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11. Jahrestagung
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Rede von Bundespräsident a.D. Richard von Weizsäcker vor dem Allgemeinen Ausschuss für Demokratie, Menschenrechte und humanitäre Fragen

Berlin, 9. Juli 2002



Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Damen und Herren,


ich danke Ihnen für Ihre Einladung. Ich möchte die Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung der OSZE herzlich begrüßen. Ich habe die Einladung gern angenommen, da ich mich als ein Veteran der KSZE-Bewegung fühle, die der Vorläufer der OSZE war. Und wenn Sie es mir erlauben, möchte ich gern in meiner Muttersprache Deutsch fortfahren. Mitten im kalten Krieg musste der Weg zur Gründung der KSZE (das Mikrofon scheint nicht zu übertragen in die Kabine). Bitte warten Sie einen Augenblick. Aber ich kann ja auf Englisch fortfahren, ist das okay? Wir haben da ein technisches Problem. Lassen Sie mich auf Englisch weitermachen, ich werde es jedenfalls versuchen. Ich wollte darauf verweisen, dass wir in den siebziger Jahren alles daran gesetzt haben, die KSZE ins Leben zu rufen. Es erwies sich als ziemlich schwierig. Zuerst einmal gefiel unseren Freunden, den Amerikanern, die Vorstellung von der KSZE nicht. Dann kam das Gipfeltreffen von Helsinki 1975, und als die Ergebnisse bekannt wurden, gefielen sie den sowjetischen Mitgliedern nicht besonders. Dennoch hatte die KSZE einige ziemlich entscheidende Entwicklungen im Hinblick auf Frieden, Zusammenarbeit, Menschenrechte und Demokratie zur Folge. Das Gipfeltreffen von 1975 markierte den Wendepunkt im Ost-West-Konflikt, der die ganze Welt daran gehindert hatte, gut miteinander auszukommen. Es war der Beginn der Grundfreiheiten, der Menschenrechte und des Fortschritts im humanitären Völkerrecht, eines Rechtes nicht nur für die Staaten, sondern auch für die Bürger mit all ihren Rechten und Pflichten. Die KSZE wurde zum Hoffnungsträger für alle Menschen, die versuchten, nach ihren eigenen Ansichten zu leben, in ihrem eigenen Land für ihre Freiheit zu kämpfen und ideologische Spannungen und Gegensätze zu überwinden, die aus Machtpositionen resultierten. Selbstbestimmung und der Schutz der Menschenrechte waren der große Gewinn in dieser frühen Phase der Geschichte der KSZE. Und es ist in der Tat sehr richtig zu sagen, dass Sie ohne den Erfolg und ohne die Geschichte der KSZE heute nicht hier in Berlin wären. Es gibt bedeutende und äußerst wichtige Dokumente der KSZE, die Schlussakte von Helsinki natürlich, die Charta von Paris von 1990, wie Sie alle wissen, und die Sicherheitscharta von Istanbul 1999. Es gibt einen gemeinsamen Wertekanon, eine ordre publique für alle Länder zwischen Vancouver und Wladiwostok. Es ist ein Schritt nach vorn im Völkerrecht auf der Grundlage unserer weltweiten Vereinigung der Völker, der Vereinten Nationen. Wir haben nur eine Organisation der Vereinten Nationen, und wir benötigen sie dringend. Die OSZE ist Mitglied der Familie der Vereinten Nationen, sie ist gemäß Kapitel 8 der Charta der Vereinten Nationen die regionale Abmachung und ist als solche anerkannt, sie hat dem Frieden gedient und wird dies auch in Zukunft tun müssen. Diejenigen, die dem Frieden dienen möchten, müssen meiner Ansicht nach das Völkerrecht respektieren. Wir können das Völkerrecht nicht durch die Macht des Stärkeren ersetzen. Das Gesetz ist die Waffe der Schwachen. Und wenn die Stärkeren nicht zuallererst an das Gesetz denken, werden sie langfristig verstehen müssen, dass es ihre Aufgabe und auch ihre eigene Chance ist, mit den schwächeren Ländern der Welt zusammenzuarbeiten und daher eine gewisse Achtung vor der Tendenz der schwächeren Nationen dieser Erde zu haben, durch das Gesetz geschützt zu werden. Natürlich müssen auch die schwächeren Länder die Geschichte der stärkeren verstehen und verstehen, weshalb ihr Ansatz für die Fortschritte des Völkerrechts schwieriger sein könnte, auch dies ist von entscheidender Bedeutung. Ihr Hauptthema heute ist der Terrorismus als globale Herausforderung. Natürlich stellt der Terrorismus eine ungeheure Herausforderung dar, die uns alle vereint, insbesondere nach den Ereignissen des 11. September letzten Jahres. Meine Damen und Herren, ich wurde aufgefordert, auf Deutsch fortzufahren. Ich möchte mich entschuldigen. Mein Deutsch wird vielleicht weniger verstanden, ich kann mich jedoch besser ausdrücken. Also, in der Tat ist der Terrorismus eine Herausforderung, weil der Terror alles verneint, wofür die OSZE seit einem Vierteljahrhundert unverdrossen gekämpft hat. Die internationale Staatengemeinschaft hat sich nach dem 11. September in einer beeindruckenden Solidarität dazu bekannt, dass es keinerlei Rechtfertigung für Terrorismus geben kann. Der Terrorismus macht sich unschuldige Zivilisten zur Zielscheibe, aus welchen Gründen auch immer. Er zielt ganz bewusst auf unbeteiligte Menschen. Er will Furcht und Schrecken unter ihnen verbreiten. Terroristen erklären im Namen ihrer Sache jedes Mittel für zulässig. Nicht erst seit dem 11. September hat sich die OSZE mit völlig unzweideutigem Nachdruck dagegen widersetzt, irgendeine Gewalt im Sinne von Terrorismus anzuerkennen. So hat die OSZE dies bereits in ihrer Erklärung von 1993 getan. Zugleich, und das ist der andere, sehr wichtige Teil der Aufgabe der OSZE, setzt sie sich unbeirrt für die unabdingbaren Menschenrechte ein. Darauf gilt es gerade auch im Kampf gegen den Terrorismus zu achten. Denn auch dann und auch in der Folge des 11. September, müssen Menschenrechte und Grundfreiheiten geschützt bleiben. Dazu gehören das Recht auf Leben, das Recht auf Gewissensfreiheit, auf Religionsfreiheit, auf die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung, immer ein zentrales Prinzip der OSZE gewesen, und das Recht auf fairen Rechtsschutz. Die Parlamentarische Versammlung der OSZE ist nach meiner Überzeugung ein ganz besonders wichtiges Organ, und zwar deshalb weil herkömmlicherweise die KSZE und dann die OSZE mehr eine Angelegenheit der Regierungen war. So weit es aber um Menschenrechte, um Völkerrecht und um die Förderung der Demokratie geht, ist es Sache der demokratisch gewählten Parlamentarier bei den Regierungen ihrer Länder darauf zu bestehen, dass auch dann, wenn man vor den Herausforderungen des Kampfes gegen den Terrorismus steht, diese Grundüberzeugungen der OSZE nicht preisgegeben werden dürfen. Niemand darf den Kampf gegen den Terror zum Vorwand nutzen, um Menschenrechte auszuhöhlen. Es gibt keinerlei Ursachen, die den Terror rechtfertigen. Nachhaltig wird ein Kampf gegen den Terror aber nur dann von Erfolg sei können, wenn man sich auch den Ursachen des Terrors zuwendet. Auch dürfen wir nicht zulassen, dass es dem Terror gelingt, bei uns, die wir für die Menschenrechte eintreten, eine Mentalität auszulösen, die zu einer Art Kampf zwischen den Kulturen untereinander führen kann. Im Gegenteil, es gilt den Weg des global gültigen Rechts entschlossen weiter zu gehen. Das ist unsere Verantwortung für die Fortentwicklung des Völkerrechts. Erlauben sie auch mir, meine Damen und Herren, darauf hinzuweisen, dass das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs ein Meilenstein im humanitären Völkerrecht im Begriff zu werden ist. Vor ihm sind, in der Tat, die Menschen gleich. Und deswegen kann es auf die Dauer auch nicht angehen, dass die Tätigkeit dieses Gerichtshofes der Zustimmung eines Sicherheitsrates unterworfen bleibt und damit den dort verankerten Vetobefugnissen. Das wäre ein Rückschritt für den Kampf um die Demokratie zum Beispiel heute auf dem Balkan, dem wir uns doch alle miteinander in der OSZE verpflichtet fühlen und zu dem auch die Vereinten Nationen selbst einen maßgeblichen Beitrag geleistet haben. Ich möchte noch einmal wiederholen, das es vollkommen verständlich ist, dass große und starke Mächte manchmal eine ganz andere Tradition als kleine, abhängige Staaten haben, und das die kleinen und die großen einen Weg finden müssen, um zusammen zu kommen. Aber sie können am Ende nur Fortschritte machen, wenn sie gemeinsam dafür sorgen, dass das Völkerrecht auf seiner humanitären Ebene gestärkt wird. Der Schutz der Bürgerrechte, der Schutz von Minderheiten, der Schutz für die, die etwas Anderes denken, die demokratischen Rechte und Pflichten, das alles sind die Grundüberzeugungen, die uns 1972 den Weg in die KSZE gewiesen haben. Es ist der Weg, der der Welt, zumal hier auf dem europäischen Kontinent, auf dem geteilten Kontinent, so große Fortschritte gebracht hat, der Weg, der uns heute in der OSZE vor neue, große Herausforderungen stellt, insbesondere vor die Herausforderung, mit der Sie, Herr Vorsitzender in diesem Ausschuss in Bezug auf den Terrorismus sich auseinanderzusetzen haben. Aber ich möchte erneut betonen, der Weg zur Demokratie bedeutet nichts Anderes als den Weg zur Stärkung der Parlamente gegenüber den Exekutiven. Es sind die gewählten Abgeordneten, die dafür gewählt worden sind, darauf zu achten, dass ihre Regierungen die Interessen ihrer Länder nur so wahrnehmen, wie es in Übereinstimmung mit den Menschenrechten und dem fortzuentwickelnden Völkerrecht steht. Und deswegen (Applaus) und deswegen freue ich mich, dass die Parlamentarische Versammlung, die ja bei der Gründung der KSZE noch gar nicht bestand, sich inzwischen entwickelt hat. Und ich wünsche Ihnen eine immer weiter gehende Stärkung ihrer Funktion, eine weiter gehende Wirkung ihrer Entschließungen und ihrer Worte. Es wird als eine Kontrolle Ihrer Regierungen nützlich sein und es wird der Menschheit auf dem Weg zu ihren Rechten und ihrer Demokratie von großem Wert sein. In diesem Sinne noch einmal herzlich willkommen in Berlin und gute weitere Entscheidungen so weit sie hier sind und anschließend wieder gute Heimkehr in Ihre Heimat.

Quelle: http://www.bundestag.de/parlament/internat/osze/osze_amtl-unt/osze6/osze_jt11/inf_dt/weizsaecker
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