Kristin Kupfer und Nadine Leonhardt
Das "Unternehmen China" und der schwierige
Nachbar Japan
Aufarbeitung und Aussöhnung wurden in
Ostasien nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges im Keim
erstickt
Versöhnung ist nicht in Sicht. In Ostasien kochen die
jüngsten Kontroversen um Inseln und Schulbücher hoch zu
nationalen Kleinkriegen. Tokio provoziert seine Nachbarn mit der
jüngsten Geschichtsschönschreibung und neuen
Ansprüchen auf "altes" Territorium. Zehntausende Chinesen und
Koreaner verbrennen japanische Flaggen und tragen ihren Hass rot
auf weiß um die Stirn gebunden. Auch die Bemühungen
Japans um einen Sitz im ständigen Ausschuss des
UN-Sicherheitsrates können Peking und Seoul nicht als Chance
eines Stimmengewinns für Ostasien sehen. "Nur ein Land, das
die Geschichte respektiert (...) und das Vertrauen der Menschen in
Asien (...) gewinnt, kann größere Verantwortung innerhalb
der internationalen Gemeinschaft übernehmen", sagte Chinas
Staats- und Parteichef Wen Jiabao bei seinem jüngsten
Staatsbesuch in Indien.
Die Narben des Krieges sind in Ostasien überall sichtbar.
Aufarbeitung und Aussöhnung wurden nach Kriegsende im Keim
erstickt. Die Region erlebte keinen Frieden, sondern diente den
Großmächten als militärisches Spielfeld im Kalten
Krieg. Indochina erholt sich bis heute nur langsam von den Folgen,
und die geteilte koreanische Halbinsel ist Sprengstoff für die
regionale Sicherheit.
Die Wunden des Krieges klaffen nirgends so offen wie zwischen
den beiden Ländern, welche die Region geprägt haben:
China und Japan. Die Rivalität zwischen den beiden ist
Jahrhunderte alt. Mitte des 19. Jahrhunderts kehrten sich die
Machtwege erstmals um: Japan meisterte die neuen Herausforderungen
aus Europa und entwickelte sich zu einer starken Nation. China
scheiterte an Revolutionen und Reformen. So konnte Japan ab 1931
immer weiter auf dem chinesische Territorium Fuß fassen. Im
Dezember 1937 ermordeten japanische Soldaten um die 300.000
Menschen in der Stadt Nanking. Das Massaker ist bis heute ein
griffiges Kriegsbeil der Chinesen für Forderungen nach
japanischer Kriegsaufarbeitung. Mit der Niederlage des Kaiserreichs
zerbrach das chinesische Nationalprojekt - getragen durch die
Einheitsfront zwischen Kommunisten und Guomindang - endgültig.
Geschwächt durch soziale und wirtschaftliche Missstände,
flohen die letzten Truppen der Guomindang nach Taiwan. Am 1.
Oktober 1949 rief Mao Zedong die Volksrepublik China aus, erste
Eroberungsversuche der küstennahen Insel Quemoy als
Sprungbrett nach Taiwan scheiterten. So widmete sich die neue
Führung um Mao zunächst der nationalen Stabilität.
Dies geschah mit Krediten aus der Sowjetunion, aber erst nach dem
Koreakrieg war für Peking eine enge Anbindung an den Ostblock
sicherheitspolitisch und ideologisch beschlossene Sache. China
erklärte die USA zum Hauptfeind und initiierte die erste
große Kampagne gegen "feindliche Kollaborateure" des
Imperialismus. Die siebenjährige Periode des erfolgreichen
Wiederaufbaus und der gemächlichen Transformation zu einem
sozialistischen Staat mündete in eine Zeit der permanenten
Umbrüche: wechselnde politische und wirtschaftliche Versuche
und Irrtümer sowie Führungskämpfe warfen China um
Jahrzehnte zurück. Das Nachbarland Japan hatte sich dagegen
kontinuierlich vom Punkt Null des Kriegsende entfernt.
Nach der Kapitulation Tokios im August 1945 führte die
US-amerikanische Besatzungsmacht auch in Japan Reformen mit dem
Ziel der Demokratisierung durch. Kernstück der neuen
Nachkriegsordnung bildete die neue japanische Verfassung von 1947.
Eine dauerhafte Entmilitarisierung fand Ausdruck in Artikel 9 der
Verfassung, in welchem Japan seinen Verzicht auf eine Armee und auf
das Kriegsführungsrecht zum Ausdruck brachte.
Durch den sich immer deutlicher abzeichnenden Ost-West-Konflikt
nach 1947 änderte die USA allerdings die
Prioritätssetzung ihrer Besatzungspolitik. Sie drängte
nicht mehr auf Entmilitarisierung, sondern auf eine Einbindung
Japans in das "Bollwerk gegen den Kommunismus". Japan erhielt
folgerichtig mit dem Friedensvertrag von San Franzisko 1952 seine
Souveränität zurück. Im gleichen Jahr erklärten
die USA im japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrag Japan im
Verteidigungsfall beizustehen und erhielten im Gegenzug
weitreichende Stationierungsmöglichkeiten ihrer
Streitkräfte auf der Insel. Mit der Gründung der
Selbstverteidigungsstreitkräfte (SDF) fand Japan weiterhin
einen Weg eine eigene Landesverteidigung zu etablieren, ohne die
Restriktionen der Verfassung zu verletzten.
Die Bindung Japans an die USA sowie der Status der japanischen
SDF prägten in den folgenden Jahrzehnten die innenpolitische
Auseinandersetzung. Die Forderungen der Oppositionsparteien
(Auflösung der japanischen Streitkräfte und des
Sicherheitsvertrages) wies allerdings die bis Mitte der
1990er-Jahre regierende Liberal-Demokratische Partei immer wieder
zurück. Diese hatte bereits in den 1950er-Jahren erkannt, dass
das wenig ausgeprägte außenpolitische Profil dem
japanischen Staat die Möglichkeit bot, sich auf den
Wirtschaftssektor zu konzentrieren.
Durch staatliche Wirtschaftsplanung und -lenkung konnte Japan
somit den rasanten Aufstieg zur zweitgrößten
Industrienation starten. Seit Anfang der 1990er-Jahre ist das Land
in zahlreichen Politikfeldern erhöhtem Reformdruck ausgesetzt.
Das Platzen der bubble economy zeigte, dass das japanische
Wirtschafts- und Finanzsystem noch in den alten Strukturen der
1950er- und 1960er-Jahre verhaftet war. Ehemalige Stärken
hatten sich somit in Schwächen verwandelt. Gleichzeitig
verlangen immer mehr Stimmen aufgrund der sukzessiven Ausweitung
des außenpolitischen Aktionsradius, der japanische Truppen
2003 bis in den Irak geführt hat, nach einer Reform der
Friedensverfassung von 1947. Neben zunehmenden
sicherheitspolitischen Aufgaben und dem Wunsch nach mehr
Eigenständigkeit war und ist die USA der wichtigste
Verbündete Japans.
Chinas Wunsch nach Reformen
Der China-Besuch des US-amerikanischen Präsidenten Nixon im
Februar 1972 war ein Schock für Japan. Tokio fürchtete
nun sicherheitspolitisch marginalisiert zu werden. Kontakte und
Aufbruchssignale hatte es zwischen Washington und Peking immer
wieder gegeben. In Anbetracht der ständigen Querelen mit den
UdSSR suchte Mao trotz antiimperialistischer Rhetorik der
Kulturrevolutionsantreiber den Kontakt und das technische Know-how
der USA. Auch aufgrund innenpolitischen Lage der USA nach Watergate
nahmen die beiden Länder erst 1979 diplomatische Beziehungen
auf. Nach Beendigung seiner internationalen Einseitigkeit und dem
Aufstieg Deng Xiaopings mache sich Beijing erneut an das Projekt
"Aufbau einer starken Nation". Nach der Kulturrevolution, die
chinesische "Nie-Wieder"-Erfahrung, wollte ganz China einen
Neuanfang fern von Machtkämpfen und maoistischen Ideen. Bei
den Reformen suchte Deng die neue Wahrheit in den von chinesischen
Bauern geschaffenen marktwirtschaftlichen Tatsachen und
öffnete die Tür für internationale Waren- und
Kapitalströme. Mit politischen und kulturellen Einflüssen
aus dem Ausland tat sich die kommunistische Führung schwer:
Die Lösbarkeit der Formel zhong ti xi yong - chinesische
Essenz und westliche Form - oder auch "X mit chinesischen
Charakteristika" beschäftigt Beijing bis heute. Die
Sonnenseiten und Spannungen des Modernisierungsprozesses traten ab
Mitte der 1980er-Jahren immer deutlicher zutage und China geriet
auf dem angestrebten Mittelweg zwischen politischem Konservatismus
und wirtschaftlichem Fortschritt ins Straucheln. Die barschen
Reaktionen der Führung auf Forderungen nach mehr Demokratie
1986 mündeten im Massaker von Juni 1989, politische Reformer
hatten vorerst ausgedient. Embargo, Enttäuschung und
Emigration - nach innen wie nach außen - waren die Folge. Deng
Xiaoping goss neues Öl in den Wachstumsmotor und so lief das
"Unternehmen China" mal mehr mal weniger rund durch die
1990er-Jahre. Das Krisenmanagement, die Wohlstands- und
Stabilitätsverheißungen sowie die
Anpassungsfähigkeit der chinesischen Führung
überraschte und überzeugte viele Kritiker. Nach der
Asienkrise erhielt China erstmals deutliches Lob als verantwortlich
agierender Global Player. Beijing verstand es immer geschickter die
eigenen Interessen an einem stabilen und multipolaren Umfeld in
neuen Allianzen und Foren umzusetzen. Bezüglich der
Nordkorea-Krise schaut mittlerweile ganz Ostasien auf China und
baut auf dessen Rolle als "ehrlicher Makler".
Im Rahmen der Sechs-Partein-Gespräche zur Lösung der
Nuklearkrise auf der koreanischen Halbinsel sind China und Japan
längst Verbündete, Seite an Seite mit der dritten Macht
in Ostasien, Südkorea. Durch das Bedürfnis nach
Sicherheit und zunehmende Wirtschaftsverflechtungen rücken die
Staaten enger zusammen. An regionalen Organisationen für
Kooperationsprojekte mangelt es nicht. Misstrauen sowie
ungelöste Territorial- und Statusfragen verhindern jedoch bis
dato einen Integrationsprozess nach europäischem Vorbild. Gute
Beziehungen zwischen Japan und China sind neben einer Lösung
der Situation auf der koreanischen Halbinsel das Fundament auf das
eine Friedensordnung in Ostasien gebaut werden muss. Nur durch
gemeinsame Initiativen wie die bereits ins Leben gerufen
Schulbuchkommission zwischen Korea und Japan, können alte
Kriegswunden geschlossen werden.
Kristin Kupfer und Nadine Leonhardt arbeiten an der Fakultät
für Ostasienwissenschaften der Ruhr-Universität
Bochum.
Zurück zur
Übersicht
|