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Das Parlament
Nr. 21 / 23.05.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Martin Mantzke

Perspektiven "proaktiver" Sicherheit

Das neue Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik
Das seit 1997 alljährlich erscheinende "Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik", das von Erich Reiter, dem Beauftragten für Strategische Studien im österreichischen Bundesministerium für Landesverteidigung, herausgegeben wird, hat sich inzwischen für jeden, an sicherheitspolitischen Fragen im weitesten Sinne Interessierten als überaus nützlich erwiesen. Wer nach Auskunft über Vorgeschichte, Hintergründe und Auswirkungen von Krisen und Konflikten und nach Lösungsmöglichkeiten sucht, findet auch in der neuen Ausgabe des Jahrbuchs auf fast alle Fragen erschöpfende Antwort.

Der Band enthält 50 Beiträge von hochrangigen Autoren, ausgewiesenen Fachleuten auf ihrem jeweiligen Gebiet, die aus politischer, wissenschaftlicher und publizistischer Sicht sowohl aktuelle als auch übergreifende sicherheitspolitische Fragen behandeln.

Im ersten Kapitel, das sich allgemeinen sicherheitspolitischen und strategischen Fragen widmet, stellt Dan Diner Überlegungen an über die Regulierung und Deregulierung der Anwendung von Gewalt und fragt, ob das "ius in bello" in Frage steht. Curt Gasteyger behandelt die wachsende Tendenz einer Militarisierung der Außenpolitik, in der er die politisch-strategische Komponente der viel beschworenen wirtschaftlich-technischen Globalisierung sieht. Dieter Ruloff fragt angesichts der Kriege auf dem Balkan, im Kaukasus und der Anschläge vom 11. September 2001, ob Krieg als Mittel der Politik wieder salonfähig geworden sei, und Karl-Heinz Kamp sieht im vorbeugenden Einsatz militärischer Macht, den umstrittenen "preemptive strikes", eine neue Realität der internationalen Sicherheitspolitik.

Das folgende Kapitel über den Krieg gegen den Terrorismus eröffnet Walter Laqueur, der sich über Reaktionsoptionen auf einen, für ihn durchaus wahrscheinlichen terroristischen Angriff mit Massenvernichtungswaffen Gedanken macht. Herfried Münkler behandelt den Terrorismus als neue Ermattungsstrategie, gegen die seiner Überzeugung nach die Entwicklung einer "heroischen Gelassenheit" nicht nur die erste, sondern auch die wichtigste Verteidigungslinie darstellt. Weiterhin geht es konkret um das Verhältnis von Globalisierung und politischem Islam, die Quellen der Macht von Al-Qaida sowie um die Risiken und Dilemmata des westlichen Afghanistan-Engagements.

Das dritte Kapitel behandelt Europa und die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP); angesprochen werden Krisenfaktoren für eine zukünftige Handlungsfähigkeit der Europäischen Union (Josef Janning), die Bedeutung des deutschen Vertrauensverhältnisses zu den USA (Arnulf Baring), die Perspektiven von Kleinstaaten sowie "Grenzen der Lösungskompetenz Brüssels". Zwei Aufsätze thematisieren den kontrovers diskutierten EU-Beitritt der Türkei.

Im Kapitel über die "Region Greater Middle East" geht es um Zukunftsszenarien für den israelisch-palästinensischen Konflikt im 21. Jahrhundert, um die Sicherheitslage in Afghanistan sowie um Herausforderungen des iranischen Nuklearprogramms.

Zum transatlantischen Verhältnis und zur Zukunft der NATO äußern sich im Weiteren John C. Kornblum ("Die Europäische Sicherheitspolitik aus amerikanischer Sicht"), Lothar Rühl ("Die Zukunft der NATO 2010 bis 2015") und Peter Schmidt ("Die NATO und der Irak"). Otfried Nassauer beschreibt Unterschiede und Gemeinsamkeiten amerikanischer und europäischer Bedrohungswahrnehmungen, Sicherheitsstrategien und Reaktionen.

Im Kapitel zu Russland und den GUS-Staaten nimmt Andrei Zagorski eine Bestandsaufnahme der russisch-amerikanischen Beziehungen vor; Manfred Schünemann wirft einen Blick auf Russland am Beginn der zweiten Amtszeit von Präsident Putin, und Ludmilla Lobova schreibt über den politischen Islam im postsowjetischen Russland. Ein anderer Beitrag behandelt die geopolitische Dimension der Konflikte im Südkaukasus.

Im Kapitel über Ost- und Südostasien behandelt Heinrich Kreft die Entstehung eines neuen Mächtedreiecks China-Indien-USA. Dietmar Rothermund fragt, ob es zwischen Indien und Pakistan eine "Friedensoffensive" gibt, Patrick Köllner macht im Hinblick auf Nordkorea "Anmerkungen zu den externen Beziehungen eines ostasiatischen Außenseiters".

Das abschließende achte Kapitel gilt Afrika, einer Großregion, für deren Probleme sich sowohl die USA als auch Europa zunehmend interessieren. Behandelt werden die Krise des Staates und die Privatisierung und Eskalation der Gewalt, das Versagen staatlicher Strukturen im Afrika südlich der Sahara sowie der Staatszerfall in Somalia (der inzwischen schon kein Einzelfall mehr ist). Bedenkenswert hier die Überlegungen, die Stefan Ehlert anstellt hinsichtlich der Chancen der Versöhnung nach Völkermorden und Massakern.

Seinem Anspruch, "zur Weiterentwicklung der sicherheitspolitischen Diskussion über wichtige geopolitische, strategische, militärische und andere sicherheitsrelevante Fragen im internationalen Kontext und im europäischen Geist" beizutragen, wird der in jeder Hinsicht gewichtige Band vollauf gerecht. Er sei jedem, der sich über globale Trends und Konfliktpotenziale in einer zunehmend unübersichtlich erscheinenden Welt unterrichten will, zur Lektüre empfohlen.


Erich Reiter (Hrsg.)

Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2004.

Verlag E. S. Mittler & Sohn, Hamburg/Berlin/Bonn 2004; 957 S., 39,90 Euro

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