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Das Parlament
Nr. 21 / 23.05.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Hans Krech

Endloser politischer Streit und Ränkespiele am Hindukusch

Dubiose Geheimverhandlungen in Afghanistan

Geheimverhandlungen haben in der afghanischen Geschichte eine lange Tradition. Sie sind auch ein bestimmender Teil der politischen Auseinandersetzung in der Gegenwart. Gestützt auf veröffentlichte Quellen und Hintergrundinformationen des pakistanischen Geheimdienstes ISI gibt es in Afghanistan drei parallel verlaufende geheime politische Verhandlungsprozesse: Erstens: Verhandlungen der Taliban-Führung um Mullah Muhammad Omar mit den paschtunischen Warlords Hekmatyar und Haqqani zur Bildung einer landesweiten politischen und militärischen Front gegen Präsident Karsai und die US-Truppen, zweitens: Verhandlungen der legalen politischen Opposition in Kabul mit den wichtigsten paschtunischen Warlords im Untergrund in Süd-Afghanistan, Hekmatyar und Haqqani, zur Bildung einer gemeinsamen Front gegen Präsident Karsai und drittens: Verhandlungen der Regierung Karsai mit der Taliban-Führung zur Einbeziehung von gemäßigten Taliban-Repräsentanten in die Regierung und der Legalisierung der Taliban als politische Partei sowie mit Randgruppen des im Untergrund kämpfenden Warlords Hekmatyar.

Die Geheimverhandlungen sind in der gegenwärtigen Phase des Machtkampfes um die Kontrolle der Regierung in Kabul vorentscheidend für die zukünftige politische Ausrichtung Afghanistans. Die Phase der Geheimverhandlungen in Afghanistan wurde im Frühjahr 2003 durch den Taliban-Führer Mullah Muhammad Omar eröffnet, der sich seit dem Ende des Afghanistan-Krieges im Umfeld der paschtunischen Metropole Kandahar versteckt halten soll. Als die Taliban von den US-Truppen und der kleinen Gruppierung um Karsai in Kandahar im November 2001 eingekesselt wurden, handelten die Taliban mit den regionalen paschtunischen Warlords und Karsai eine Kapitulation aus. Die Taliban-Krieger übergaben ihre Waffen an die paschtunischen Warlords und sollten straffrei sein. Mullah Muhammad Omar sollte als Prediger an die von ihm errichtete prächtige Moschee nach Kandahar zurückkehren und dort ebenfalls straffrei als geistiger Führer der Taliban leben. Die Taliban sollten nicht verboten, sondern in die Regierung integriert werden.

Dies scheiterte jedoch am Widerstand der US-Regierung, die Mullah Muhammad Omar wegen der Unterstützung von Osama bin Laden vor Gericht stellen wollte. Hubschrauber der US-Marines jagten den mit einem Motorrad flüchtenden Taliban-Führer, der entkommen konnte. Er wird seitdem von paschtunischen Stämmen im Umfeld von Kandahar versteckt und beschützt. Danach sammelte Mullah Muhammad Omar etwa 1.000 Kämpfer um sich, zog in die Berge des Hindukusch südlich von Kandahar und nahm den bewaffneten Kampf gegen die Regierung Karsai und die US-Truppen auf. Mehrere Provinzen im Süden Afghanistans werden weitgehend von Taliban kontrolliert. Doch ihre militärische Kraft reicht keinesfalls zur Rückeroberung ganz Süd-Afghanistans aus. Gefährlich sind sie Taliban ihre Selbstmordanschläge.

Mullah Muhammad Omar versuchte in dieser Situation, ein Kampfbündnis mit den anderen beiden im Untergrund kämpfenden paschtunischen Warlords zu schließen: mit Gulbuddin Hekmatyar und Jallaludin Haqqani. Hekmatyar führt die Hizb i-Islami I und war im Krieg gegen die sowjetischen Truppen in Afghanistan der mächtigste von den USA und arabischen Staaten unterstützte Warlord. Er hat nie ein Hehl daraus gemacht, Präsident des neuen Afghanistans werden zu wollen. Von allen paschtunischen Warlords und Politikern - insbesondere Omar, Haqqani und Karsai - ist Hekmatyar der politisch einflussreichste und machtgierigste Führer der paschtunischen Bevölkerungsmehrheit. Doch er ist ein Todfeind der Taliban und von Al-Qaida, er kämpfte gegen sie und verlor. Nur die Flucht in den Iran rettete ihm das Leben. Als ihm nun der Taliban-Führer Mullah Muhammad Omar im Frühjahr 2003 ein Kampfbündnis anbot, soll Hekmatyar nach allen vorliegenden Berichten abgelehnt haben.

Jedoch nahm er nun selbst Geheimverhandlungen mit dem paschtunischen Warlord Jallaludin Haqqani auf, der mit seiner Hizb i-Islami II im Südwesten Afghanistans erfolgreich gegen US-Soldaten und afghanische Regierungstruppen kämpft. Hekmatyar und Haqqani trafen sich Anfang Juli 2003 zu Geheimverhandlungen und schmiedeten ein Kampfbündnis.

Dann führte Hekmatyar im Sommer 2003 auch Geheimverhandlungen mit Burhannudin Rabbani, dem geistigen Führer der Tadschiken. Beide trafen Absprachen über den Aufbau einer landesweiten paschtunisch-tadschikischen Front gegen Präsident Karsai.

Rabbani lag seit Monaten im politischen Streit mit Marschall Fahim, dem tadschikischen Verteidigungsminister in Kabul. Fahim ist die militärische und politische Hauptstütze von Karsai. Nicht Karsai, sondern Fahim hat in Kabul die Macht. Marschall Fahim stützt sich auf die sieggewohnten Tadschiken aus dem Panshir-Tal am Salang-Pass. Russland unterstützt den früheren tadschikischen Geheimdienstchef besonders massiv. Dadurch hat sich Fahim jedoch innerhalb der Tadschiken zunehmend isoliert. Diese hatten wie auch die Paschtunen unter großen Opfern gegen die sowjetischen Besatzungstruppen gekämpft. Zwischen der kleinen, kampfstarken Gruppierung Fahim und dem größeren Teil der Tadschiken unter Führung von Rabbani kam es 2003 zunehmend zu einem Zerwürfnis.

Rabbani sammelte in Kabul die legale politische Opposition, wie den Usbeken-Führer Rashid Dostum und den Wahhabiten-Führer Rassul Sayyaf, und sie traten auf der Loya Dschirga gemeinsam gegen Karsai auf. Zugleich trafen sie geheime Absprachen mit den paschtunischen Untergrund-Warlords Hekmatyar und Haqqani. Dadurch verlor Karsai 2003/2004 in weiten Landesteilen weiter an Einfluss und Macht. Nur wo ausländische Truppen stehen, hat er auch Regierungsgewalt. Seine eigenen paschtunischen Unterstützer können lediglich etwa 2.000 Kämpfer aufbieten. Als besonders nachteilig erweist sich, dass Karsai Mitglied der reaktionären monarchistischen Gruppierung ist, die bereits 1973 die Macht verlor und ins Exil getrieben wurde. Die Monarchisten haben kaum Rückhalt in der paschtunischen Bevölkerung.

Die Regierung trat selbst in Geheimverhandlungen mit den Taliban ein, um die Bildung einer landesweiten Anti-Karsai-Front zu verhindern. Der in US-Haft sitzende frühere Taliban-Außenminister Mullah Ahmad Mutawakil wurde freigelassen, nachdem er sich in einem Brief aus dem Gefängnis an Karsai als Unterhändler angeboten hatte. Ab Oktober 2003 nahm Mutawakil im Auftrag Karzais Geheimverhandlungen mit den Taliban auf, und beide Seiten erzielten ein Ergebnis. Die Taliban sollten als politische Partei zugelassen werden und in die Regierung eintreten. Taliban-Führer Mullah Muhammad Omar sollte nach Kandahar zurückkehren und als geistiger Führer der Taliban auftreten. Dadurch sollte die Machtbasis Karsais in Süd-Afghanistan erweitert werden. Doch die US-Regierung lehnte die Rückkehr Omars ab. Karsai gelang jedoch ein Teilerfolg bei Geheimverhandlungen mit einer Randgruppierung der Hizb i-Islami I Hekmatyars, die sich im Mai 2004 von ihm lossagte und ins Regierungslager wechselte. Größe und Einfluss dieser Abspaltung lassen sich schwer bewerten.

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