*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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3.8.2       Erwiderung zu „Eine kurze Geschichte des Freihandels“

Es ist offenkundig, dass relative Machtpositionen in Außenbeziehungen von Staaten eine elementare Rolle spielen. Es gibt auch keine ökonomische Theorie, die ernsthaft den Anspruch erheben würde, empirisch in der Realität in reiner Form beobachtet werden zu können. Allerdings war das Denken von Adam Smith und David Ricardo in hohem Maße von dem Bestreben geleitet, Verhaltenshypothesen empirisch zu untermauern. Man unterliegt aber einem logischen Fehlschluss, wenn man aus der Tatsache, dass Ricardo seine Theorie der komparativen Kostenvorteile empirisch auf die Handelsbeziehungen zwischen England und Portugal stützt, ableitet, dass die Freihandelstheorie auf erfolgreichen Protektionismus beruhe. Die Wahl von Portugal und England durch David Ricardo als Beobachtungsgegenstand ist in der Tat normativ, aber wohl dadurch motiviert, dass es hier um sei­ ner­ zeit besonders enge und gut nachvollziehbare Handelsbeziehungen zwischen zwei unterschiedlichen Volkswirtschaften ging. Diese Entwicklung war sicher auch auf den Methuen-Vertrag zurückzuführen, bedeutete aber nicht zwangsläufig, dass Ricardo die zu Grunde liegenden Motive der englischen Außenhandelsdiplomatie gebilligt hätte.

Politisch mag Kolonialismus im Einzelfall ein Bestimmungsgrund für den Ruf in bestimmten Volkswirtschaften nach Freihandel gewesen sein; für die analytische Qualität der Theorie der komparativen Kostenvorteile ist er hingegen ohne Belang.

Es ist auch nicht zulässig, das Prinzip der komparativen Vorteile und das Argument des Erziehungszolls von Friedrich List in der dargestellten Art miteinander in Verbindung zu bringen. Die Theorie der komparativen Vorteile ist keine Entwicklungstheorie und erhebt diesen Anspruch auch nicht. Sie besagt lediglich, wie in offenen Volkswirtschaften die vorhandenen Produktionsfaktoren    miteinander kombiniert werden sollen, damit eine optimale Allokation der Ressourcen bei Freihandel resultiert. Es ist somit im Wesentlichen eine statische Betrachtungsweise. Eine Volkswirtschaft kann den Zustand der optimalen Allokation prinzipiell auf jedem beliebigen Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung erreichen. Das Verwirklichen einer optimalen Ressourcenallokation heißt aber noch lange nicht, dass damit auch wirtschaftliche Aufholprozesse initiiert werden können. Dies ist die Erkenntnis, auf der das Listsche Erziehungszollargument aufbaut und keine Kritik an der Theorie Ricardos.

Die Einbindung in den weltweiten Handel kann allerdings wirtschaftliche Aufholprozesse von der Außenwirtschaftsseite her dauerhaft unterstützen. So ist es wichtig für aufholende Länder, dass dringend benötigtes Kapital und Investitionsgüter, die sie selbst entweder gar nicht oder nur mit hohem Aufwand herstellen können, importiert werden können. Über diesen Kanal kann somit auch die Globalisierung Aufholprozesse unterstützen. Auch hier gilt, dass diese positiven Effekte unterstützenden Charakter haben und nur dann zum Tragen kommen, wenn im Inland die Grundvoraussetzungen für Aufholprozesse geschaffen worden sind. Man sollte Ricardos Theorie folglich nicht vorhalten, dass eine Spezialisierung gemäß ihrer Aussagen wirtschaftliche Unterentwicklung zementiere.

Es ist auch grob vereinfachend zu unterstellen, dass die Freihandelstheorie nach rund 200 Jahren protektionistischer Vorbereitung etwa von 1843 bis 1873 ganze 30 Jahre erfolgreich praktiziert worden wäre. Tatsächlich schwankt das Pendel in der Außenwirtschaftspolitik permanent zwischen den Extremen „Freihandel“ und „Protektionismus“ hin und her, wobei man Perioden mit stärker freihändlerischen Tendenzen und Perioden mit stärker protektionistischen Tendenzen unterscheiden kann, dies aber auch nur für bestimmte Regionen und eng eingegrenzte Zeiträume.

Der Verfasser beschränkt sich auf eine Diskussion der Theorie der komparativen Kostenvorteile von Ricardo vor dem historischen Hintergrund und blendet andere zentrale Modelle der traditionellen Außenhandelstheorie wie z. B. das Heckscher-Ohlin-Modell aus. Unterschiede in den Faktorausstattungen von Volkswirtschaften sowie daraus resultierende relative Entlohnungsunterschiede oder Faktorwanderungen bei Öffnung von Märkten – wie sie das Heckscher-Ohlin-Modell beschreibt – sollten aber gerade in einer Abhandlung, die für sich in Anspruch nimmt, eine Geschichte des Freihandels zu sein, nicht ausgeblendet werden.

Neuere Außenhandelstheorien erklären außerdem die Vorteile großer Länder mit großem Binnenmarkt bei geschlossenen Außengrenzen und bieten so eine konzeptionelle Grundlage für die Behauptung, dass vor allem kleinere Staaten durch handelspolitische Integration hohe Wohlfahrtsgewinne ernten können. Die Unbestimmtheit der internationalen Standortverteilung bietet in diesem Zusammenhang nationalen Industriepolitiken Handlungsspielräume, die dem „historischen Zufall“ zum tatsächlichen oder vermeintlichen Nutzen der eigenen Volkswirtschaft auf die Sprünge zu helfen. Das ist gerade in Hinblick auf das Verhältnis zwischen EU und den USA relevant.

Der genannte Fehlschluss und die Verengung des Blickfelds sprechen dafür, dass der Anspruch der Abhandlung, eine kurze Geschichte des Freihandels zu bieten, zu hoch gegriffen ist.




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