3.8.2
Erwiderung zu „Eine kurze Geschichte des
Freihandels“
Es ist
offenkundig, dass relative Machtpositionen in Außenbeziehungen
von Staaten eine elementare Rolle spielen. Es gibt auch keine
ökonomische Theorie, die ernsthaft den Anspruch erheben
würde, empirisch in der Realität in reiner Form
beobachtet werden zu können. Allerdings war das Denken von
Adam Smith und David Ricardo in hohem Maße von dem Bestreben
geleitet, Verhaltenshypothesen empirisch zu untermauern. Man
unterliegt aber einem logischen Fehlschluss, wenn man aus der
Tatsache, dass Ricardo seine Theorie der komparativen
Kostenvorteile empirisch auf die Handelsbeziehungen zwischen
England und Portugal stützt, ableitet, dass die
Freihandelstheorie auf erfolgreichen Protektionismus beruhe. Die
Wahl von Portugal und England durch David Ricardo als
Beobachtungsgegenstand ist in der Tat normativ, aber wohl dadurch
motiviert, dass es hier um sei ner zeit besonders enge
und gut nachvollziehbare Handelsbeziehungen zwischen zwei
unterschiedlichen Volkswirtschaften ging. Diese Entwicklung war
sicher auch auf den Methuen-Vertrag zurückzuführen,
bedeutete aber nicht zwangsläufig, dass Ricardo die zu Grunde
liegenden Motive der englischen Außenhandelsdiplomatie
gebilligt hätte.
Politisch mag
Kolonialismus im Einzelfall ein Bestimmungsgrund für den Ruf
in bestimmten Volkswirtschaften nach Freihandel gewesen sein;
für die analytische Qualität der Theorie der komparativen
Kostenvorteile ist er hingegen ohne Belang.
Es ist auch nicht
zulässig, das Prinzip der komparativen Vorteile und das
Argument des Erziehungszolls von Friedrich List in der
dargestellten Art miteinander in Verbindung zu bringen. Die Theorie
der komparativen Vorteile ist keine Entwicklungstheorie und erhebt
diesen Anspruch auch nicht. Sie besagt lediglich, wie in offenen
Volkswirtschaften die vorhandenen Produktionsfaktoren miteinander kombiniert
werden sollen, damit eine optimale Allokation der Ressourcen bei
Freihandel resultiert. Es ist somit im Wesentlichen eine statische
Betrachtungsweise. Eine Volkswirtschaft kann den Zustand der
optimalen Allokation prinzipiell auf jedem beliebigen Niveau der
wirtschaftlichen Entwicklung erreichen. Das Verwirklichen einer
optimalen Ressourcenallokation heißt aber noch lange nicht,
dass damit auch wirtschaftliche Aufholprozesse initiiert werden
können. Dies ist die Erkenntnis, auf der das Listsche
Erziehungszollargument aufbaut und keine Kritik an der Theorie
Ricardos.
Die Einbindung in
den weltweiten Handel kann allerdings wirtschaftliche
Aufholprozesse von der Außenwirtschaftsseite her dauerhaft
unterstützen. So ist es wichtig für aufholende
Länder, dass dringend benötigtes Kapital und
Investitionsgüter, die sie selbst entweder gar nicht oder nur
mit hohem Aufwand herstellen können, importiert werden
können. Über diesen Kanal kann somit auch die
Globalisierung Aufholprozesse unterstützen. Auch hier gilt,
dass diese positiven Effekte unterstützenden Charakter haben
und nur dann zum Tragen kommen, wenn im Inland die
Grundvoraussetzungen für Aufholprozesse geschaffen worden
sind. Man sollte Ricardos Theorie folglich nicht vorhalten, dass
eine Spezialisierung gemäß ihrer Aussagen wirtschaftliche
Unterentwicklung zementiere.
Es ist auch grob
vereinfachend zu unterstellen, dass die Freihandelstheorie nach
rund 200 Jahren protektionistischer Vorbereitung etwa von 1843 bis
1873 ganze 30 Jahre erfolgreich praktiziert worden wäre.
Tatsächlich schwankt das Pendel in der
Außenwirtschaftspolitik permanent zwischen den Extremen
„Freihandel“ und „Protektionismus“ hin und
her, wobei man Perioden mit stärker freihändlerischen
Tendenzen und Perioden mit stärker protektionistischen
Tendenzen unterscheiden kann, dies aber auch nur für bestimmte
Regionen und eng eingegrenzte Zeiträume.
Der Verfasser
beschränkt sich auf eine Diskussion der Theorie der
komparativen Kostenvorteile von Ricardo vor dem historischen
Hintergrund und blendet andere zentrale Modelle der traditionellen
Außenhandelstheorie wie z. B. das Heckscher-Ohlin-Modell aus.
Unterschiede in den Faktorausstattungen von Volkswirtschaften sowie
daraus resultierende relative Entlohnungsunterschiede oder
Faktorwanderungen bei Öffnung von Märkten – wie sie
das Heckscher-Ohlin-Modell beschreibt – sollten aber gerade
in einer Abhandlung, die für sich in Anspruch nimmt, eine
Geschichte des Freihandels zu sein, nicht ausgeblendet werden.
Neuere
Außenhandelstheorien erklären außerdem die Vorteile
großer Länder mit großem Binnenmarkt bei
geschlossenen Außengrenzen und bieten so eine konzeptionelle
Grundlage für die Behauptung, dass vor allem kleinere Staaten
durch handelspolitische Integration hohe Wohlfahrtsgewinne ernten
können. Die Unbestimmtheit der internationalen
Standortverteilung bietet in diesem Zusammenhang nationalen
Industriepolitiken Handlungsspielräume, die dem
„historischen Zufall“ zum tatsächlichen oder
vermeintlichen Nutzen der eigenen Volkswirtschaft auf die
Sprünge zu helfen. Das ist gerade in Hinblick auf das
Verhältnis zwischen EU und den USA relevant.
Der genannte
Fehlschluss und die Verengung des Blickfelds sprechen dafür,
dass der Anspruch der Abhandlung, eine kurze Geschichte des
Freihandels zu bieten, zu hoch gegriffen ist.
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