Presse im Juni 2005
Hände weg
von der Verfassung!
POSITIONEN: Eine Frage des Vertrauens (1)
Nur die
Vertrauensfrage kann die Blockade der Bundespolitik aufbrechen
VON DIETER WIEFELSPÜTZ
Der Weg zu
vorgezogenen Bundestagswahlen ist nach dem Grundgesetz
möglich, aber der Weg ist schmal. Nur wenn der Bundeskanzler
im Parlament keine Mehrheit hat, kommen eine Auflösung des
Bundestages und Neuwahlen in Betracht. Das Grundgesetz kennt kein
Selbstauflösungsrecht des Bundestags.
Gemäß Artikel 68 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes kann
der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers den
Bundestag auflösen, nachdem ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm
das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der
Mitglieder des Bundestages gefunden hat. Der Bundeskanzler kann die
Vertrauensfrage isoliert oder verbunden mit einem Sachantrag,
insbesondere einer Gesetzesvorlage, stellen. Nach Auffassung des
Bundesverfassungsgerichts müssen die
Kräfteverhältnisse im Bundestag die
Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers so beeinträchtigen,
dass er eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik
nicht sinnvoll zu verfolgen vermag. Entscheidend ist, ob aus der
Sicht des Bundeskanzlers eine politische Lage der Instabilität
gegeben ist.
Es gibt freilich eine entscheidende verfassungsrechtliche Grenze.
Artikel 68 des Grundgesetzes darf nicht dazu missbraucht werden,
dass ein Bundeskanzler und eine mit ihm zusammenarbeitende
Parlamentsmehrheit den Bundestag zu einem beliebigen Zeitpunkt
auflösen. Bislang haben sich das Bundesverfassungsgericht und
das rechtswissenschaftliche Schrifttum bei der Beurteilung einer
politischen Krisensituation ausschließlich auf das
Verhältnis des Bundeskanzlers zum Bundestag konzentriert.
Diese Betrachtungsweise ist zu eng und entspricht nicht der
Verfassungs-Wirklichkeit. Nach den von SPD und Grünen
verlorenen Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und
Nordrhein-Westfalen haben sich die Mehrheitsverhältnisse im
Bundesrat und im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat
aus der Sicht des Bundeskanzlers nachhaltig verschlechtert. Das
Regierungsprogramm des Bundeskanzlers kann jederzeit
ausgebremst" werden. Bei dieser Konstellation ist es
nachvollziehbar, dass der Bundeskanzler zu dem Ergebnis gekommen
ist, dass die von ihm für erforderlich gehaltene Politik nicht
mehr realisiert werden kann. Diese Beurteilung wird von vielen
Abgeordneten der rot-grünen Koalition geteilt. Das wiederum
wird ihr Abstimmungsverhalten prägen, wenn am l. Juli 2005
über die Vertrauensfrage abgestimmt wird. Abgeordnete der
Koalition, die sich im Bundestag der Stimme enthalten oder mit Nein
stimmen, drücken nicht dem Bundeskanzler ihr Misstrauen aus,
sondern helfen, die Blockade in der Bundespolitik durch die
Ermöglichung von Neuwahlen aufzuheben.
Bei der Beurteilung, ob eine politisch instabile Lage vorliegt und
es sachgerecht ist, vorgezogene Bundestagswahlen anzustreben, hat
der Bundeskanzler, aber auch das Parlament einen erheblichen
Beurteilungsspielraum. Anhaltspunkte für einen Missbrauch
dieser verantwortlichen Bewertung der politischen Situation durch
den Bundeskanzler sind nicht gegeben. Nach allen vorliegenden
Erkenntnissen ist der von Bundeskanzler Schröder angestrebte
Weg evident verfassungskonform.
Nahe liegend ist es, die Vertrauensfrage isoliert zu stellen.
Schließlich geht es nicht um ein einzelnes Vorhaben des
Bundeskanzlers, sondern um seine gesamte Politik.
Die Parteien sind gut beraten, wenn sie in Angelegenheiten des
Artikels 68 des Grundgesetzes weder dem Bundeskanzler noch dem
Bundespräsidenten Ratschläge erteilen. Die Entscheidung
über die Art und Weise der Vertrauensfrage ist
ausschließlich Sache des Bundeskanzlers. Die Entscheidung
über die Auflösung des Bundestages liegt allein beim
Bundespräsidenten. Die denkbare verfassungsgerichtliche
Überprüfung ihrer Entscheidungen unterliegt lediglich
einer Missbrauchskontrolle.
Völlig abwegig ist freilich die Überlegung, den Weg zu
vorgezogenen Neuwahlen durch eine rasche Verfassungsänderung
zu erleichtern. Solch einem Ansinnen hat Bundeskanzler
Schröder zu Recht energisch widersprochen. Man würde das
Grundgesetz missbrauchen, wenn man es aus tagesaktuellen
Bedürfnissen glätten" würde. Deshalb
Hände weg von der Verfassung! Über das Grundgesetz und
seine zeitgemäße Modernisierung ist im Rahmen der
Föderalismusreform erst nach einer
verfassungsgemäßen Bundestagswahl zu reden und zu
entscheiden.
- Der Autor ist Richter a. D. und innenpolitischer Sprecher der
SPD-Bundestagsfraktion.
Tagesspiegel,
2.6.2005
Abweichler in der SPD-Fraktion wollen Schröder
das Vertrauen aussprechen
Müntefering: Das geht auch mit Enthaltung / Die
Grünen tragen die Kehrtwende" mit Fassung
ban. BERLIN,
28. Juni. Der Vorschlag des SPD-Partei- und -Fraktionsvorsitzenden
Müntefering, die Abgeordneten der SPD sollten sich bei der
Vertrauensfrage am Freitag im Bundestag der Stimme enthalten und
auf diese Weise den Weg zum Vorziehen der Bundestagswahl frei
machen, hat in den Koalitionsfraktionen nicht zur Beruhigung der
aufgeregten Stimmung geführt. Müntefering hatte am Montag
in den Führungsgremien der Fraktion diese Ankündigung
gemacht. Er sagte, Bundeskanzler Schröder sei vorab von seinem
Vorstoß unterrichtet worden. Am Dienstag wiederholte
Müntefering seine Auffassung, man könne Schröder
auch das Vertrauen aussprechen, indem man sich der Stimme
enthält". Mehrere Abgeordnete der SPD-Fraktion kritisierten
das Vorgehen Münteferings, die führenden Mitglieder der
Fraktion unterstützten es hingegen. Die Fraktionsführung
der Grünen bedauerte es, daß sie abermals von einem
Vorstoß Münteferings überrascht worden sei. In der
Grünen-Fraktion hieß es, die meisten ihrer Mitglieder
wollten dem Kanzler das Vertrauen aussprechen. Schröder
kündigte in der Fraktionssitzung an, er werde am Freitag
unmittelbar vor der Bundestagsdebatte die SPD-Fraktion in einer
weiteren Sitzung von der Begründung seiner Vertrauensfrage
unterrichten.
Müntefering sagte in der Fraktionssitzung, es solle den
Abgeordneten überlassen bleiben, wie sie am Freitag abstimmen
wollten. Er selbst werde sich der Stimme enthalten und lade dazu
ein, daß dies auch andere machten. Das kann jeder
für sich selbst entscheiden." Danach meldete sich der
Abgeordnete Göllner und kritisierte den Vorschlag
Münteferings. Er wolle sich nicht der Stimme enthalten,
sondern für Schröder stimmen. Der SPD-Abgeordnete
Wiefelspütz sagte, es handele sich um eine
Gewissensentscheidung, er habe Vertrauen zu Schröder und werde
sich der Stimme enthalten. Anschließend stellte der
Parlamentarische Staatssekretär Andres den Antrag auf
Schluß der Debatte. Dahinter stand die Sorge, die Aussprache
könne ins Uferlose gehen und dem Erscheinungsbild der SPD
schaden. Der baden-württembergische SPD-Abgeordnete Kirschner
widersprach. Es müsse über die Angelegenheit diskutiert
werden. Mit Mehrheit stimmte die SPDFraktion für einen Abbruch
der Debatte.
Vor der Fraktionssitzung hatten mehrere Abgeordnete den
Enthaltungsvorschlag Münteferings kritisiert. Bindig sprach
von einer historischen Fehlentscheidung". Das Vorziehen der
Wahl sei falsch. Schröder habe sein Vertrauen. Es ist
genug taktiert worden." Kirschner sagte später, die Lage habe
sich durch Münteferings Vorschlag nicht verändert. Er
wolle Schröder das Vertrauen aussprechen. Der Vorsitzende der
nordrhein-westfälischen Landesgruppe, Kemper, und die
ostdeutsche Abgeordnete Jelena Hoffmann lehnten den Kurs
Münteferings ebenfalls ab. Es gab Vermutungen, bis zu 100
Abgeordnete wollten sich nicht enthalten, sondern Schröder das
Vertrauen aussprechen.
Die Sprecher des Seeheimer Kreises, Hübner, und der
Parlamentarischen Linken, Müller, unterstützten
Müntefering. Es hieß, der Seeheimer Kreis sei
geschlossen für den Kurs der Enthaltung; unter den
Fraktionslinken sei die Lage nicht eindeutig. Der Parlamentarische
Geschäftsführer Schmidt, die stellvertretenden
Fraktionsvorsitzenden Erler und Poß unterstützten
Müntefering. Es gab keine Abstimmung über dessen
Vorschlag.
In der Führung der Grünen hieß es ironisch, man sei
kaum noch überrascht von der neuerlichen taktischen Kehrtwende
in der SPD. Die Fraktionsspitze der Grünen war nicht
vorgewarnt worden. Beim gemeinsamen Frühstück" mit
den Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Katrin
Göring-Ekkardt und Krista Sager, erläuterte
Müntefering seinen Vorschlag. Er könne am Freitag in
seiner Bundestagsrede nicht das Vorziehen der Bundestagswahl
unterstützen und zugleich die Einleitung dieses Prozesses
durch sein eigenes Abstimmungsverhalten in Frage stellen. Frau
Göring-Eckardt sagte, nun gebe es in der Grünen-Fraktion
eine offene Diskussion. Wir bereiten uns auf einen Wahlkampf
vor." Die Grünen stünden weiterhin zur rot-grünen
Reformpolitik". Die Fraktion will am Freitag in einer
Sondersitzung vor der Bundestagsdebatte über ihr
Abstimmungsverhalten beraten. Die stellvertretende
Fraktionsvorsitzende Thea Dückert nannte den Vorstoß
Münteferings sehr befremdlich". Die Parteivorsitzende
Claudia Roth sagte: Wir werden alles tun, damit es Neuwahlen
geben kann." Stimmenthaltung sei dabei eine Option. Die
Finanzpolitikerin Christine Scheel sagte, sie könne ihre
Entscheidung erst treffen, wenn Schröder die Vertrauensfrage
begründet habe. Außenminister Fischer
äußerte: Wir wollen den Weg frei machen
zu-Neuwahlen." Für und Wider bei der Abstimmung am Freitag
seien abzuwägen. Für Donnerstag mittag ist der
Koalitionsausschuß führender Politiker von SPD und
Grünen zu einer Sitzung in das Bundeskanzleramt eingeladen.
Auf der Tagesordnung stehen Schröders Vertrauensfrage, aber
auch die Beratungen über den Bundeshaushalt 2006 und die
Europa-Politik. Röttgen: Reihen geschlossen
Lt. BERLIN, 28. Juni. Die Unionsfraktion wird vor der Abstimmung
über die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers keine
Probeabstimmung in der Fraktion abhalten, um zu kontrollieren, ob
ihre Reihen geschlossen sind. Der Erste Parlamentarische
Geschäftsführer Röttgen sagte am Dienstag, es gebe
keine Anzeichen, daß ein Mitglied der Fraktion gegen die
Linie der Union agieren wolle. Die Unionsfraktion werde am Freitag
im Bundestag vollständig präsent sein und Schröder
das erfragte Vertrauen verweigern. Auf die Frage nach
verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine fingierte
Vertrauensfrage zum Zwecke einer vorgezogenen Wahl sagte
Röttgen, für die Opposition sei die Lage einfach. Die
Unionsfraktion habe zur Politik des politischen Gegners
ohnehin kein Vertrauen". FAZ 26.6.2005
Berlin,
10.6.2005
Wiefelspütz sieht durch neue Sperrnotrufnummer
Verbraucherschutz gestärkt
Einen besseren
Schutz vor Diebstahl sieht der SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Dieter
Wiefelspütz in der Einführung der zentralen Notrufnummer
116116 bei Verlust von Bank- oder Mobilfunkkarten.
„Wer
kennt das Problem nicht?“ fragt Dieter Wiefelspütz.
„Meist haben Banken und andere Dienstleister lange
Telephonnummern, die gerade dann nicht zur Hand sind, wenn man sie
braucht. Die neue Nummer 116 116 dagegen ist
einprägsam.“
Deutschland
führt als erstes EU-Land eine spezielle Notrufnummer zum
Sperren abhanden gekommener Bankkarten, Mobilfunkkarten und anderer
elektronischer Berechtigungen ein. Unter der Rufnummer 116 116 wird
am 1. Juli 2005 ein bundesweiter Sperrdienst eingerichtet, der aus
dem Inland entgeltfrei erreichbar ist.
Ungefähr
6 Millionen Sperrungen werden jährlich in Deutschland
vorgenommen. Die Schäden entwendeter Karten belaufen sich auf
etwa 40 Millionen Euro. Durch schnelleres Sperren von Zahl- und
Kundenkarten könnten diese Schäden erheblich verringert
werden. Zudem stellt die neue Rufnummer eine große
Erleichterung für die Verbraucherinnen und Verbraucher dar,
die oftmals damit konfrontiert sind, dass verschiedene Karten -
etwa in einer Tasche oder Geldbörse - abhanden kommen und die
unterschiedlichsten Institute kontaktiert werden
müssen.
Nach einer
Sperrmeldung ermittelt die Zentrale den zuständigen
Kartenherausgeber und der Anrufer wird nacheinander mit deren
Sperrdiensten verbunden. Der Anrufer muss sich jeweils
legitimieren, damit ein Missbrauch ausgeschlossen ist.
Die
Sperrvermittlung ist besonders verbraucherfreundlich konzipiert.
Sie wird rund um die Uhr direkt erreichbar sein, der Anruf bleibt
aus dem Inland gebührenfrei. Die Vermittlungskosten tragen die
beteiligten Unternehmen.
„Diese
von der Bundesregierung initiierte neue Notrufnummer bedeutet
für die Verbraucherinnen und Verbraucher einen schnelleren
Schutz bei Diebstahl und Verlust von Bankkarten, Handys und anderen
elektronischen Berechtigungen“ so Dieter Wiefelspütz.
„Damit begegnen wir einem Problem, das zunehmend an Bedeutung
gewonnen hat.“
Dr. Dieter
Wiefelspütz MdB
-Büro
Berlin-
Lotti
Lietzmann
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