Deutscher Bundestag
English    | Français   
 |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ  |  Druckversion
 
Startseite > Blickpunkt Bundestag > Blickpunkt Bundestag - Jahresübersicht 2003 > Deutscher Bundestag - Blickpunkt 05/2003 >
August 5/2003
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

Freizeit ist Arbeit

von Helmut Schümann

Helmut Schümann
Helmut Schümann.

Ob die Deutschen zu viel Freizeit haben? Man weiß es nicht, man weiß es nicht. Diese gerade gelesenen zwei Zeilen zum Beispiel, und auch die folgenden, sind in der Freizeit entstanden. Meine Freizeit ist jene Zeit, in der ich meinem Arbeitgeber nicht zur Verfügung stehe. Freizeit ist auch die Zeit, in der man Dinge tun kann, die man nicht tun muss. Man bekommt allerdings in der Regel für diese Dinge kein Geld. Insofern ist den Machern dieses Magazins nicht genug zu danken, dass sie diesen Freizeittext dennoch vergüten. Danke.

Nun zur Arbeitszeit. Ich habe einen wunderbaren Beruf. Der besteht meistens darin, dass man sich mit netten Menschen unterhält, zum Beispiel mit Parlamentariern. Parlamentarier unterhalten sich ja von Berufs wegen auch oft mit Menschen. Häufig trinkt man Kaffee dabei und am Abend auch schon mal ein Bier. Dann redet man und hinterher ist man ein bisschen schlauer, manchmal zumindest. Dass man das neue Wissen noch aufschreiben muss, ist ein wenig lästig, aber das nehme ich in Kauf. Alles in allem sind ja die Dinge meines Berufes Sachen, die ich gern mache, und dass ich sie machen darf, macht die Arbeit zum Vergnügen. Man mag vielleicht einwenden, dass Journalisten und Parlamentarier privilegierte Berufe haben, was insofern richtig ist, da die einen wie die anderen ihr Arbeitszeitvergnügen selten unter fünfzig und mehr Wochenarbeitsstunden absolvieren dürfen. Wer kann schon fünfzig und mehr Stunden in der Woche reden, Kaffee und Bier trinken?

Was aber ist nun mit der so genannten Freizeit? Dazu eine kleine Anekdote: Paul, der mein Sohn ist und Pubertist, fliegt jetzt mit Luise, mit der er sehr innig ist, und deren Eltern nach Amerika. Das ist an sich ja schon eine tolle Sache, aber Paul meinte dann kürzlich, er müsse dringend noch einen Discman haben, ohne Musik könne er praktisch nicht ins Flugzeug steigen. Ich warf daraufhin ein, dass er ohne Musik schon nicht gleich sterben würde. Paul aber sagte: „Doch. Genau das tue ich.“ Und jetzt frage ich mich, wenn Musikhören ein Muss ist, sozusagen lebenserhaltend, dann ist es doch kein Vergnügen, sondern eine Pflicht.

Ähnlich verhält es sich mit all diesen Dingen, die wir in der Freizeit machen. Fragen Sie doch mal einen Jogger, warum er joggt. Der wird doch nicht antworten: „Aus Spaß“. Der wird doch erklären, dass er joggen muss, weil er sonst krank wird und fett. Oder ein Kollege. Der sollte kürzlich mal einen Text schreiben, hatte aber keine Zeit, weil er den Bootsführerschein machen musste. Tagelang sah man ihn Knoten knüpfen. Jetzt hat er sich ein Boot gekauft, ein kleines zwar, damit schippert er nun auf der Havel, und ein Bootsbauer hat davon profitiert, die Seilerindustrie und, weil es ein Motorboot ist, auch ein Ölkonzern. Vom Profit können wieder Arbeitsplätze geschaffen werden. Mein Kollege lag also in der Zeit, in der er nicht seinem Arbeitgeber zur Verfügung stand, nicht auf der faulen Haut, sondern war produktiv.

Oder wir, Paul, seine Mutter und ich. Wir haben uns in Brandenburg einen Bauernhof gekauft, zumindest soll er mal wieder einer werden, jetzt ist er noch ein Acker mit Ruine drauf. Aber wir machen die Sanierung doch nicht aus Jux und Tollerei, die machen wir doch aus Pflichtgefühl, weil die Wirtschaft in Brandenburg ans Laufen kommen muss. Ohne uns käme zum Beispiel der brandenburgische Zimmermannszweig oder der brandenburgische Maurerzweig zum Erliegen. Von Baumärkten ganz zu schweigen. Aber was erzähle ich das Parlamentariern, die wissen ja eh, was es für eine Arbeit ist, den brandenburgischen Zimmermannszweig ans Laufen zu bringen.

Also noch mal: Ob die Deutschen zu viel Freizeit haben? Man weiß es nicht, aber Arbeit haben sie in der Freizeit mehr als genug.



Helmut Schümann wurde 1956 in Düsseldorf geboren. Nach dem Germanistikstudium arbeitete er als Sportjournalist für die „Süddeutsche Zeitung“, den „Spiegel“ und die „Berliner Zeitung“. Heute schreibt er für den Berliner „Tagesspiegel“. 2001 erschien von ihm: „Das Runde muss ins Eckige. Eine Sozialgeschichte des Fußballs“. 2004 erscheint: „Der Pubertist. Überlebenshandbuch für Eltern“, eine Sammlung von veröffentlichten Kolumnen.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2003/bp0305/0305003
Seitenanfang [TOP]
Druckversion Druckversion