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März 02/1999
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"Die innere Haltung unserer Soldaten orientiert sich heute an den Vorgaben des Grundgesetzes, der Umgang in der Truppe wird von der Inneren Führung bestimmt."

GESPRÄCH MIT DER WEHRBEAUFTRAGTEN DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES, CLAIRE MARIENFELD

Claire Marienfeld

Blickpunkt Bundestag Bundestag: Das Amt des/der Wehrbeauftragten existiert nun 40 Jahre. Wie haben sich nach Ihrer Erfahrung die Tätigkeitsschwerpunkte verändert?

Claire Marienfeld: 40 Jahre sind eine lange Zeit. Seit dem Jahr 1959 haben sich die Tätigkeitsschwerpunkte der Wehrbeauftragten ebenso entwickelt wie die Bundeswehr.

Neben neuen Themen gibt es Gegenstände, die jährlich wiederkehren: Barscher Umgangston, falsches Verhalten von Vorgesetzten, Mängel bei der Bekleidung und Ausrüstung, aber auch eklatante Verletzungen der Menschenrechte waren und sind immer wieder Gegenstand der Arbeit aller Wehrbeauftragten. In einer Armee von derzeit etwa 340.000 Soldaten bei hoher personeller Fluktuation läßt sich ein Fehlverhalten einzelner Soldaten auch nicht völlig ausschließen.

Das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen und das Selbstverständnis der einzelnen Soldaten war schon in den ersten Jahren der Bundeswehr sehr schnell von einer Akzeptanz des Leitbildes des Staatsbürgers in Uniform geprägt. Die innere Haltung unserer Soldaten orientiert sich heute an den Vorgaben des Grundgesetzes, der Umgang in der Truppe wird von der Inneren Führung bestimmt. Es ist der Kern der parlamentarischen Kontrolle über die Bundeswehr, darauf zu achten, daß dies auch in Zukunft so bleibt.

Durch die veränderte sicherheitspolitische Lage in Europa, durch das wesentlich erweiterte Auftragsspektrum der Bundeswehr in den neunziger Jahren und die damit einhergehenden tiefgreifenden strukturellen Veränderungen unserer Armee sind natürlich gerade in jüngster Zeit Tätigkeitsschwerpunkte hinzugekommen, die ich auch als eine persönliche Herausforderung verstehe. Dazu zählen nicht nur die vielen persönlichen und familiären Probleme, die sich aus den Standortschließungen einerseits und den Auslandseinsätzen andererseits für zahlreiche Soldaten ergeben, sondern auch die viel höheren Anforderungen an den einzelnen Soldaten in einer hochtechnisierten Armee oder die psychischen Belastungen im Auslandseinsatz.

Die Einbindung von Bundeswehreinheiten in binationale und multinationale Verbände vermittelt neue Erfahrungen, konfrontiert uns aber auch mit ganz unterschiedlichen Führungsstilen und wehrrechtlichen Gegebenheiten der Armeen unserer europäischen Partner, die für die Zukunft eine engere Zusammenarbeit mit anderen Ombudsleuten in diesen Fragen geboten erscheinen lassen.

Sie haben keine direkten disziplinarischen Befugnisse. Reichen Ihre Kompetenzen aus, um Mißstände in der Behandlung der Soldaten abzustellen?

Das Wehrbeauftragtengesetz gibt mir weitreichende Informationsrechte und Anregungsbefugnisse. Ich habe ein nahezu uneingeschränktes Auskunfts­ und Akteneinsichtsrecht gegenüber dem Bundesminister der Verteidigung und allen Dienststellen der Bundeswehr. Davon mache ich intensiv Gebrauch. Vor allem besuche ich die Truppe - in der Regel mehrmals wöchentlich - ohne vorherige Anmeldung. Das hat für die Truppe den Vorteil, daß nichts vorbereitet werden muß. Für mich hat es den Vorteil, daß nichts vorbereitet werden kann. Auf diese Weise kann ich mir ein ungeschminktes Bild über den Zustand der Bundeswehr machen. Durch die etwa 6.000 Eingaben aus der Truppe, die mich jährlich erreichen, werden diese Eindrücke ergänzt.

Direkte Eingriffsbefugnisse gegenüber der Bundeswehr habe ich als Hilfsorgan der gesetzgebenden Gewalt nicht. Das gebietet das Prinzip der Gewaltenteilung.

Meine Möglichkeiten, auf die Truppe einzuwirken, bestimmen sich nach dem moralischen Gewicht meines Amtes. Die entschiedene Unterstützung, die ich bei meiner Arbeit vom Verteidigungsausschuß und durch das Parlament erfahre, geben mir die Möglichkeit, meine Arbeit sehr effektiv zu gestalten. Es geht mir nicht nur darum, Mißstände durch Weisungen "von oben" abstellen zu lassen. Oftmals werte ich es als einen Erfolg, wenn es mir gelingt, zwischen Kontrahenten zu vermitteln und einvernehmliche Problemlösungen zu erreichen. Deshalb vertrete ich auch nicht einseitig die Interessen desjenigen Soldaten, der sich an mich wendet, sondern muß die Rahmenbedingungen für die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte beachten.

Wie wird Ihre Arbeit vom Bundestag aufgenommen?

Der Deutsche Bundestag und der Verteidigungsausschuß sind meine Auftraggeber. Die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Abgeordneten ist deshalb selbstverständlich. Die Regelung im Wehrbeauftragtengesetz, wonach der Wehrbeauftragte mit der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages gewählt wird, soll dies auch sicherstellen. Dazu gehört der regelmäßige Meinungsaustausch genauso wie meine Teilnahme an den Sitzungen des Verteidigungsausschusses und der jährliche Bericht der Wehrbeauftragten an das Parlament. Wie meine Amtsvorgänger lege auch ich großen Wert darauf, daß der jeweilige Zustand der Bundeswehr in diesen Berichten ungeschminkt dargelegt wird, daß Mißstände aufgezeigt werden und Kritik auf den Punkt gebracht wird. Vor allem aber geht es mir darum, Lösungsansätze aufzuzeigen und Anstöße für zukünftiges Handeln zu geben. Für die Abgeordneten sind das wichtige Informationen. Vieles von dem, was ich dem Parlament auf diese Weise vortrage, wird nicht nur beraten, sondern führt schnell zu tatsächlichen Verbesserungen, so daß solche Themen im Jahresbericht des folgenden Jahres keine Erwähnung mehr finden müssen.

Im vergangenen Jahr hat ein Untersuchungsausschuß rechtsextremistische Vorfälle bei der Bundeswehr unter die Lupe genommen. Sind diese Vorfälle ein Zeichen, daß die Innere Führung versagt hat?

Innere Führung bedeutet nicht zuletzt die Vermittlung demokratischer Werte und gesellschaftlicher Tugenden an die jungen Soldaten und das Gebot des vernünftigen menschlichen Umgangs miteinander. Wenn ich mir heute die Ergebnisse des Verteidigungsausschusses ansehe, der sich als Untersuchungsausschuß mit den rechtsextremistischen Vorkommnissen und den öffentlich erhobenen Vorwürfen gegen die Bundeswehr auseinandergesetzt hat, kann ich sagen: Die Innere Führung hat sich in dieser schwierigen Situation bewährt!

Der Ausschuß hat dem Parlament nach sehr intensiver Arbeit einen umfänglichen Bericht vorgelegt, der zu einer Versachlichung der teilweise überhitzten öffentlichen Diskussion geführt hat. Die Bestandsaufnahme hat aber auch offenbart: Gewaltbereitschaft, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus haben in der Gesellschaft allgemein zugenommen. Es wundert mich deshalb nicht, daß sie im Jahr 1997 auch im Verhalten einzelner Soldaten der Bundeswehr stärker als je zuvor zutage getreten sind. Auch wenn der Untersuchungsausschuß keine rechtsextremistische Entwicklung in der Bundeswehr feststellen konnte, sind wir in dieser Beziehung von einer "Entwarnung" noch weit entfernt. Denn die Anzahl der mir im Jahr 1998 bekanntgewordenen Vorfälle mit rechtsextremistischem Hintergrund deutet nicht auf eine Umkehr der Entwicklung hin. Allerdings haben die Meldebereitschaft und die Sensibilität für rechtsextremistische Tendenzen innerhalb der Bundeswehr zugenommen. Nicht alle gemeldeten Vorfälle sind gleichermaßen bedeutsam.

Aufschlußreich ist die Betrachtung des Täterkreises: Nach meinen Erkenntnissen sind unter den verdächtigen Personen die Grundwehrdienstleistenden und die freiwillig Wehrdienstleistenden weit überproportional - mit deutlich über 80 % - vertreten

Wie können solche Vorfälle künftig verhindert werden?

Der Bundeswehr stehen die erforderlichen Instrumentarien zur Verfügung, dem gesellschaftlichen Problem "politischer Extremismus" wirksam zu begegnen. Ich nenne hier nicht nur das Wehrdisziplinarrecht; ich meine auch Kameradschaft, Zusammenhalt und aufmerksame Vorgesetzte.

Zu einer wirkungsvollen Prävention gehört es auch, die jungen Soldaten politisch zu bilden und ihnen staatsbürgerliche Kenntnisse zu vermitteln. Die Innere Führung erfordert es, den jungen Soldaten die Möglichkeit zu geben, ihr staatspolitisches Bewußtsein zu erweitern. Unter diesen Gesichtspunkten beobachte ich nicht nur den Dienst in der Truppe, sondern auch die Ausbildung der Offiziere und Unteroffiziere, die in die Lage versetzt werden müssen, solche Erwartungen auch erfüllen zu können. Ich begrüße es, daß der Anteil der politischen Bildung in den Ausbildungsplänen der Truppe und an den Schulen der Bundeswehr in der Vergangenheit deutlich zugenommen hat. Damit wird den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung getragen.

Staatsminister Naumann hat die Umbenennung von Kasernen mit Namen aus der NS­Zeit als überfällig bezeichnet. Sehen Sie Defizite im Traditionsverständnis der Bundeswehr?

Auf jeden Fall ist eine differenzierte Betrachtungsweise geboten, wenn wir den damit verbundenen Fragen wirklich gerecht werden und den Soldaten wie auch der Bevölkerung gegenüber glaubwürdig bleiben wollen.

Die Bundeswehr besteht länger als Reichswehr und Wehrmacht zusammen. Ihre mehr als vierzigjährige Geschichte als Parlamentsheer kann durchaus eine Grundlage eigener Traditionen sein. Aber es sollte nicht der Eindruck erweckt werden, zugleich dürften alle Bezüge zur Geschichte gekappt werden. In einem pluralen Prozeß muß ermittelt werden, welche geschichtlichen Bezüge für unsere Armee traditionsbildend sind und welche auf keinen Fall dafür in Betracht kommen.

Ich halte es für sehr wichtig, wenn Bundeswehr und Gesellschaft sich gleichermaßen mit Traditionen und Traditionsverständnis auseinandersetzen. In meinem Bericht für das Jahr 1997 habe ich deutlich gemacht, daß dabei ethische und staatsrechtliche, freiheitliche und demokratische Zeugnisse, Haltungen und Erfahrungen aus der Geschichte nicht verlorengehen dürfen. Die Traditionswürdigkeit von Ereignissen und Persönlichkeiten unserer Geschichte muß sich am Wertmaßstab unseres Grundgesetzes messen lassen. Ich würde mir deshalb wünschen, daß die Traditionspflege in der Bundeswehr in diesem Sinne auch in Zukunft engagiert von möglichst vielen - auch jüngeren Soldaten - betrieben wird.

Die Bundeswehr steht vor einem neuen Auslandseinsatz und hat bereits mehrere hinter sich. Verändern internationale Aufgaben den Charakter der Bundeswehr?

Die Auslandseinsätze der Soldaten beobachte ich in der Tat auch unter diesem Gesichtspunkt und würde sofort handeln, wenn ich eine Veränderung des Geistes und des Charakters der Truppe feststellen müßte.

Im Aufgabenspektrum der Bundeswehr hat neben der militärischen Landesverteidigung die Fähigkeit zur Beteiligung an multinationalen Einsätzen große Bedeutung gewonnen. Das bedingt neue Strukturen sowie eine veränderte Ausbildung und erfordert ein klar definiertes Selbstverständnis unserer Soldaten. Sie müssen genau wissen, warum und für welche Ziele sie bei friedensschaffenden und friedenserhaltenden Einsätzen im Ausland ihr Leben und ihre Gesundheit riskieren. Sie müssen sich vor allem über die ethischen Grundlagen unseres Berufes mehr als je zuvor im klaren sein.

Claire Marienfeld Vorort

Den Charakter der Bundeswehr als Armee im demokratischen Rechtsstaat mit dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform haben sie jedoch nicht verändert. Darauf zu achten, daß dies so bleibt, sehe ich für mich auch in Zukunft als eine wichtige Aufgabe an.

Ist die Wehrpflicht angesichts dieser neuen Aufgaben und knapper Mittel noch zeitgemäß?

In Deutschland ist die Fortführung, Aussetzung oder Abschaffung der Wehrpflicht immer wieder Gegenstand der politischen Diskussion. Die Entscheidung hierüber obliegt dem Deutschen Bundestag. Im Rahmen meiner gesetzlichen Zuständigkeit melde ich mich jedoch unter einem Aspekt zu Wort:

Über 40 Jahre nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht sehe ich mich heute in meiner Ansicht bestätigt, daß diese Wehrform sowohl für die Integration der Streitkräfte in die Demokratie als auch für die Verwirklichung zeitgemäßer Vorstellungen von Menschenführung von außerordentlich positiver Bedeutung ist. Die Wehrpflicht gewährleistet eine natürliche gesellschaftliche Kontrolle über die Streitkräfte. Darüber hinaus ermöglicht sie es der Bundeswehr, durch die Gewinnung von Führungsnachwuchs aus den Reihen der Wehrpflichtigen qualifizierte junge Männer an sich zu binden. Daher bleibe ich davon überzeugt, daß die Grundsätze der Inneren Führung in einer Wehrpflichtarmee auch in der Zukunft die günstigsten Entwicklungsbedingungen vorfinden werden.

Halten Sie öffentliche Gelöbnisse außerhalb der Kasernen für sinnvoll?

Eid und Gelöbnis des Soldaten beziehen sich auf die Bundesrepublik Deutschland, auf Recht und Freiheit des deutschen Volkes. Die jungen Wehrpflichtigen müssen sich deshalb der Bedeutung und der Reichweite ihres Gelöbnisses bewußt sein. Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, sollten Gelöbnisse feierlich begangen werden.

Ob Gelöbnisse in der Öffentlichkeit durchgeführt werden, ist den Entscheidungen des Bundesministers der Verteidigung sowie der jeweiligen Städte und Gemeinden vorbehalten.

Ich persönlich halte es jedenfalls für erstrebenswert, unserer Gesellschaft, deren Schutz die Bundeswehr ja schließlich dient, Gelegenheit zu geben, solchen feierlichen Anlässen beizuwohnen. Unsere Wehrpflichtigen haben das Recht, öffentlich zu geloben.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9902/9902007
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