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Oktober 08/1999
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50 JAHRE PARLAMENTARINNEN

Beteiligung ohne Macht?

50 Jahre Bundesrepublik Deutschland – das sind zugleich fünf Jahrzehnte engagierter parlamentarischer Arbeit von Frauen für Demokratie, für Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit, für unsere Gemeininteressen. Frauen leisten parlamentarisch und ausserparlamentarisch ihren Anteil an der Gestaltung und Geschichte unserer Republik.

Sie haben bereits im Parlamentarischen Rat für die Rechte der Frauen gekämpft. Aber ihr Einsatz bezog sich stets auf das Ganze und alle Lebens- und Politikbereiche. Sie wehrten sich gegen Ausgrenzung und gesellschaftliche Benachteiligung, gegen Unfreiheit und Krieg, öffentliche und private Gewalt, traten ein für die Stärkung der Schwachen, für Partnerschaft und Teilhabe an Verantwortung und Gestaltung von Gegenwart und Zukunft.

Frauen im Deutschen Bundestag - 1949 noch eine kleine Minderheit: Vor der ersten Sitzung begrüßt die SPD-Abgeordnete Friederike Nadig (rechts) ihre CDU-Kollegin Helene Weber.
Frauen im Deutschen Bundestag - 1949 noch eine kleine Minderheit: Vor der ersten Sitzung begrüßt die SPD-Abgeordnete Friederike Nadig (rechts) ihre CDU-Kollegin Helene Weber.

Diese Beteiligung vollzog sich zunächst sehr schleppend. Der Frauenanteil im Deutschen Bundestag bewegte sich bis 1987 stets unter 10 Prozent. Von 1961 bis 1976 sank der Anteil auf 5,8 Prozent und erst nach 1987 stieg er – mit Hilfe der in mehreren Parteien eingeführten Frauenquote – in der 14. Wahlperiode auf 30,7 Prozent. Ebenso ist festzuhalten, dass in den ersten drei Wahlperioden keine Frau an der Regierung teilnahm. Erstmals in der 4. Legislaturperiode zog mit Elisabeth Schwarzhaupt (CDU) eine Frau in das Bundeskabinett ein. Bis zur 10. Wahlperiode war die Ernennung von ein bis zwei Frauen die Regel. Nach 1987 wurde nicht nur die Zahl erhöht, sondern Frauen hatten Ressorts wie Wohnen, Umwelt, Recht und Verteidigung inne. Mit Ausnahme der Grünen gab es in fünf Jahrzehnten keine Frau als Fraktionsvorsitzende. Anders steht es seit der 6. Wahlperiode um Frauen als Geschäftsführerinnen im Parlament, Ausschussvorsitzende und Fraktionssprecherinnen. Zweimal waren Frauen Bundestagspräsidentinnen. 1985 wurde erstmals eine Frau Wehrbeauftragte.

Erreicht wurde ein Mehr an Beteiligung. Doch der Anteil der Frauen in einflussreichen Führungspositionen in und außerhalb der Politik ist gering im Verhältnis zu ihren Bildungs- und Berufsabschlüssen, zu ihrem geistigen Führungspotential.

Die größten Veränderungen im Bildungsstand, in den Lebenskonzepten und in der Lebensführung haben weitaus stärker bei den Frauen als bei den Männern stattgefunden. Das führt zu Spannungen und Konflikten in den privaten und beruflichen Beziehungen. Davon ist auch der politische Bereich betroffen. Es war notwendig, die Ungleichheit im Recht zu beseitigen, die Gleichberechtigung durchzusetzen, aber die vordringliche Aufgabe liegt in Deutschland bei der Veränderung der Strukturen. Die schwierigsten Engpässe bestehen nach wie vor in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, der fehlenden, auf den Bedarf der Familie abgestimmten Betreuungsangebote und familienfreundlichen Arbeitszeiten.

Andere europäische Länder, insbesondere die skandinavischen, aber auch Frankreich oder Belgien weisen Rahmenbedingungen auf, die weitaus günstiger sind, als wir sie in Deutschland vorfinden. Wir kommen auch nicht aus ohne die aktive Förderung der Frauen in Zukunftsberufen und in Führungsgremien der Gesellschaft. Mehr entscheidend wird sein, dass die Strukturen so verändert werden, dass zunehmend Männer ebenso wie Frauen die Familienaufgaben wahrnehmen.

Die trotz aller erreichten Fortschritte bestehenden Benachteiligungen haben ihren Grund nicht in den beruflichen und politischen Konzeptionen, sondern in der ungelösten Kinderfrage. Wer die Wahlmöglichkeiten für Frauen und Männer, wer die Konflikte zwischen Familie und Beruf nicht verringert, die eigenständige soziale Sicherung der Frauen nicht erhöht, wird die Frauenfrage nicht lösen. Die Frauenfrage ist mehr als eine Geschlechterfrage. Sie ist eine der zentralen Gesellschaftsfragen, eine Frage des partnerschaftlichen Miteinanders, der partnerschaftlichen Zukunftsgestaltung.

Die zentralen nationalen und internationalen Probleme – Bevölkerungsexplosion, Armut, Krieg und Gewalt, Umweltzerstörung – lassen sich weder bei uns noch weltweit ohne die Frauen lösen.

Auch am Ende dieses Jahrhunderts wird das große HUMANVERMÖGEN der Frauen eher ausgebeutet als für die gesellschaftspolitische Gestaltung unserer Welt genutzt.

Was wir Frauen brauchen, ist mehr Einfluss, mehr Macht, d.h. mehr Möglichkeiten, Verantwortung zu übernehmen, politisch zu gestalten. Wir brauchen diesen Einfluss, um unserem politischen Selbstverständnis, unserer Verantwortung und unseren Möglichkeiten bei uns und in der Welt gerecht zu werden.

Prof. Dr. Rita Süssmuth

Prof. Dr. Rita Süssmuth wurde am 17. Februar 1937 in Wuppertal geboren. Ihr Vater war Lehrer und Schulrat. Von 1956 bis 1961 studierte sie Romanistik und Geschichte in Münster, Tübingen und Paris. Sie promovierte 1964 zum Dr. phil. und hat seit 1980 einen Lehrstuhl für Erziehungswissenschaft an der Universität Dortmund inne (zur Zeit beurlaubt). Über den Bereich der Hochschule hinaus engagierte sich Frau Süssmuth in Politik und Gesellschaft, arbeitete u.a. im Wissenschaftlichen Beirat für Familienfragen beim Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit und im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken mit. 1985 wurde sie Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, ein Jahr später Bundesvorsitzende der Frauen-Union der CDU. Von 1988 bis 1998 war sie Präsidentin des Deutschen Bundestages, dem sie seit 1987 angehört. Von 1987 bis 1998 war sie auch Mitglied des CDU-Präsidiums

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9908/9908004a
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