3.3
Problemlagen und
Reform notwendigkeiten der WTO30
3.3.1 Bewertung
der Ministerkonferenzen in Seattle und Doha
Die WTO führte vom 30. November bis 3.
Dezember 1999 ihre dritte Ministerkonferenz in Seattle durch. Die
Minis terkonferenz ist das höchste Gremium innerhalb der
WTO und tritt alle zwei Jahre zusammen. Ziel der Ministerkonferenz
von Seattle war es, eine neue Runde der Handelsliberalisierung, die
sog. „Millenium Round“, zu starten. Die Konferenz
endete im Desaster und wurde am 3. Dezember 1999 abgebrochen, ohne
dass es zu einer Einigung über eine Abschlusserklärung,
die die Liberalisierungsagenda der nächsten Jahre hätte enthalten sollen,
gekommen wäre. Als Gründe hierfür gelten neben der
mangelhaften inhaltlichen Vorbereitung die Kompromisslosigkeit von
Europäern und Amerikanern auf wichtigen
Verhandlungsfeldern31,
die fehlende Unterstützung durch die wichtigsten
Interessengruppen, der faktische Ausschluss vieler
Entwicklungsländer aus den informellen
„Green-Room-Meetings“ und für die WTO bislang in
ihrem Ausmaß unbekannte weltweite öffentliche
Proteste.
Deutlich wurde hingegen: Die WTO wird von
vielen Akteuren und Beobachtern längst nicht mehr als
bloße Handelsorganisation gesehen. Insbesondere mit der
nachdrücklichen Forderung nach „spezieller und
differenzierter Behandlung“ der Entwicklungsländer wird
die WTO als eine Organisation betrachtet, deren
entwicklungspolitische Relevanz auch ihren Niederschlag im
institutionellen Aufbau finden muss. Außerdem zeigen die
Reaktionen von Zivilgesellschaft, Nichtregierungsorganisationen und
Gewerkschaften die Skepsis gegenüber einer einflussreichen
internationalen Organisation, deren demokratische Legitimation nur
mittelbar ist und deren Transparenz zu wünschen übrig
lässt. Seit den Geschehnissen um die Ministerkonferenz von
Seattle ist die WTO in aller Munde.
Eine neue Handelsrunde wurde erst zwei Jahre
später auf der vierten Ministerkonferenz in Doha/Quatar
beschlossen. In deren Abschlusserklärung sind die kommenden
Verhandlungsthemen festgelegt, die ein Entgegenkommen der
Industrieländer gegenüber den Entwicklungsländern
erkennen lassen, ohne dass man von einer umfassenden
„Entwicklungsrunde“ sprechen könnte. Hierzu
hätte es substanzieller Opfer des Nordens bedurft, etwa der
Abschaffung der Agrarsubventionen und nicht nur ihrem
„Auslaufen-Lassen“, wie es in der Kompromissformel
heißt.32 Trotzdem
konnten insbesondere die Entwicklungsländer einige wichtige
Zugeständnisse erreichen und ihren Einfluss in der WTO
ausbauen. So gelang es den kleinen Volkswirtschaften zum ersten Mal
in der Geschichte der WTO, ihre Probleme zuvor miteinander
abzustimmen (vgl. Kapitel 3.3.9) und auf sie ausgerichtete
Arbeitsprogramme und weitere Marktöffnungen durchzusetzen (WTO
2001a: Ziff. 38–44). Beim TRIPS-Abkommen sind nun
Fortschritte erzielt worden, insbesondere Rechtssicherheit bei der
Frage nach Zwangslizenzen (vgl. Kapitel
5.3).Die WTO hat ferner die Handelspräferenzen anerkannt,
die die EU im Abkommen von Cotonou den AKP-Staaten einräumt.
Quasi als Gegenleis tung erklärten sich die
Entwicklungsländer bereit, in der nächsten
Ministerkonferenz in Mexiko-City über die sog.
„Singapur-Themen“ (Handel und Investitionen, Handel und
Wettbewerb, Handel und öffentliches Beschaffungs wesen)
Gespräche zu führen.
Im Bereich Handel und Umwelt bekräftigte
die WTO ihre Verpflichtung auf das Ziel einer nachhaltigen
Entwicklung. Dazu gehört auch das Recht der
Mitgliedsländer, ihnen angemessen erscheinende
Handelsmaßnahmen zum Schutz von Gesundheit, Sicherheit und
Umwelt zu ergreifen (vgl. hierzu Kapitel
3.5.1). Darüber hinaus gehende Forderungen der EU konnten
nicht realisiert werden, insbesondere Produkte nach
ökologischen Kriterien zu kennzeichnen und sicherzustellen,
dass Handelsregeln nicht mit Umweltabkommen in Konflikt geraten.
Auch wurde die von den Europäern gewünschte Integration
der Kernarbeitsnormen nicht auf die Agenda der nächsten
Handelsrunde gesetzt.
Ob die sogenannte Doha-Runde demnach eine
„Entwicklungsrunde“ wird, vermag man zum heutigen
Zeitpunkt noch nicht abzuschätzen.
30 Vgl. hierzu auch das Minderheitenvotum der
PDS-Fraktion in Kapitel
11.3.3.1.
31 Z. B. im Agrarbereich, im Bereich Dienstleistungen,
Wettbewerb und Umwelt, der Sozialstandards und im Bereich Handel
und Investitionen. Siehe hierzu May (2000).
32 Vgl. WTO (2001a: Ziff. 13): „(...) reductions
of, with a view of phasing out, all forms of export subsidies
(...)“.
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