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Das Parlament
Nr. 48 / 22.11.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Annette Rollmann

Editorial

Wenn es wahr ist, was Cynthia, eine humorvolle alte Dame, in einem vor kurzem ausgestrahlten Fernseh-Krimi sagte, dann braucht Deutschland Mut. "Das Alter ist nichts für Feiglinge", verkündete die lebenskluge Frau, die zusammen mit zwei gerissenen alten Herrn in einer Alten-WG lebt.

Schon im Jahr 2050 wird ein Drittel der Bevölkerung 60 Jahre oder älter sein. Immer weniger junge Menschen werden in Zukunft immer mehr ältere Menschen versorgen müssen. Deutschland geht in Rente. Lange hat die Politik geglaubt, die Arbeitslosigkeit durch Frühverrentung bekämpfen zu können. Diese sozialpolitische Lösung ist nicht aufgegangen. Die Frühverrentung macht unsere Gesellschaft arm. Noch ärmer macht sie, dass zu wenig Kinder geboren werden. Viele Menschen stehen als letzte in ihrem Stammbaum. Wer wird mich anlächeln, wenn ich 80 bin?

Immer weniger steht für den Einzelnen die Frage im Vordergrund, wie alt man wird, sondern wie man alt wird. Immer mehr Menschen werden immer länger leben. Jedes zweite Mädchen, das in diesen Tagen auf die Welt kommt, wird 100 Jahre alt. Aber wir werden uns auch fürchten - und zwar mit jedem Jahr mehr - welches wir so rüstig nehmen und hinter uns lassen. Wir werden uns sorgen vor dem Hinabgleiten in den Nebel der Demenz. 50 Prozent der 90-Jährigen leiden darunter. Wir werden gebrechlich werden. Die Wege werden länger, irgendwann zu weit.

Doch davor werden wir lernen müssen, diese riesige Zeitspanne zu füllen - und zwar mit Leben und nicht mit Siechtum. Wir werden länger und anders arbeiten müssen. Wir, die dann jungen Alten, werden am Arbeitsmarkt wieder gefragt sein. Wir werden anders wohnen, wir werden unseren Körper trainieren, wir werden als Konsumenten ernst genommen werden. Es wird High-Heels mit orthopädischen Einlagen geben, Anti-Faltencremes, die wirklich funktionieren, Pillen, die unseren Gang federnd erhalten. Sweet dreams? Vielleicht. Vielleicht aber auch eine Beschreibung von Zukunft. Wer hätte vor 20 Jahren gedacht, dass es Viagra geben würde?

Die Gesellschaft wird ein viel differenzierteres Altersbild entwickeln müssen. Ein gebrechlicher 85-Jähriger hat wenig mit einem vitalen 65-Jährigen zu tun. Der junge Alte leitet seinen Betrieb, passt auf Enkelkinder auf, studiert an der Uni. Alt ist nicht gleich alt. Zum Charakter kommt das Erlebte, das Erlernte, das Erfahrene. Anders als junge Menschen unterwerfen sich alte Menschen weniger schnell Trends, können freier denken und auch handeln. Sie können.

Doch bisher hat diese Generation der jetzigen jungen Alten eine wichtige Herausforderung nicht angenommen: Sie ist nicht stilbildend. Als Generation lebt sie bislang nicht eine neue Kultur vor, die die Vorstellung von einem engagierten jungen Alter mit Herausforderungen und der Gelassenheit der gelebten Jahre verbindet.

Die Jungen brauchen die Alten. Sie brauchen sie als Spiegel, als Vorbild, als Gegenentwurf. Die Alten brauchen die Jungen als Fortführung von Leben, von Kultur, von Gesellschaft. Die Altersgruppe der 60- bis 80-Jährigen wird, wenn sie die Herausforderungen annimmt, anders als heute, keine Angst mehr haben müssen, nicht mehr gebraucht zu werden. Denn sie werden gebraucht werden - und sich brauchbar machen müssen. Die Gebrechlichkeit von Rentenkassen, Krankenkassen und Arbeitsmarkt übersteigt längst den Verfallsgrad der Vorruheständler. Die Konfliktlinie wird nicht nur zwischen Jung und Alt verlaufen, sondern auch zwischen Arm und Reich. Die satten Jahre der Bundesrepublik werden dann endgültig ein Kapitel im Geschichtsbuch sein. Genauso wie die jungen Alten, die kaum Aufgaben haben.

Annette Rollmann

Annette Rollmann ist freie Journalistin und lebt in Berlin.

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