Deutscher Bundestag
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Oktober 08/1999
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FRAUEN IM BUNDESTAG

Kampf in einer Männerbastion

Hartnäckigkeit und Durchsetzungsvermögen sind zwei der Eigenschaften, die Frauen in der Geschichte ihres parlamentarischen Wirkens immer wieder beweisen mussten. Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes, "Männer und Frauen sind gleichberechtigt", gäbe es nicht ohne das besondere Engagement von Dr. Elisabeth Selbert, die diese Formulierung eingebracht hatte. Der Parlamentarische Rat lehnte diesen Zusatz zunächst ab und ließ sich erst aufgrund massiver Proteste der Initiatorin und weiterer einflussreicher Frauen umstimmen. Als "Mutter des Gleichberechtigungsartikels" (Ulla Schmidt) legte die Parlamentarierin Selbert damit den Grundstein für die rechtliche Gleichstellung der Frauen. Doch die Wirklichkeit in Parlament und Gesellschaft sah anders aus. Bis 1961 sollte es dauern, bis Dr. Elisabeth Schwarzhaupt die erste Ministerin in der Geschichte der Bundesrepublik wurde. Und auch diese Position wurde den Frauen keineswegs leichten Herzens überlassen. Gemeinsam versammelten sich die CDU/CSU-Frauen damals vor dem Kabinettssaal, um ihre Forderung bei Bundeskanzler Konrad Adenauer durchzusetzen. "Sie sollten wissen", erklärte die Parlamentarierin Dr. Helene Weber dem Kanzler, "dass wir entschlossen sind, hier nicht eher wegzugehen, bis wir eine Ministerin haben." Die Frauen erreichten ihr Ziel. Elisabeth Schwarzhaupt erhielt das Gesundheitsministerium.

Die Reihen der weiblichen Mitglieder des Deutschen Bundestages füllen sich. Die aktiven Parlamentarierinnen (vor dem Reichstagsgebäude) trafen mit "ehemaligen" zusammen.
Die Reihen der weiblichen Mitglieder des Deutschen Bundestages füllen sich. Die aktiven Parlamentarierinnen (vor dem Reichstagsgebäude) trafen mit "Ehemaligen" zusammen.

Den Verdiensten der Frauen in 50 Jahren Parlamentsgeschichte wurde jetzt mit der Plenardebatte "Die Parlamentarierinnen in 50 Jahren Deutscher Bundestag" am 8. September im Berliner Reichstag eine Sonderveranstaltung gewidmet, bei der ausschließlich Politikerinnen – Frauen der "ersten Stunde" sowie aktive Abgeordnete – zu Wort kamen. Um die Bedeutung der Veranstaltung zu unterstreichen, fand sie als erste reguläre Parlamentsdebatte nach dem Umzug aus Bonn im Berliner Reichstag statt. "Ich darf Ihnen gestehen, dass das keine Idee der männlichen Abgeordneten des Deutschen Bundestags gewesen ist", gab Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) in seiner Eröffnungsrede zu. Die Debatte war durch eine fraktionsübergreifende Initiative von Ulla Schmidt (SPD), Prof. Dr. Rita Süssmuth (CDU/CSU), Monika Knoche (Bündnis 90/Die Grünen), Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (F.D.P.) sowie Petra Bläss (PDS) zustande gekommen, die sich lange und intensiv dafür engagiert hatten, dass der wichtige Beitrag der Frauen zur Politik der letzten Jahrzehnte nicht vergessen wird. Das Verhältnis von Frauen und Politik entbehre immer noch jener Selbstverständlichkeit, die ihm unter demographischen und demokratischen Gesichtspunkten zukommen müsste, begründete die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (F.D.P.) die Notwendigkeit der Veranstaltung: "Der Topos 'Frauen und Politik' ist nach wie vor ein Politikum."

von links: Liselotte Funcke, Annemarie Renger, Agnes Hürland-Büning, Ursula Männle
von links: Liselotte Funcke, Annemarie Renger, Agnes Hürland-Büning, Ursula Männle

Es war für die Parlamentarierinnen kein einfaches Unterfangen, in die Männerbastion einzubrechen, mehr Teilhabe an der Macht zu erreichen und die Gleichberechtigung voranzutreiben. "Normalisierung macht kleine Schritte", beschrieb Liselotte Funcke, langjährige F.D.P.-Bundestagsabgeordnete und erste weibliche Ausländerbeauftragte der Bundesregierung (1981 bis 1991) den Weg der Frauen von 1949 bis heute. "Petitionsausschuss, Büchereiausschuss, Unterausschuss zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit, das waren damals die Ausschüsse, die uns Frauen vorbehalten waren", erinnert sich die heute 81-Jährige an die Zeit, als sie 1961 als F.D.P. Abgeordnete in den Bundestag einzog. Damals waren gerade mal 8,3 Prozent der Parlamentarierinnen weiblich, 1949 waren es nur 6,8 Prozent, heute dagegen immerhin 30,9 Prozent. Setzt sich dieser Trend fort, so wird allerdings erst circa 2030 ein Frauenanteil im Bundestag erreicht, der dem der Bevölkerung entspräche.

Frauendebatte im Bundestag: Vizepräsidentin Antje Vollmer (B'90/Die Grünen) führt den Vorsitz
Frauendebatte im Bundestag: Vizepräsidentin Antje Vollmer (B'90/Die Grünen) führt den Vorsitz

Die Entwicklung zu mehr Beteiligung der Frauen musste auch Rückschläge verkraften: War der Anteil der Parlamentarierinnen von der 1. bis zur 3. Wahlperiode von 6,8 auf 9,4 Prozent gestiegen, sank er von der 4. bis zur 7. von 8,3 auf 5,8 Prozent und stieg dann erst ab der 8. Wahlperiode kontinuierlich an. Begründet liegt dies in der gesell-schaftlichen Stellung der Frauen im jeweiligen Zeitraum. Nach dem Krieg hatten Frauen eine aktive Rolle im Wiederaufbau inne, ihre Arbeitskraft war gefragt, ihr politischer Einfluss daher größer. Nach der ökonomischen Konsolidierung in den 60er und 70er Jahren begann dagegen ihr Rückzug aus dem öffentlichen Leben in die Familie – traditionelle Rollenklischees hatten weniger politische Beteiligung zur Folge.

Vizepräsidentin Petra Bläss (PDS) am Rednerpult
Vizepräsidentin Petra Bläss (PDS) am Rednerpult

Bessere Bildungs- und Ausbildungschancen für Frauen hatten auch Auswirkungen auf das Sozialprofil der Parlamentarierinnen: Der Anteil der Frauen mit Hauptschulabschluss ging drastisch zurück, ein Großteil von ihnen kann inzwischen auf ein Hochschulstudium verweisen. Im Laufe der Jahrzehnte haben sich Frauen immer mehr Zugang zu Führungspositionen erkämpft. Inzwischen stehen sie an der Spitze von fünf Bundesministerien, elf Frauen sind auf dem Posten einer Staatssekretärin. Bündnis 90/Die Grünen haben mit Kerstin Müller eine Fraktionsvorsitzende. Dr. Annemarie Renger (SPD) wurde 1972 die erste Bundestagspräsidentin, später hatte Prof. Dr. Rita Süssmuth (CDU/CSU) zehn Jahre lang das zweit-höchste Staatsamt inne. Im Präsidium des Deutschen Bundestages sitzen heute neben drei Männern Anke Fuchs (SPD), Dr. Antje Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen) und Petra Bläss (PDS).

Unter den interessierten Zuhörerinnen auf der Besuchertribüne befindet sich auch Greta Wehner, die Witwe des früheren SPD-Fraktionsvorsitzenden (links)
Unter den interessierten Zuhörerinnen auf der Besuchertribüne befindet sich auch Greta Wehner, die Witwe des früheren SPD-Fraktionsvorsitzenden (links)

Viel hat sich durch den Einfluss der Parlamentarierinnen in den letzten Jahrzehnten für die rechtliche Gleichstellung von Frauen getan: Das Eherecht wurde zugunsten der Frauen reformiert, die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz wurde gesetzlich geregelt, die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau wurde Gesetz.

Demgegenüber steht die Alltagswirklichkeit: In vielen gesellschaftlichen Bereichen sind Frauen immer noch benachteiligt. Die Plenardebatte im Reichstagsgebäude zeigte ganz deutlich, dass die tatsächliche Teilhabe an der Macht noch nicht in Sicht ist. Daher beließ es keine der Rednerinnen bei dem Rückblick auf die Errungenschaften der Frauenpolitik, sondern die Beiträge waren geprägt vom Blick nach vorn. Rita Süssmuth sieht eine "Partnerschaft in der Gesellschaft" noch in weiter Ferne. Die zentrale Frage sei, wie Männer und Frauen miteinander umgingen. Das Ziel seien "partnerschaftliche Strukturen, in denen Macht geteilt" werde. Beim "Abschied von der Männergesellschaft" stehe man gerade erst am Anfang. Monika Knoche (Bündnis 90/Die Grünen) wies auf die Bedeutung der Debatte hin: "Bei allen Würdigungen für 50 Jahre Verfassung in den vergangenen Monaten war von einem nicht die Rede – von Frauen." Zu den Errungenschaften in den letzten Jahrzehnten sagte die Bundestagsabgeordnete: "Was im Sozial-, Zivil-, im Strafrecht mehr an Recht und Gleichheit erreicht wurde, bedeutet mehr Gerechtigkeit. Ohne die neue Frauenbewegung wäre das ganz sicher so nicht der Fall." Petra Bläss, Bundestagsvizepräsidentin (PDS), verteidigte die Frauenquote. Sie wies darauf hin, dass in den meisten Bereichen hohe Männerquoten existierten, im Parlament gebe es beispielsweise eine Männerquote von 70 Prozent, die Quote der Männer im Erziehungsurlaub betrage dagegen nur zwei Prozent.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (F.D.P.) am Rednerpult
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (F.D.P.) am Rednerpult

Als wichtiges Instrument für die Durchsetzung von Fraueninteressen wurde in den Redebeiträgen immer wieder das Thema Frauensolidarität angesehen. Wo Frauen über die Grenzen der Fraktionen an einem Strang gezogen haben, haben sie ihre gemeinsamen Interessen wirksamer durchsetzen können, beispielsweise im Themenbereich Gewalt gegen Frauen und Kinder. "Eine Politik der Frauen" wünschte sich Sabine Leutheusser-Schnarrenberger neben der "Politik für Frauen". Ihrer Ansicht nach könnten mehr überfraktionelle Initiativen deutlich machen, "dass Frauen in der Politik potenziell einen eigenständigen und originären Machtfaktor darstellen".

Den Aspekt, dass auch von den Männern Veränderungen erwartet werden, brachte die Bundestagsabgeordnete Ulla Schmidt (SPD) in die Debatte ein. Sie forderte den Bundeskanzler auf, einen Staatsminister für Männerfragen zu ernennen, dessen Aufgabe sein solle, "die männliche Emanzipation zu fördern". Ein solcher Bundeskanzler, so die SPD-Parlamentarierin, würde als "Kanzler der Gleichberechtigung in die Geschichte eingehen".

"Politeia" – eine Ausstellung in Bonn

Frauen und Politik – dieses Thema behandelt auch die Ausstellung "Politeia" im Bonner FrauenMuseum. Sie will die deutsche Nachkriegsgeschichte aus Frauensicht neu erzählen, und zwar aus den Perspektiven von Frauen aus beiden Teilen Deutschlands.

Der Name "Politeia" bedeutet nach Aristoteles ein politisches Gemeinwesen, in dem alle Bürger am öffentlichen Leben teilnehmen, die Frauen sind allerdings ausgenommen. Die Ausstellung will den bewusst gewählten Namen neu besetzen. In fünf historischen Räumen wird die deutsche Nachkriegsgeschichte dargestellt. Indem zeitgeschichtliche Dokumente, Texte, Fotografien mit Kunstwerken von Frauen kombiniert werden, entsteht ein Bild der jeweils dargestellten Zeitspanne.

In dem Raum, der dem Neuanfang nach dem Krieg gewidmet ist, erinnern Werbeplakate und Fotografien an die komplexen und unterschiedlichen Rollen von Frauen in den zurückliegenden Jahren: Frauen im Widerstand, als Opfer von Vergewaltigung und Vertreibung, als Krieger- witwen, als Zwangsarbeiterinnen, aber auch als Täterinnen oder Mitläuferinnen.

Ein großer Platz wird den ersten Nachkriegsjahren eingeräumt. Stellvertretend für die Mehrheit der Frauen dieser Zeit steht das Foto der "Trümmerfrauen": Die eine der beiden Frauen hat eine Schaufel in der Hand, im Hintergrund brüchige Mauern. Ihre Gesichter sind gezeichnet von der Anstrengung und der Erschöpfung, doch sie lächeln.

Die 70er und 80er Jahre sind geprägt durch das Engagement in der Frauenbewegung. Frauen standen auf, um die Verhältnisse zu ändern. Mit der Gründung von Frauenzentren, Cafés und Buchläden entstand eine neue Frauen-Kultur.

Die 90er Jahre stehen unter dem Motto "Vereinigt – Frauen bauen Brücken zwischen ihrer Geschichte und unserer Zukunft". Gemeinsame Erfahrungen trotz Herkunft aus Ost und West bestärken Frauen in ihrer Forderung nach Geschlechterdemokratie.

Die Ausstellung im FrauenMuseum, Im Krausfeld 10, 53111 Bonn, ist noch bis zum 9. November1999 zu sehen. Öffnungszeiten : Di. bis Sa. 14 bis 18 Uhr und So. 11 bis 18 Uhr, Eintritt 8.- DM

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9908/9908006a
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