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Startseite > DIALOG > Online-Konferenzen > 2003 > Online-Konferenz des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zum Thema "Islamisches Recht und Menschenrechte" 12. November 2003 >
Islamisches Rechte
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Transkript der Online-Konferenz
"Islamisches Recht und Menschenrechte"

Christa Nickels, B90/GRÜNE


Name Frage Antwort
 Mehrding  Wie stehen Sie zu dem gesetzlichen Schnellschuss aus Baden-Württemberg in Sachen "Kopftuch-Gesetz"?  So, wie der Entwurf angelegt ist, sind verfassungsrechtliche Probleme zu erwarten. Allerdings gehe ich davon aus, dass dieser Entwurf im Parlament in Baden-Württemberg noch intensiv beraten wird. Die bündnisgrüne Fraktion im Landtag veranstaltet dazu eine Anhörung.
 Annette  Hallo Frau Nickels,
ich finde es kritisch, wenn bei Gesprächen mit ausländischen Regierungen nur diplomatisch geredet wird. Wie machen Sie das in ihrem Ausschuss, gerade bei Gesprächen mit Vertretern islamischer Länder?
 Diplomatisch zu sprechen heißt nicht, schwammig und undeutlich zu sprechen. Gerade bei unseren Gesprächen mit Vertretern islamischer Länder haben wir festgestellt, dass Höflichkeit und Respekt vor dem Gesprächspartner die Vorbedingung für ein offenes Gespräch ist. Ich will Ihnen ein paar Beispiele aus jüngster Zeit nennen: Bei unserem Besuch bei hohen Geistlichen in Ghom im Iran haben wir zum Beispiel die menschenrechtswidrigen Praktiken des islamischen Rechts wie Steinigung, Amputationen und Auspeitschen ganz offen angesprochen. Ein schiitischer Groß-Ayatollah hat uns daraufhin dargelegt, dass es durchaus möglich sei, solche Körperstrafen umzuwandeln in menschenrechtlich vertretbare Strafen. Er habe eine entsprechende Fatwa erlassen.
 Katrin Nücker  Hat sich Ihrer Meinung nach die Lage der Frauen in Afghanistan wirklich verbessert? Warum sieht man dann die Frauen trotzdem immer noch verhüllt ?  Die Lage der Frauen in Afghanistan hat sich meiner Meinung nach leider nicht grundlegend verbessert. Dennoch sind wichtige Grundlagen geschaffen worden mit dem Petersberg-Prozess und einer koordinierten internationalen Aufbauhilfe, die die Lage der Frauen als einen Schwerpunkt hat.
So konnte zum Beispiel die Anzahl der Mädchen, die Schulunterricht erhalten, seit Kriegsende von 3% auf 30% gesteigert werden. Der Aufbau der Basisgesundheitsversorgung geht insbesondere auf die Belange von Frauen und Kindern ein. 70% der Afghanen haben bis heute keinerlei Zugang zur Gesundheitsversorgung. Bei den Frauen ist die Quote noch deutlich höher. Der Aufbau eines Netzwerkes von Hebammen und Basisgesundheitsversorgungsstationen im ganzen Land hat begonnen.
Bei der Polizeiakademie,die Deutschland aufgebaut hat, sind von Anfang an auch Frauen für den mittleren und höheren Dienst ausgebildet worden. Gerade unser Menschenrechtsausschuss hat sich bei seinen mittlerweile drei Delegationsreisen nach Afghanistan sehr dafür eingesetzt, dass in der Verfassung die Gleichberechtigung von Mann und Frau festgeschrieben wird Mit unseren Besuchen in Frauengefängnissen haben wir den Skandal öffentlich gemacht, dass nach wie vor Frauen wegen sogenannter "Ehrendelikte" eingesperrt werden: Opfer werden zu Täterinnen gemacht, wenn zum Beispiel die Opfer von Vergewaltigung oder Zwangsverheiratung ins Gefängnis gesteckt werden. Wir konnten erreichen, dass das Auswärtige Amt ein Modellprojekt initiiert hat, in dem afghanische Anwältinnen speziell zur Verteidigung solcher inhaftierter Frauen ausgebildet werden - mit dem Ergebnis, dass bereits nach wenigen Monaten über 20 Frauen aus dem Kabuler Gefängnis entlassen worden sind und neu beschuldigte Frauen zumindest eine effiziente Verteidigung bekommen. Natürlich setzen wir uns auch stark dafür ein, dass die Rechtslage geändert wird, die solche Inhaftierungen überhaupt möglich macht.
Sie können unseren Reisebericht über die Januarreise, die die Lage von Frauen zum Schwerpunkt hatte, auf der website des Bundestages abrufen oder auch auf meiner website: www.christanickels.de
 Kaiser  Frau Nickels,
Türken in Berlin - in unseren Schulklassen sind sie bald die Mehrheit - lernen kein deutsch und unsere Kinder werden nicht genug gefördert.Bald ist hier Istanbul - alles türkisch - man versteht sein deutsch schon nicht mehr. Wollt ihr Grüne denn immer noch emrh Türken und anderes Volk aus dem Ausland reinlassen. Hier sind 4 Mill.arbeitslos und die die Ausländer kassieren Sozialhilfe. Das ist die Wahrheit.
 Nein, so ist es nicht. Tatsache ist, dass in den 60er und 70er Jahren sehr viele Gastarbeiter nach Deutschland geholt worden sind, die übrigens auch unseren Wohlstand mit vermehrt haben. Man wollte Arbeiter holen, aber natürlich sind Menschen gekommen, denen man das Recht nicht absprechen konnte, auch ihre Familie um sich zu haben. Leider ist es versäumt worden, mit entsprechenden Angeboten dafür zu sorgen, dass diese Zuwanderer ausreichend Deutsch lernen konnten. Das führt heute zweifellos zu Konflikten. Die Lösung ist aber nicht Fremdenfeindlichkeit, sondern das Versäumte nachzuholen.
 Volker Dittkuhn  Dürften weibliche Abgeordnete ihrer Partei im Deutschen Bundestag ein Kopftuch tragen?  Ja.
 Peters  Wie kann das Dirskriminierungsverbot gegenüber Frauen in islam.Ländern von westlichen Staaten und ihren Kulturen abgebaut werden? Hören die überhaupt auf unsere Überlegungen?  Indem man auf die internationalen Konventionen verweist - beispielsweise CEDAW, die Konvention zur Beseitigung jeglicher Diskriminierung von Frauen - die von vielen islamisch geprägten Staaten ratifiziert wurden. Zum anderen gilt es, den Akteuren in den Ländern, die sich für eine menschenrechtskonforme Auslegung des islamischen Rechts (der Scharia) einsetzen, geeignete Foren zu bieten. Der Menschenrechtsausschuss hat hier einen Beitrag geleistet, indem er die Anhörung "Menschenrechte und Islamisches Recht" veranstaltet hat. Das Protokoll der Anhörung ist demnächst auf der Internetseite des Bundestages abzurufen.
 Weller  Zum Thema "Genitalverstümmelung" - wie hat sich die Situation für die betroffenen Frauen durch die vielen internationalen Proteste verändert - verbessert - verschlechtert.  Der deutsche Bundestag hat sich mit dieser Problematik zum allerersten Mal im Rahmen einer überfraktionellen Großen Anfrage "Menschenrechtsverletzungen an Frauen" 1990 auseinandergesetzt. Daran habe ich damals mitgewirkt. Seinerzeit war es nicht möglich, auch nur das Wort "Genitalverstümmelung" zu benutzen; es war stattdessen euphemistisch von "Beschneidungspraktiken" die Rede. Dadurch, dass das Thema seitdem auf der politischen Agenda war, konnten wir erreichen, dass zuständige Ministerien in den westlichen Demokratien wie auch in unserem eigenen Land entsprechende Programme in den Ländern initiiert haben, in denen es Genitalverstümmelung gibt: in diesen Programmen werden die katastrophalen gesundheitlichen Folgen der Genitalverstümmelung für Frauen eindringlich dargestellt und praktische Hilfen für die Betroffenen geleistet.
Bei unserer Ausschußreise nach Ägypten Ende September konnten wir uns davon überzeugen, dass in Ägypten mittlerweile ein umfangreiches Programm läuft, mit dem Ziel, gerade in ländlichen REgionen aufzuklären und diese Praxis zu beenden.
 Perkes  Ich kann nicht verstehen, warum man die Moschee in Bonn nicht gleich zumacht - gehen da unsere guten Steuergelder hin? Die Moslems haben doch Geld genug - oder wie fianzieren die den heiligen Krieg gegen alles, was denen nicht gefällt?  Falls Sie die Fahd-Akademie meinen: Ich finde das Vorgehen des Regierungspräsidenten Roters völlig richtig, der nach dem Bekanntwerden massiver Vorwürfe die Akademie überprüfen hat lassen und ihre Schließung angeordnet hat für den Fall, dass Mißstände nicht umgehend abgestellt werden. Allerdings bin ich der Meinung, dass dies in Zukunft auch wirklich engmaschig kontrolliert werden muss. Auch der INhalt der Unterrichtsbücher muss daraufhin überprüft werden, ob zum Beispiel zum Heiligen Krieg gegen Andersgläubige aufgerufen wird.
 Heizmann  Sehr geehrte Frau Nickels,
ich freue mich, dass sich der Bundestag mit dem Thema befaßt! Mit großer Sorge lese, dass in islamischen Ländern häufig andersgläubige Reperessionen - bis hin zu Todesurteilen ausgesetzt sind. Was tun Sie dagegen?
Herzliche Grüße,
A. Heizmann
 Ihre Sorge ist durchaus berechtigt. Bei unseren Besuchen in islamisch geprägten Ländern oder bei Treffen mit islamischen Repräsentanten hier sprechen wir immer wieder menschenrechtswidrige Praktiken an, die mit der Scharia begründet werden. Wir fordern stets deutlich die Abschaffung solcher Praktiken und verweisen auf die internationalen Menschenrechtskonventionen, die ja von vielen islamisch geprägten Staaten auch ratifiziert worden sind. Wir verweisen ausserdem darauf, dass Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht ist, und darauf, dass aus diesem Grund in Deutschland selbstverständlich auch andere Religionsgemeinschaften als die christlichen das Recht haben, Gebetshäuser zu errichten und ihren Glauben zu leben. Bei unseren Besuchen in islamisch geprägten Staaten fordern wir auch immer wieder Religionsfreiheit nachdrücklich ein - übrigens auch als die Freiheit derjenigen, die sich keiner Religion zugehörig fühlen.
 Lübbers  Frau Nickels,
gelten für Terroristen auch Menschenrechte - wo bleiben die Rechte der Opfer? Ich bin gespannt auf Ihre Antwort.
 Die Gültigkeit der Menschenrechte beweist sich gerade auch dann, wenn es um den Umgang mit Tätern geht. Deren Menschenwürde und -rechte zu wahren heißt nicht, sie straflos ausgehen zu lassen. Aber im Prozess und auch bei der Verbüssung der Strafe müssen grundlegende Menschenrechte gewahrt bleiben, wenn der Staat sich nicht auf eine Stufe mit den Tätern stellen will.
Übrigens wird das Leid der Opfer nicht dadurch aus der Welt geschafft, dass man den Tätern die Menschenrechte bestreitet.
 Uhland  Sehr geehrte Frau Nickels,
wie können 'Reformen von innen' in islamischen Ländern unterstützt werden, ohne dass der Vorwurf der Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten provoziert wird.(s.China)
Mit freundlichen Grüßen,
Simone Uhland
 Das ist natürlich ein Problem. Aber wenn in einem Land die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, muss man sich einmischen. Im Völkerrecht wird mittlerweile die Souveränität des Staates nicht mehr höherrangig als die Menschenrechte bewerten. Die Reformen in islamisch geprägten Staaten können unterstützt werden, indem man Menschenrechtsprobleme offen gegenüber den staatlichen Autoritäten anspricht und nachdrücklich deren Beseitigung fordert. Meiner Erfahrung nach ist es hilfreich, wenn wir in dem Zusammenhang auch auf unsere eigene Geschichte verweisen und darauf, dass der Arbeitsauftrag unseres Menschenrechtsausschusses nicht nur die Beobachtung der Menschenrechte im Ausland, sondern selbstverständlich auch die Beachtung der Menschenrechte im Inland ist. Besonders wichtig ist es, den wegen Menschenrechtsengagements Verfolgten eine Stimme zu geben, sich nachdrücklich für sie einzusetzen und Foren für Reformdiskurse zu schaffen.
 T. Reiner  Hallo Frau Nickels,
ich habe den Eindruck, dass die Diskussionen zum Thema Islam in den Medien immer dann aufgegriffen werden, wenn über besonders grausame und unmenschliche Übergrifffe oder Entscheidungen in islamischen Ländern berichtet werden kann. Sehen Sie das auch so? Wie können Sie in Ihrem Ausschuss dagegen angehen?
Ich finde übrigens klasse, dass Sie so einen Anhörung gemacht haben!
 Leider ist das oft der Fall: dies folgt aber offenbar einem ungeschriebenen Gesetz der Medien, dem zufolge "nur schlechte Nachrichten gute Nachrichten sind". Natürlich gibt es auch Berichte und Artikel zum Beispiel über den Tag der offenen Moschee oder das islamische Zuckerfest, aber die gehen unter in der Flut der schlechten Nachrichten.
Unser Ausschuss bemüht sich, dem entgegenzusteuern, unter anderem durch unsere Anhörung "Menschenrechte und Islamisches Recht". Für die Fraktion habe ich beispielsweise eine Anhörung "Die EU und die Religionen. Über die Wertedebatte im Blick auf die Türkei" veranstaltet, um damit einer einseitigen Anti-Türkei-Polemik zu begegenen.
Quelle: http://www.bundestag.de/dialog/Konferenzen/2003/menschenrechte/trans_nickels
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