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Oktober 6/2003
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Streitgespräch

Dieter Wiefelspütz (l.) und Jörg van Essen (r.)
Dieter Wiefelspütz (l.) und Jörg van Essen (r.).

Der Bundespräsident

Herrscher ohne Macht?

Nach dem Verzicht von Johannes Rau auf eine zweite Amtszeit wird neu über die Rolle des Bundespräsidenten nachgedacht: Ist er ein Herrscher ohne Macht? Sollte er direkt vom Volk gewählt werden, eine Wiederwahl nicht möglich sein? Darüber führte Blickpunkt Bundestag ein Streitgespräch mit dem innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion Dieter Wiefelspütz und dem Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Fraktion Jörg van Essen.

Blickpunkt Bundestag: Wir wollen nicht über konkrete Personen und mögliche Kandidaten reden. Dennoch eine kurze Frage vorweg: Ist nach fünfzig Jahren die Zeit reif für ein weibliches Staatsoberhaupt?

Jörg van Essen: Selbstverständlich kann und muss es in Deutschland auch einmal eine Bundespräsidentin geben. Aber der Schwerpunkt bei der Auswahl sollte nicht beim Geschlecht, der Religion oder der regionalen Herkunft, sondern in der Qualität und Persönlichkeit des Kandidaten liegen. Dass es derzeit eine Diskussion darüber gibt, ob nicht eine Frau das höchste Staatsamt bekleiden sollte, halte ich für legitim und gut.

Im Gespräch: Jörg van Essen ...
Im Gespräch: Jörg van Essen ...

Dieter Wiefelspütz: Sprache ist verräterisch. Wenn man sagt: Es sollte auch einmal eine Frau sein, dann heißt das ja: in Ausnahmefällen. Ich halte diese Diskussion für abwegig. Für jedes Amt im Staate kann eine Frau oder ein Mann in Betracht gezogen werden. Entscheidend ist die Qualifikation.

Blickpunkt: Herr van Essen, warum will die FDP, übrigens wie Rau selbst, eine Direktwahl des Präsidenten? Sind wir mit dem bisherigen Verfahren nicht gut gefahren?

van Essen: Durchaus. Es war ja auch nach den Erfahrungen der Weimarer Republik, in der der Reichspräsident fast so etwas wie ein Ersatzkaiser mit weitgehenden Befugnissen war, eine sehr bewusste Entscheidung unserer Verfassungsmütter und -väter. Sie wollten eine repräsentative Figur mit eingeschränkten Rechten. Daran wollen wir auch keine Änderungen vornehmen. Aber wir glauben, nach fünfzig Jahren stabiler Demokratie sollten wir darüber nachdenken, wie wir die Menschen stärker in die politischen Entscheidungen einbeziehen können. Wir halten die Wahl des Bundespräsidenten für ein solches Feld. Dazu gehören könnte auch eine Volksabstimmung über den Europäischen Konvent und viele andere Fragen.

Wiefelspütz: Ich kann keine besondere Notwendigkeit für eine Änderung des Wahlverfahrens erkennen. Wir haben mit dem bisherigen Verfahren immer sehr überzeugende Personen in das Amt des Bundespräsidenten gewählt. Sie waren immer Persönlichkeiten, die das ganze Volk repräsentiert haben. Also kann das Wahlverfahren so schlecht nicht sein. Das bedeutet nicht, dass nicht auch ich für eine stärkere Bürgerbeteiligung etwa bei der Europäischen Verfassung bin. Aber eine Direktwahl des Bundespräsidenten passt nicht in unser Staatsgefüge, weil es dann Spitzenpolitiker unterschiedlicher Legitimation gäbe: der eine, der Bundespräsident, vom Volk gewählt, der andere, der eigentlich politisch mächtigere Bundeskanzler, indirekt vom Parlament gewählt. Das passt nicht zusammen.

Blickpunkt: In Österreich wird der Bundespräsident direkt gewählt, ohne dass er zur dominanten Figur der Politik wurde. Sind das nicht auf uns übertragbare Erfahrungen?

van Essen: Österreich hat mit der Direktwahl des Präsidenten positive Erfahrungen gemacht. Deshalb sollte es für uns auch keinen Grund geben, das nicht auf Deutschland zu übertragen. Im Übrigen werden bei uns ja auch die Oberbürgermeister als Persönlichkeit direkt gewählt, was die Bürger durchaus als Fortschritt empfinden. Wir Liberale finden, dass dies beim Bundespräsidenten in gleicher Weise geschehen kann.

Wiefelspütz: Natürlich ist eine Direktwahl eine interessante Erwägung. Aber: Würde der Bundespräsident direkt gewählt, müsste er, wie die Oberbürgermeister auch, einen konkurrierenden Wahlkampf führen. Das aber polarisiert und wäre schädlich für das Amt. Das jetzige, mit den anderen Positionen der Verfassung abgestimmte Verfahren sollte nicht isoliert verändert werden.

Blickpunkt: Wäre eine Direktwahl nicht ehrlicher, als wenn der Kandidat innerhalb von Parteien und Koalitionen ausgehandelt wird?

van Essen: Ja. Eine Direktwahl würde zudem auch das Selbstbewusstsein der Person, die das Amt wahrnimmt, in der Weise stärken, als sie darauf verweisen kann, dass wirklich eine Mehrheit der Bürger hinter ihr steht. Gerade in der wichtigen Funktion des Präsidenten, Brücken innerhalb der Gesellschaft zu bauen, erscheint mir dieser Rückhalt sehr bedeutsam.

...und Dieter Wiefelspütz
...und Dieter Wiefelspütz.

Wiefelspütz: Natürlich ist der Bundespräsident nicht der Frühstücksdirektor der Republik, sondern eine für unsere Gesellschaft äußerst wichtige Institution. Aber gerade deshalb bleibe ich dabei: Es wäre nicht gut, wenn der Kanzler vom Parlament und der Bundespräsident direkt vom Volk gewählt würde. Ich finde schlicht und einfach, dass dafür keine Notwendigkeit besteht. Denn die Personalauswahl hat doch bislang immer zu überzeugenden Ergebnissen geführt. So überzeugend sogar, dass ich beispielsweise bei der einen oder anderen Präsidentenwahl einen Kandidaten gewählt habe, der nicht das Parteibuch meiner Partei hatte. In dieser Frage bekenne ich mich als stur konservativ: Wir haben etwas durchaus Bewährtes. Mehr Bürgerbeteiligung, für die auch ich bin, kann und sollte sich auf andere Felder wie Volksinitiativen und Bürgerentscheide erstrecken.

van Essen: Gut, dass wir bei einer stärkeren Bürgerbeteiligung einer Meinung sind. Die geringe Wahlbeteiligung ist ein Alarmsignal, das uns Sorge machen muss. Deshalb sollten wir den Bürger mit seinem Wunsch, stärker und direkter bei der Auswahl wichtiger Amtsträger beteiligt zu sein, ernst nehmen. Das ist ja auch der Anlass für uns, für die Direktwahl des Bundespräsidenten zu werben. Wir haben inzwischen in Deutschland eine wirklich stabile Demokratie. Da sollten wir dem Bürger mehr zutrauen. Im Übrigen wollen wir dem Präsidenten keine zusätzlichen Kompetenzen geben; es sollte bei seinen jetzigen Rechten und Pflichten bleiben. Deshalb sehe ich auch keine verfassungspolitischen Gefahren in unserem Vorschlag.

Wiefelspütz: Aber er wird weder im Bundesrat noch im Bundestag die notwendige Zweidrittel-Mehrheit finden.

Blickpunkt: Stimmt denn die These, der Bundespräsident sei ein machtloser Herrscher? Verfügt er nicht über die schönste Art der Macht: Autorität?

van Essen: Vor allem verfügt er über die Macht des Wortes. Einige Bundespräsidenten haben durch ganz hervorragende Reden eine große öffentliche Diskussion angestoßen. Außerdem ist er der oberste Notar unseres Landes. Und in politisch schwierigen Situationen misst die Verfassung dem Präsidenten wichtige Funktionen zu. Also: Ohne Macht ist der Präsident nicht.

Blickpunkt: Wenn das so ist, wozu braucht er die zusätzliche Legitimation durch eine Direktwahl?

van Essen: Weil es ihn in all den gerade beschriebenen Positionen stärkt. Wer vom Volk gewählt ist, hat ein größeres Gewicht. Allerdings auch eine noch größere Verantwortung gegenüber den Menschen, die ihn gewählt haben.

Wiefelspütz: Sicherlich ist gewählt zu werden, eine schöne Sache. Das empfinde ich als direkt gewählter Abgeordneter auch so. Aber unser Verfassungssystem ist so gut austariert, dass man den Präsidenten nicht einfach herauslösen und ihm ein zusätzliches Gewicht geben kann. Das ist der entscheidende Punkt.

Blickpunkt: Was halten Sie von einer längeren, siebenjährigen Amtszeit ohne Wiederwahl-Möglichkeit?

van Essen: Ein Bundespräsident, der nicht Sorge haben muss, ob er die Mehrheit für seine Wiederwahl bekommt, kann Kritisches viel stärker konturieren, braucht nicht so vorsichtig zu sein. Das würde auch seine Überparteilichkeit und Neutralität stärken. Das ist für uns der zweite Aspekt für eine Stärkung seiner Position.

Wiefelspütz: Auch ich finde diesen Vorschlag reizvoll und interessant. Eine einmalige Amtszeit von sieben oder acht Jahren könnte ein sinnvoller Beitrag zur Stärkung des Amtes sein. Er ist auch deshalb überlegenswert, weil die meisten Kandidaten das Amt im reiferen Alter angetragen bekommen.

Blickpunkt: Wäre eine Begrenzung der Amtszeit auch für den Kanzler und für Abgeordnete sinnvoll?

van Essen: Nein, da wäre ich sehr skeptisch. Da geriete die Politik zu kurzatmig.

Wiefelspütz: Wenn ein Politiker Klasse und Format hat, soll er hundert Jahre im Amt bleiben.



Reden Sie mit zum Thema „Bundespräsident“:

Dieter Wiefelspütz (SPD): dieter.wiefelspuetz@bundestag.de

Jörg van Essen (FDP): joerg.essen@bundestag.de

Redaktion BLICKPUNKT BUNDESTAG: blickpunkt@media-consulta.com

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2003/bp0306/0306044
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