Wortlaut der Reden, die zu Protokoll gegeben wurden
Gabriele Wiechatzek, CDU/CSU | Uta Würfel, FDP >> |
---|---|
In der Debatte über den Regierungssitz Berlin gibt es neben Sachargumenten eine Ebene von Gefühlen, Vorbehalten und Ängsten. Viele Bundesbürger -- vor allem im Westen -- stehen den Herausforderungen im Prozeß der deutschen Einheit mit Unbehagen gegenüber und übertragen dieses Unbehagen auf Berlin. Für sie ist ein Umzug von Parlament und Bundesregierung an die Spree das emotionale Negativsymbol beim vermeintlichen Abschied von 40 Jahren westlich orientierter Bundesrepublik. Die geographische Veränderung gilt ihnen als Ausdruck der politischen und wirtschaftlichen Gewichtsverlagerung in Deutschland. Einer Verlagerung, die sich viele nicht wünschen, nachdem doch die Geschichte der alten Bundesrepublik für die meisten von uns eine Erfolgsstory war. In der Ablehnung Berlins als Parlaments- und Regierungssitz kommt eine »Halt die Welt an, ich möchte aussteigen«-Mentalität zum Ausdruck. Sie ist verständlich, aber die Geschichte wird uns Deutschen keinen Ausstieg ermöglichen. Berlin zum Sündenbock der gemischten Gefühle machen zu wollen, ist deshalb nicht nur ungerecht, sondern letztlich auch vollkommen wirkungslos. Keine einzige Zukunftsaufgabe wird leichter lösbar, wenn Bundestag und Bundesregierung im alten rheinischen Zentrum der Bundesrepublik West verbleiben. Unbehagen gegenüber den fundamentalen Veränderungen seit der Maueröffnung gibt es übrigens gerade in Berlin. Die meisten Westberliner haben sich mit dem Westen und der westlichen Wertegemeinschaft stärker identifiziert, als es in der Bundesrepublik der Fall war. Denn ihr Freiheitsbegriff und ihr Lebensstil wurde täglich von einem völlig anderen Gesellschaftssystem in Reichweite konterkariert. Nun erleben die Bewohner des früheren Westteils von Berlin, daß sie nicht mehr so weiterleben können wie bisher. Mehr als alle anderen Bundesbürger müssen sie teilen -- ein Prozeß, der sich täglich in den Investitionsentscheidungen der Berliner Verwaltung zugunsten des Ostens widerspiegelt. Vom Finanzsenator hören sie, daß das Westberliner Niveau nicht gehalten werden könne. Das böse Wort von der drohenden »Verostung« geht um. In dieser Gefühlslage sehe ich eine der größten Gefahren bei einer ablehnenden Entscheidung des Bundestages für Berlin Eine negative Entscheidung würde dort als der Versuch Bonns interpretiert, sich aus der Mithaftung für die Risiken im Prozeß der deutschen Einheit herauszustehlen und die westdeutsche Gemütlichkeit möglichst ungeschmälert bewahren zu wollen. In diesem Zusammenhang muß es nun bedenklich stimmen, daß mehr als die Hälfte der Bundesbürger befürchten, daß persönliche Interessen der Abgeordneten den Ausschlag geben werden bei der Entscheidung Bonn oder Berlin (so das Ergebnis einer Wickert-Befragung). Heute haben wir die Chance, diese negative Einschätzung zu widerlegen. Interessant finde ich, daß die Menschen in der Umgebung von Berlin die Stadt gestärkt sehen wollen. Das ist nicht selbstverständlich. Denn das Verhältnis der Metropole zu ihrem Umland war stets gespannt. Schon Theodor Fontane hat Animositäten zwischen den Berlinern und der umliegenden Landbevölkerung beschrieben. Später, im Sozialismus, wurde Ostberlin auf Kosten des Umlandes zum Schaufenster ausgeschmückt. Dennoch zeigen Meinungsumfragen, daß sich doch die Bewohner der früheren DDR mehrheitlich Berlin als Sitz von Parlament und Bundesregierung wünschen. Auch sie sehen darin ein Symbol, daß das geeinte Deutschland seine neue Rolle in vollem Umfang annimmt. Selbst die Sachsen, die ja zu den Berlinern ein so herzliches Verhältnis haben wie die Schotten zu den Engländern, sprechen sich vor diesem Hintergrund meist für Berlin aus -- eine Geste, die wir besonders zu schätzen wissen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang erwähnen, daß wir Berliner uns keineswegs auf die Mehrung der eigenen Besitzstände beschränken. Wir fordern vielmehr einen umfassenden Ausbau des Föderalismus zugunsten der neuen Bundesländer. Mehr als 70 Bundesbehörden sind in Nordrhein-Westfalen angesiedelt. Diesen rheinischen Zentralismus dürfen wir uns im geeinten Deutschland nicht mehr leisten. Er entspricht altem Denken. Auch wenn man an den bisherigen Strukturen und dem Regierungssitz Bonn festhalten wollte, könnte das geeinte Deutschland nicht in der gemütlichen Nische der Weltpolitik verbleiben, in der es sich der Westteil 40 Jahre lang so gern bequem machte. In der nächsten Zeit sind wir Deutsche in doppelter Hinsicht gefordert:
Diesen Herausforderungen können Bundestag und Bundesregierung am besten von Berlin aus gerecht werden. Das Ja zu Berlin ist zugleich die Zustimmung zur gewachsenen Verantwortung Deutschlands in Europa und in der Welt. |
|
Uta Würfel, FDP >> |