|
|
Konrad Watrin
Wie Fruchtfliegen den Frieden im Heiligen Land
fördern
An der Basis gedeiht die
israelisch-palästinensische Zusammenarbeit weitgehend im
Verborgenen
Unter Israelis und Palästinensern breitet
sich verstärkt die Erkenntnis aus: Das, was beide Seiten am
meis-ten trennt, ist die Angst vor der Geschichte des anderen und
die Weigerung, auch dessen Opfer und Leiden anzuerkennen.
Andererseits mag die Frage naiv lauten: Warum hat die
internationale Gemeinschaft nicht vor Jahrzehnten schon gewisse
Dinge beobachtet? Die Schulbücher von Ramallah etwa, die
Curricula von Haifa oder die Predigten von Gaza. Oder sich auch auf
Beduinen-Bolzplätzen im Sinai umgesehen? Ja, wenn König
Fußball regierte. Auf dem Fußballplatz von Maccabi Haifa
jedenfalls arbeiten seit langem Ballkünstler zusammen:
israelische (hier: jüdische Nicht-Araber) und
palästinensische (muslimische, christliche oder andere
Nicht-Juden). Der Club von Bnei Sachnin, einer arabischen Stadt mit
20.000 Seelen im Norden, schaffte 2004 sogar die Sensation und
gewann den israelischen Pokal.
Erstmals durfte ein vorwiegend
palästinensischer Club an einem europäischen Wettbewerb
teilnehmen, was sogar bei den fußballverrückten Arabern
Widerhall fand. Der ärmste Club der ersten israelischen Liga
erhielt Förderangebote aus den Emiraten. Im Juli hat das Peres
Peace Center in Tel Aviv in München ein gemischtes
Fußballmatch gegen die Jugend des FC Bayern initiiert. Oder
der "2. Jerusalem Friedensmarathon", an dem Wettläufer beider
Völker teilnahmen, in diesem Jahr zu Ehren des - zu dem
Zeitpunkt schwer kranken - Papstes Johannes Paul II. Wie der
Botschafter des Heiligen Stuhles, Monsignore Pietro Sambi, sagte:
eine "kleine, aber bedeutungsvolle Geste". Und welche! Start an der
Geburtskirche zu Bethlehem, außerhalb der Stadt
überreicht der Palästinenser George Michel die Fackel an
den Israeli Faloro Eyal.
Internationale politische Friedensinitiativen
gab es zuhauf. Sie blieben allesamt Makulatur. Nach Unterzeichnung
des Osloer Abkommens im Herbst 1993 jedoch schien ein Friede
erstmals keine Utopie mehr. Auch wenn die Euphorie rasch im Terror
erstickt - die Roadmap offiziell allerdings auch nie begraben -
wurde, so geschieht seitdem Wundersames, zumal seit der
Jahrtausendwende. Auffällig viele, gar nicht so kleine
Initiativen für Toleranz und interkulturelle
Verständigung tauchen auf. Als hätten immer mehr Menschen
den permanenten Spannungszustand satt, wie auch Umfragen
bestätigen. Die im Grunde heldenhafte Arbeit, mitunter gegen
den Willen der jeweiligen Regierungen, wird immer wieder durch
einen einzigen Terror- oder Vergeltungsschlag in den Schatten
gestellt. Auch ist damit über den Wirkungsgrad und die
Reichweite der Initiativen wenig gesagt. Die Hoffnung der
Initiatoren aber ist: Dass sie sich auf das arabische Umfeld
auswachsen könnten zu einem Humus für ein friedliches
Zusammenleben der wie siamesische Zwillinge aneinander gebundenen
Völker.
International bekannt sind Aktivitäten
mancher - keineswegs aller - Künstler wie Daniel Barenboim mit
seinem gemischten Symphonieorchester. Neben wenigen Politikern wie
dem Friedensnobelpreisträger Schimon Peres, der zurzeit von
Oslo eine Vision der wirtschaftspolitischen Kooperation um das Tote
Meer und das Jordantal entwarf, neben Einzelbranchen wie der
israelisch-ägyptischen Zusammenarbeit im Textilbereich oder
Friedensaktivisten wie dem aus Göttingen stammenden Uri Avneri
mit ihren zivilcouragierten Einsätzen arbeiten noch zahllose
unbekannte Idealisten daran, Vertrauen aufzubauen.
Im Bereich Bildung und Schule vor allem tut
sich einiges. An der Universität der überwiegend
arabischen Hafenstadt Haifa hat der Soziologie-Professor Eugen
Wiener Koexistenz-Projekte mit Studenten beiderlei Herkunft
ersonnen. Im Alltag fällt gerade dort auf, dass sich beide
Seiten kaum anblicken und in ihrer jeweiligen Realität leben.
Bekannter ist Givat Haviva, eine Bildungs- und
Begegnungsstätte zwischen Tel Aviv und Haifa, nach eigenen
Angaben die älteste israelische Einrichtung in der
Verständigungsarbeit, die 2001 den UNESCO-Friedenspreis
erhielt. Man setzt auf Erziehung zu Demokratieverständnis und
Toleranz. Oft zum ersten Mal finden hier Jugendliche Gelegenheit,
sich auseinanderzusetzen. Über 50.000 Menschen besuchen Jahr
für Jahr den Campus. Betrieben wird Givat Haviva von
Havatzelet, der Kultur- und Bildungseinrichtung der Kibbuzbewegung
HaArtzi. Zahlreiche Kinder aus dem nahen Wadi Ara-Menashe haben
soeben auch wieder am Sommercamp im Schatten des "Friedensbaumes"
von Givat Haviva teilgenommen.
Im Sommer durften Schüler der Bremer
Internationalen Friedensschule sowie von vier Schulen in Israel und
Palästina ein ähnliches Projekt beim Gartenfest des
Bundespräsidenten in Berlin vorstellen. Im Reichstag hat die
Deutsch-Israelische Gesellschaft am 11. Mai in Anwesenheit von
Altbundespräsident Johannes Rau zum dritten Mal den
Friedenspreis verliehen. Nach dem "Arab-Jewish Cultural Center Beit
Ha Gefen" in Haifa und der international ausgezeichneten
Friedensschule von "Neve Shalom/Wahat al Salam", der wohl
bekanntesten Initiative, die auf halbem Weg zwischen Jerusalem und
Tel Aviv liegt, erhielt die "Yad-be-Yad-Schule" (Hand-in-Hand) in
Jerusalem die Ehrung. Just im Jahr 2000, als die Zweite Intifada
anhob, wurde sie gegründet, mit Kindergarten und bilingualem
Unterricht. Die Schule will nicht nur Hass und Vorurteile abbauen,
sondern auch Verständnis für die andere Kultur,
Identität, das andere Geschichtsverständnis
bewirken.
Noch ist Erziehung zur Verständigung im
Kindergarten nicht gesellschaftliche Realität, schon gar nicht
in Palästina. Hand-in-Hand ist die erste von drei Schulen, die
das 1997 gegründete "Zentrum für jüdisch-arabische
Erziehung" einrichtete. In den beiden Modellschulen in Jerusalem
und im galiläischen Misgav lernen derzeit etwa 500
Schüler. Schon findet das Beispiel Nachahmer: Dreieinhalb
Jahre nach Beginn der "Al-Aqsa-Intifada" kündigte eine Gruppe
von Bewohnern im Wadi Ara, im Dorf Kfar Kara nahe Katzir, eine
weitere Initiative für eine Schule mit zwei
Nationalitäten an. Die Schule "Gesher al ha wadi" (Brücke
über dem Wadi) soll im kommenden Schuljahr ihre Pforten
öffnen. Laut Amin Halaf, Leiter von Yad-be-Yad, ist es das
erste Mal, dass eine gemischte Schule in einem arabischen Dorf
gegründet wird. Die Schülerzahl im Jerusalemer Zentrum
hat sich beinahe verdoppelt, die Warteliste ist lang.
Vieles indes wird von außen
angestoßen, von (nicht nur deutschen) politischen Stiftungen,
Kirchen, internationalen Organisationen wie dem
Versöhnungswerk Eirene, oder von Persönlichkeiten, die
Begegnungen in Israel und im Ausland, Jugendaustausch,
Ausstellungen, Konzerte bis hin zu Sprach- oder Fotografiekursen
ermöglichen. Hervorzuheben ist hier unbedingt das Engagement
der Verlegerfamilien Springer und Holtzbrinck. In der
"Nidbach-Serie" (Nidbach bedeutet Steinschicht), einer Reihe im
pittoresken Jerusalemer Künstlerhaus, wurden seit 1992 Werke
von an die 100 jungen Künstlern beider Seiten
ausgestellt.
An vielen Projekten wie dem Zentrum ist die
Jerusalem Foundation beteiligt, die nicht unerhebliche Hilfe aus
Europa erhält. Die Schweizer Regierung spendete ebenso
für dieses außerordentliche Koexistenz-Projekt wie
Deutschland, Österreich und Großbritannien. Seit ihrer
Gründung 1966 fördert die Stiftung den Dialog unter der
ethnisch und religiös gemischten Bevölkerung Jerusalems.
Die multikulturelle Heilige Stadt müsse ein Modell der
friedlichen Koexistenz sein. Die Wiener Regierung finanzierte auch
ein neues Projekt des Hagalil Colleges im Kibbuz Mizra, an dem zu
Jahresbeginn erstmals 35 palästinensische Verwaltungsleiter
und Ärzte aus der Westbank und Gaza teilnahmen. Dabei ging es
um so nützliche Fragen wie die Leitung des Gesundheitssystems
und den Umweltschutz.
Im Beisein von Staatspräsident Katsav
wurde am 8. September 2004 das erste Kinderdorf der Organisation
"Hole in the Wall Camps" in Israel eingeweiht, das "Jordan River
Village Camp" bei Givat Avni in Galiläa. Es ist bereits das
achte Dorf der Organisation, die Kinder aus Israel, Jordanien, dem
Libanon und dem Gebiet der Palästinensischen
Autonomiebehörde aufnimmt. Die Initiative ging vom
israelischen Ehepaar Murray und Marilyn Grant aus, die beim Besuch
ihrer Heimat Connecticut vor sechs Jahren durch eine Broschüre
auf die Arbeit der Organisation aufmerksam wurden. Die Kinder und
Jugendlichen im Alter von neun bis 18 Jahren, die dort betreut
werden sollen, leiden an schweren physischen und psychischen
Krankheiten. Hauptsponsor ist der Schauspieler Paul
Newman.
Nach einem Bericht der "Jerusalem Post" vom
März 2004 tut sich geradezu Ungeheures an Israels Schulen. So
hat Bildungsministerin Limor Livnat (Likud) einen Vorschlag des
Bürgermeisters von Haifa, Yona Yahav (Arbeitspartei),
begrüßt, modernes Arabisch und arabische Kultur als
Pflichtfach an israelischen Schulen einzuführen. Yahav hatte
den Vorschlag bei einer Feier zur jüdisch-arabischen
Koexistenz der Abraham Fund Initiatives (AFI) in Haifa
angekündigt, die auch finanzielle Unterstützung für
ein Pilotprojekt in 15 Volksschulen in Haifa zusagte. Der
AFI-Vorsitzende Alan B. Slifka forderte zudem Koexistenz-Unterricht
an israelischen Schulen und die Bildung eines entsprechenden
Ministeriums. Bisher war Arabisch Wahlpflichtfach im
Land.
Anderes Beispiel: Im April kamen 21
Nachwuchsjournalisten - vor allem israelische und
palästinensische - auf Einladung des Auswärtigen Amts und
der Herbert-Quandt-Stiftung zu einem "Trialog" in München und
in Berlin zusammen, um über die Rolle der Medien zu
diskutieren, über die Auseinandersetzungen zwischen beiden
Seiten, aber auch über die Shoa. Nisreen Abuorf,
Palästinenserin mit Wohnsitz in Amman: "Ein schwieriges
Unterfangen", aber auch ein Hebel, denn "durch den jeweils Dritten
am Tisch geraten die Perspektiven durcheinander und werfen ein
neues Licht". Im Vorjahr hatte das Auswärtige Amt Schüler
zu etwas Ähnlichem zusammengebracht. "Ich hätte nie
gedacht, dass es uns gelingt, so sorgsam miteinander umzugehen",
meinte Lucy Aharish, die als einzige Araberin in einem israelischen
Dorf aufwuchs. "Das war der Geist von Berlin." Statt jedoch nur die
üblichen Erinnerungsstätten deutsch-israelischer
Beziehungen zu besichtigen, sprach man auch mit dem
Generaldelegierten der Palästinensischen Autonomiebehörde
in Berlin. Der Unterschied zur "Realität" daheim: Statt die
Gräben zwischen den Delegationen zu vertiefen, findet eine
kritische Auseinandersetzung statt. Erst beim Besuch des Hauses der
Wannsee-Konferenz, wo Anfang 1942 der Holocaust beschlossen wurde,
wird manchem palästinensischen Teilnehmer das Ausmaß des
Schreckens bewusst. Kleiner Erfolg des Treffens: ein
Journalisten-Netzwerk soll in Israel und "den Gebieten" aufgebaut
werden, um Nachrichten auszutauschen und die Ideen des "Trialogs"
fortzuführen. Beruflichen Austausch unter Journalisten gibt es
schon länger. Ähnliche Konferenzen mit jungen Leuten hat
die europäische Studentenorganisation AGEE veranstaltet, so
2002 in Hamburg und 2004 in den Niederlanden.
Im September 2004 ging ein neuer
israelisch-palästinensischer Radiosender ins Netz. Radio "Kol
HaSchalom" (der ganze Friede) sendet von Ostjerusalem in
hebräischer, arabischer und englischer Sprache. Die derzeit
zwölf Mitarbeiter haben zwei Direktoren, den Israeli Schimon
Malka und die Palästinenserin Majssa Siniora. Initiatoren sind
Givat Haviva und die palästinensische Organisation "Biladi"
(Mein Land), die von dem Geschäftsmann Hanan Siniora geleitet
wird, dem Vater der Direktorin. Ursprünglich wollten sie nur
Radio "Qol HaShalom" (Stimme des Friedens) des legendären Abie
Nathan wieder aufleben lassen, das von einem Schiff im Mittelmeer
außerhalb des israelischen Hoheitsgebietes gesendet hatte.
Doch sie durften den Namen und die Jingles nicht verwenden. Also
änderten sie den hebräischen Buchstaben Quf (Q) in Kaf
(K): "Kol HaSchalom". Der Sender soll die Aktivitäten der
Friedensgruppen voranbringen, alternative Informationen über
Politik und Kultur senden, um negative Vorstellungen von der
jeweils anderen Seite zu korrigieren. Finanziert wird er
(Jahresbudget rund 180.000 Euro) aus EU-Geldern sowie von
Organisationen aus Japan und den USA.
Gar nicht so kleine Schritte auf dem Weg, wie
er Peres vorschwebte, gehen die "Friends of the Earth Middle East"
(FoEME). Die Umweltorganisation initiierte erfolgreiche Projekte
zur Rettung des Toten Meeres. Seit über einem Jahrzehnt
arbeitet sie grenzüberschreitend für einen
ökologischen Umgang mit Wasser und fördert so einen
außergewöhnlichen Dialog, der den Mitarbeitern in Israel,
Palästina und Jordanien in Zeiten gelingt, in denen der
Austausch eben immer schwieriger wird. "Israelis und
Palästinenser arbeiten leider am besten zusammen, wenn sie
Wasser verschmutzen", meint Gidon Bromberg. Der Anwalt aus Tel Aviv
hat 1994 EcoPeace (ÖkoFrieden) mit begründet, gemeinsam
mit dem palästinensischen Umweltingenieur Nader al-Khateeb aus
Bethlehem und dem jordanischen Architekten Munqeth Mehyar aus
Amman. 1998 wurde EcoPeace Teil der weltweiten Umweltorganisation
Friends of the Earth.
Zu deren großen Projekten gehört
der Erhalt des Toten Meeres, das aus dem Wasser des bedrohten
Jordans gespeist wird. Um Gewässer, Tiere und Pflanzen zu
retten, sollten Fluss und See von der UNESCO zum "Welterbegebiet"
(World Heritage) erklärt werden. Das zwänge die Anrainer,
gemeinsam einen nachhaltigen Entwicklungsplan aufzustellen. Zudem
solle ein "Friedenskanal" Wasser aus dem Roten ins Tote Meer pumpen
- vorausgesetzt, das Vorhaben gefährdet die Ökosysteme
nicht. Im März haben sich auf Einladung von FoEME zum ersten
Mal Regierungsvertreter und Bürgermeister der israelischen,
palästinensischen und jordanischen Ufergemeinden getroffen, um
darüber zu beraten. Schon war man im Gespräch. "Wenn Sie
unsere Regierungen fragen", erklärt Mehyar, "fehlen dem Nahen
Osten rund zwei Milliarden Kubikmeter Wasser. Wenn Sie uns als
Umweltschützer fragen, dann gibt es keine Wasserknappheit,
sondern ein Verteilungsproblem." Hier setzt ein weiteres Projekt
an: die "Gute Wasser-Nachbarschaft". An dem Grenzfluss zwischen
Israel, Palästina und Jordanien haben sich zehn Kommunen aller
drei Seiten zusammengetan, um zu lernen, wie sie Wasser sparen oder
aufarbeiten können. "Wenn Regierungen Friedensverträge
unterzeichnen, ist das großartig, aber es reicht nicht aus -
die Menschen müssen erst mal Vertrauen aufbauen." So geschehen
in der israelischen Gemeinde Zur Hadasa und der
palästinensischen Kommune Wadi Fukin, wo sogar eine gemeinsame
Kampagne gegen die Mauer entstanden ist, die Israelis vor
Terroristen schützen soll. Mehyar: "Die Umwelt kann nicht
warten."
So ist nicht verwunderlich, wenn ein
gemeinsamer Forschungsbeitrag von israelischen und
palästinensischen Wissenschaftlern bei einer Konferenz zur
Geologie des östlichen Mittelmeerbeckens im April 2004 in
Thessaloniki den ersten Preis bekam. Die Arbeit untersucht das
Grundwasservorkommen im Gebiet des Toten Meeres und des
Jordangrabens, neue Wasserressourcen, die Überwachung der
Qualität sowie die Förderung und Verteilung. An dem
Projekt im Rahmen des Kooperationsprogramms zwischen deutschem und
israelischem Forschungs- und Wissenschaftsministerium, vom
Bundesbildungs- und -forschungsministerium finanziert, waren
deutsche, israelische, jordanische und palästinensische
Wissenschaftler beteiligt.
Ihre Ergebnisse trugen sie in einer Datenbank
zusammen, die ein ausgeklügeltes Hilfsmittel für die
gemeinsame Erforschung der hydrologischen und geologischen
Gegebenheiten der Region darstellt. Insgesamt lagen 450
Beiträge zur Auswahl. Die Jury lobte die Arbeit auf
"höchstem wissenschaftlichen Niveau", die regionale und
geologische Kooperation, "die keine Grenzen kennt".
Schon kündigte Forschungsminister
Sandberg laut "Jerusalem Post" eine Ausweitung der
Forschungszusammenarbeit an. Auf politischer Ebene hatten Ende 2003
die Außenminister Silwan Schalom und Marwan al-Muascher bei
einem Treffen in Neapel über die Wiederaufnahme der Arbeit des
Eilat-Aqaba-Komitees und die wirtschaftliche Zusammenarbeit Israels
und Jordaniens beraten. Gleichzeitig unterzeichneten
Infrastrukturminister Josef Paritzky und der palästinensische
Energieminister Azzam al-Schawa in Rom einen Vertrag über die
gemeinsame Nutzung von Energie - das erste Wirtschaftsabkommen
zwischen beiden Seiten seit drei Jahren. Der Vertrag sollte die
Zusammenarbeit bei der Stromversorgung und den Transport von
natürlichem Gas sorgen. Eine ganz andere "Fakultät" im
Wissenschaftsdialog: 1994 hatte der Religionswissenschaftler
Schalom Ben-Chorin in Jerusalem über den jahrtausendealten
christlich-jüdischen Dialog gesprochen und hinzugefügt,
einen jüdisch-islamischen Dialog erkenne er nicht. "Ohne
Religionsfriede kein Weltfriede", lautete Ben-Chorins Credo. Eine
der vielen ermutigenden Folgen des Oslo-Abkommens indes war eine
Einladung des Muftis von Kairo zu einer internationalen Konferenz
über religiöse Toleranz im selben Jahr. Sie hatte Folgen.
Denn dazu war auch der Sozialpsychologe Dan Bar-On mit Kollegen
eingeladen worden. Der Professor aus Beerschewa lernte am Rande den
palästinensischen Kollegen Elia Awwad kennen. Man beschloss
ein gemeinsames Projekt: Junge Israelis und Palästinenser, die
sich während der Ersten Intifada von 1987 bis 1993 als Feinde
gegenüber gestanden hatten, zu interviewen. Ergebnis, wie
vorhersehbar: Unter den zornigen jungen Männern überwogen
Zweifel und Misstrauen. Selbst ein von oben verordneter Friede
allein tut's hier eben nicht, wie man erkannte, als Arafat die
Vorschläge in Camp David zurückwies und nach Scharons
"Spaziergang" auf dem Tempelberg die Zweite Intifada ausbrach. Wer
erfahren möchte, welche psychologischen Faktoren einen
dauerhaften Frieden nicht mehr nur als Utopie erscheinen lassen,
lese ihr Buch "Erzähl dein Leben!" (edition
Körber-Stiftung, Hamburg 2004).
Nachdem Bar-On die Nachkommen von
Holocaust-Überlebenden und Nazi-Tätern an einen Tisch
gebracht und die Methode des gegenseitigen "Storytelling"
entwickelt hatte, wandte er sich im Jahr 2000 der Dialogarbeit mit
Israelis und Palästinensern zu, ermutigte beide Seiten,
einander ihre Lebensgeschichten zu erzählen. Und da zeigt
sich, wie sehr der Mensch - so der israelische Schriftsteller David
Grossman - "eine große Angst, der Geschichte des anderen
zuzuhören", besitzt. Vor allem Palästinenser haben immer
noch eine große Scheu, die andere Geschichte zu hören,
neigen mitunter gar dazu, den Holocaust zu leugnen oder die
israelische Armee mit Nazis gleichzusetzen. Bar-On erkannte, dass
die Palästinenser sich noch immer sehr stark über die
Ablehnung "des anderen" definieren, Angst haben, sich in die Lage
der Israelis zu versetzen. Solch simple Wahrheiten erklären
mehr als Analysen, warum ein Treffen zwischen Abbas und Scharon den
Frieden nicht gleich in greifbare Nähe rückt.
Denkt man zurück an Terrorakte der
Vergangenheit wie das Vergiften israelischer Zitrusfrüchte, so
zeigen andere, zum Teil erst erwogene Kooperationsprojekte, welche
Wege heute doch begehbar erscheinen. So gibt es eine Reihe
gemeinsamer Unternehmungen, die mit Hilfe anderer Staaten ins Leben
gerufen wurden. Bei einem "grenzüberschreitenden" Vorhaben
zwischen der palästinensischen Stadt Tulkarem und dem
israelischen Emek Hefer (seit 2004) geht es etwa darum, Abwasser
aus Palästina zu reinigen und zu verwenden und im Gegenzug
Strom aus Israel zu liefern. Die Kos-ten wurden auf rund eine
Million Euro geschätzt und von Berlin übernommen. Bei
einem anderen Projekt sollen Straßen im Westjordanland saniert
werden, finanziert von den USA, die sich entschlossen haben, dort
zu investieren, nachdem jede finanzielle Hilfe im Gaza-Streifen
nach einem Anschlag auf einen US-Konvoi ausgesetzt worden ist. Die
israelische Zivilverwaltung schätzt die Höhe der
ausländischen Unterstützungsgelder für die
Palästinensischen Gebiete insgesamt auf etwa 7 Milliarden
US-Dollar.
Als kurios mag die Frage anmuten, die im Juni
2004 in einem Bericht des jüdischen Nationalfonds Keren
Kayemeth LeIsrael (KKL) auftauchte: "Wie 14 Millionen Fruchtfliegen
pro Woche den Frieden zwischen Israel und Jordanien fördern
können." Diese unangenehmen kleinen Viecher respektieren
nämlich keine internationale Grenze. So bedrohen sie jedes
Jahr die Ernte in der Arava-Wüste im Jordantal südlich
des Toten Meeres. Seit dem Frieden zwischen Israel und Jordanien
(1991) gibt es hoffnungsvolle Kooperationen im landwirtschaftlichen
Forschungsbereich, so bei der Frage: Eindämmung der
Schädlingspopulationen durch Sterilisation der männlichen
Fruchtfliegen in Israel. In der Landwirtschaftlichen
Forschungsstation "Yair" des KKL bei Hatzeva (Arava) treffen pro
Woche 14 Millionen, durch Röntgenstrahlen sterilisierte
Insektenpuppen der schädlichen Fliege ein. Sie werden 96
Stunden lang in einem Inkubator gehalten. Die drei
Forschungszentren sind Außenstellen der Fakultät für
Wüstenforschung der Ben-Gurion-Universität. Ihre Aufgabe
ist es, unter den Gesichtspunkten Wüstenökologie,
Desertifikation und Agrotechnologie zur Entwicklung der
Arava-Region beizutragen. Nach der Inkubationszeit werden die
Fliegen dann mit dem Flugzeug über den Anbaugebieten Israels
und Jordaniens freigelassen - das erfolgreichste Verfahren, um die
Schädlinge in der Wüste zu bekämpfen.
Noch eine andere "Fakultät": Im Januar
2004 erreichte die Antarktis-Expedition "Breaking the Ice" ihr
Ziel. Die israelisch-palästinensische Segelexpedition hatte am
1. Januar 2003 in Südchile abgelegt, um einen unbezwungenen
Berg in der Antarktis zu besteigen. Das Team - vier Israelis, vier
Palästinenser, darunter zwei Frauen - gab laut der Zeitung
"Ha'aretz" dem Gipfel den Namen "Berg der
israelisch-palästinensischen Freundschaft". Ihr gemeinsames
Statement merkte an: "Wir haben bewiesen, dass Palästinenser
und Israelis, einer mit dem anderen, in gegenseitigem Respekt und
Vertrauen kooperieren können." Die Teilnehmer wurden von einem
siebenköpfigen Begleitteam unterstützt, darunter je zwei
Bergsteiger und Ärzte. Ausgedacht hatte sich die Expedition
der in Deutschland lebende israelische Geschäftsmann Heskel
Nathaniel. Es war die erste Expedition, die von "Extreme Peace
Missions", einer Berliner Non-Profit-Organisation, auf Initiative
des Peres-Centers in Tel Aviv durchgeführt wurde.
Der Beispiele gibt es mehr. Vielleicht
breiten sie sich eines Tages aus wie Aladins Mini-Teppich zu einem
großen Netzwerk - rasanter als es große
Friedensinitiativen von oben ohne zivilgesellschaftliche Grundlage
vermögen. Das Thema verdient wahrlich eine größere
Untersuchung. "Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen", hatte
Theodor Herzl seinen Entwurf für einen zionistischen Staat
genannt. Der kann heute nicht länger allein überleben.
Und auch die junge israelische Spaß-Generation will nicht
länger Krieg führen. Was Desertifikateure, Eisberge
erklimmende Wüstensöhne, ganz zu schweigen von der
Fruchtfliege, vermögen, sollte dies nicht im
größeren Maßstab in einem - allen Religionen -
Heiligen Land möglich sein? Wenn man nur in die
Schulbücher, die Predigten oder auf die Bolzplätze
schaute.
Zurück zur Übersicht
|