuerst demokratisch gewählte Reichstagspräsidenten wie Paul Löbe, dann ein Repräsentant der demokratie- und menschenverachtenden NS-Politik residierte, wurde nach 1949 zunächst Sitz des Instituts für Marxismus-Leninismus, dann des Volkseigenen Betriebs Schallplatte. Gerüchten zufolge soll später der Staatssicherheitsdienst von dort aus seine Abhörversuche über die Mauer gestartet haben. Man kann sich für die Arbeit der "DPG" kaum geeignetere Räumlichkeiten denken als dieses Gebäude, in das sich die wechselvolle deutsche Geschichte eingeschrieben hat. Nachdem es zuletzt für staatlich organisierte Lauschangriffe einer Diktatur verwendet wurde - dank der friedlichen Revolution der Ostdeutschen und der deutschen Einheit - ein Ort des vertrauensvollen Gesprächs unter demokratisch gewählten Volksvertretern geworden.

Am neuen Standort Berlin will sich die "Deutsche Parlamentarische Gesellschaft" stärker als bisher der Stadtgesellschaft öffnen. Hier sollen sich Kultur und Politik begegnen und austauschen. Ausstellungen bildender Künstler und Buchpräsentationen gehören schon zur Tradition der "DPG". In der Bundeshauptstadt, deren größter Reichtum ihre kulturelle Vielfalt ist, gibt es bereits vielerlei Gelegenheiten für Begegnungen zwischen Kultur und Politik. Gerade in einer Medienstadt wie Berlin, in der jede Begegnung, jeder Wortwechsel von Politikern registriert wird, würde ein Ort fehlen, an dem die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ungestört, vertrauensvoll und auch zweckfrei, in Muße, miteinander reden können, wenn die "DPG" ihren Charakter wesentlich verändern würde. Die parlamentarische Demokratie ist auf solche Orte der vertraulichen, der persönlichen Begegnung und des Dialogs angewiesen. Denn Politik wird von Menschen gemacht. Und der Ort, an denen diese Menschen einmal nicht auf ihre öffentliche Rolle, ihre Funktion als Sprecherinnen von Fraktionen festgelegt sind, sondern sich in ihrer gesamten Persönlichkeit begegnen können, bekommt dadurch eine besondere Bedeutung für die Fähigkeit zum Kompromiss, für die Festigung des Grundkonsens der Demokraten im Deutschen Bundestag. Das ist der Verdienst der "Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft" seit fünfzig Jahren. Ich wünsche ihr auch für die Zukunft alles Gute".

Quelle: http://www.bundestag.de/parlament/praesidium/reden/2001/019
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