Enquete-Kommission
Berlin: (hib/BES) Überwiegend kritisch haben sich Mitglieder
der Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin"
über den von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD)
vorgelegten Gesetzentwurf zur Patientenverfügung am
Donnerstagnachmittag in einer Pressekonferenz geäußert.
Anlass dafür war die Vorstellung einer Broschüre zum
gleichen Thema, die einen Überblick über die bisherigen
Beratungsergebnisse der Enquete-Kommission zur
Patientenverfügung gibt. Der Gesetzentwurf des
Justizministeriums sieht eine uneingeschränkte Geltung von
Patientenverfügungen als Instrument der Selbstbestimmung vor.
Demnach solle es keine Reichweitenbegrenzung der Verfügungen
geben, die als rechtsverbindliche Willenserklärungen von
Betreuern und Ärzten umzusetzen sind. Dabei ist keine
regelhafte Kontrolle durch das Vormundschaftsgericht vorgesehen.
Dies gilt auch für andere förmliche
Wirksamkeitsvoraussetzungen. Nach Plänen des Ministeriums soll
der Entwurf bis Anfang 2006 umgesetzt werden. Der Vorsitzende der
Enquete-Kommission René Röspel (SPD) forderte eine
starke Einbindung des Parlaments in den weiteren
Gesetzgebungsprozess. Ähnlich wie beim Stammzellgesetz
müsse es eine breite parlamentarische Debatte auf der
Grundlage des Zwischenberichts der Enquete-Kommission geben. Die
Ergebnisse sollten dann in die Gesetzesvorlage einfließen.
Die Mehrheit der Kommission habe sich für einen Kompromissweg
zwischen zwei Sondervoten entschieden. So sollten
Patientenverfügungen künftig grundsätzlich anerkannt
werden. Zugleich seien ihre Grenzen klar zu bestimmen. Die Geltung
von Patientenverfügungen, die einen Behandlungsabbruch oder
-verzicht vorsehen, der zum Tode führen würde, soll
demnach auf Fallkonstellationen beschränkt werden, in denen
das Grundleiden irreversibel ist und trotz medizinischer Behandlung
nach ärztlicher Erkenntnis zum Tode führen wird.
Maßnahmen der Basisversorgung können - so die Empfehlung
der Kommission - nicht durch Patientenverfügung ausgeschlossen
werden. Der Wille des Patienten, der in schriftlicher Form
vorliegen muss, bedürfe zudem einer Interpretation in der
konkreten Situation. Hinzugezogen werden sollen dazu der Arzt,
Angehörige, Pflegepersonal und Betreuer sowie das
Vormundschaftsgericht. Diese Grenzen seien wichtig, so auch der
stellvertretende Vorsitzende Hubert Hüppe (CDU). Sonst
könnten die Betreuer und Ärzte auch von dem
"mutmaßlichen Willen" des Patienten ausgehen: "Das wäre
gefährlich." Hüppe wies in diesem Zusammenhang auf
Erfahrungen und Berichte aus den Niederlanden hin. Es wäre im
Übrigen besser, wenn man den Schwerpunkt in der Diskussion auf
die Palliativmedizin legen würde, sagte er. Auch Christa
Nickels, Obfrau der Grünen in der Kommission, bezeichnete die
Diskussion über die Patientenverfügungen als eine
Stellvertreterdebatte, die zum Beispiel von Problemen der
menschenwürdigen Begleitung von Sterbenden und der
Förderung der Infrastruktur für die Palliativmedizin
ablenke. Deutschland habe in dieser Hinsicht im europäischen
Vergleich einen Nachholbedarf. Zugleich kritisierte sie den
Zypries-Entwurf als "Türöffner zur aktiven Sterbehilfe".
Für den Obmann der CDU/CSU Thomas Rachel bedeutet der Entwurf
der Justizministerin eine Ausweitung der jetzigen Rechtslage.
Unterstützung fand Zypries hingegen bei Michael Kauch von der
FDP, der für ein Minderheitsvotum in der Enquete-Kommission
plädierte und sich für eine grundsätzliche Anwendung
der Patientenverfügung einsetzte. Der Obmann der SPD Wolfgang
Wodarg wies auf die Probleme mit dem bereits bestehenden Markt
für Patientenverfügungen hin. Es gebe inzwischen 180
Formulare auf dem Markt. Es bestehe die Gefahr, dass Menschen
"verführt" werden, Patientenverfügungen zu
unterschreiben. Michael Wunder, sachverständiges Mitglied der
Kommission, warnte in diesem Zusammenhang vor einer Regelung, die
den Patienten zum Sklaven der einmal gemachten Verfügung
macht. Es dürfe keinen 1:1-Mechanismus geben, der zu einer
"kaltschnäuzigen" Ausführung der Verfügung
führen könnte. Vielmehr müsse es situative
Regelungen geben. Eberhard Klaschik, sachverständiges Mitglied
der Kommission, warnte vor einer Verabsolutierung der
Patientenverfügung auf dem "Zypries-Weg". Aus der Praxis mit
Krebspatienten wisse er, dass die Kranken vor allem eine
adäquate Behandlung und Schmerzfreiheit brauchen: "Patienten,
die gut behandelt werden, wollen leben."