WAHLMÄNNER UND -FRAUEN ENTSCHEIDEN
ÜBER NACHFOLGE VON ROMAN HERZOG
Bundesversammlung tagt am 23. Mai in Berlin
Wenn am 23. Mai in Berlin die 11.
Bundesversammlung zusammentritt, um den Nachfolger von
Bundespräsident Roman Herzog zu wählen, dann ist dies in
vielerlei Hinsicht ein ganz besonderer Tag. Vor 50 Jahren, am 23.
Mai 1949, wurde das Grundgesetz verkündet – seit der 7.
Bundesversammlung 1979 ist es nun Tradition, daß die
Bundespräsidentenwahl an diesem Datum stattfindet.
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD)lädt die
insgesamt 1338 Wahlmänner und -frauen in das neueröffnete
Berliner Reichstagsgebäude ein. Damit findet die Wahl des
Bundespräsidenten zwar schon zum zweiten Mal an diesem Ort
statt, als Premiere jedoch im fertiggestellten Umbau zum
Plenarbereich Reichstagsgebäude.
Drei Kandidaten stehen zur Wahl: für die SPD der
frühere NRW-Ministerpräsident Johannes Rau, für die
CDU die parteilose Physikerin Dagmar Schipanski sowie für die
PDS die Theologin Uta Ranke-Heinemann. F.D.P. und Bündnis
90/Grüne haben keine eigenen Kandidaten aufgestellt.
Unter den Delegierten der Bundesversammlung sind nicht nur
amtierende und ehemalige Politiker zu finden, sondern z.B. auch
Prominente aus Sport, Kultur und Wirtschaft. So wurden
beispielsweise Fußballtrainer Otto Rehagel und die Berliner
Schauspielerin Brigitte Grothum von der CDU nominiert, die SPD hat
Berthold Beitz, Chef der Krupp-Stiftung, sowie den Fußballer
Stefan Kuntz als Wahlmänner gewonnen. Durch die Einbeziehung
von Nicht-Politikern soll der repräsentative Charakter der
Bundesversammlung gestärkt werden.
Die Bundesversammlung setzt sich aus den 669
Bundestagsabgeordneten sowie der gleichen Anzahl von Mitgliedern
zusammen, die von den Länderparlamenten gewählt werden.
Die Zahl der Mitglieder richtet sich nach der jeweiligen
Stärke des Bundestages, variiert daher von Wahl zu Wahl.
Landesdelegierter kann jeder werden, der zum Bundestag wählbar
ist. Von den 669 Mitgliedern der Bundesversammlung, die
Bundestagsabgeordnete sind, gehören 245 der CDU/CSU, 298 der
SPD, 43 der F.D.P., 47 den Grünen, 36 der PDS an. Bei den
Mitgliedern, die die Landtage wählen, sieht die Verteilung
folgendermaßen aus: 302 für die CDU/CSU, 267 für die
SPD, 13 für die F.D.P., 49 für die Grünen, 29
für die PDS, 9 für Sonstige.
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Roman Herzog, früherer Präsident des
Bundesverfassungsgerichts, bei seiner Vereidigung zum
Bundespräsidenten am 1. Juli 1994 im Berliner
Reichstagsgebäude |
Zwar lassen sich aus diesen Zahlen mögliche Mehrheiten
herauslesen, doch die Wahl des Bundespräsidenten erfolgt
geheim, und die Mitglieder der Bundesversammlung sind frei in ihrer
Entscheidung, sind nicht an Aufträge und Weisungen gebunden.
Mögliche Abweichler bleiben daher unbekannt.
In den vergangenen Jahren – und auch heute – wurde
und wird immer wieder der Vorschlag diskutiert, den
Bundespräsidenten durch das Volk wählen zu lassen. Doch
der Parlamentarische Rat, der das Grundgesetz und somit auch die
Grundlagen für die Wahl des Bundespräsidenten schuf, zog
mit seiner Entscheidung für die Bundesversammlung und gegen
eine Volksabstimmung die Konsequenzen aus den Lehren der
Geschichte. Die Weimarer Republik hatte schlechte Erfahrungen mit
ihrem starken Reichspräsidenten gemacht, der für sieben
Jahre direkt vom Volk gewählt wurde und auf der Basis dieser
Legitimation weitreichende Befugnisse hatte – wie
beispielsweise den Kanzler zu ernennen oder zu entlassen, notfalls
auch ohne Rücksicht auf das Parlament. Auf diese Weise wurde
der Weg in den Nationalsozialismus mitgeebnet. Die Väter und
Mütter des Grundgesetzes wollten daher die Stellung des
Präsidenten nicht so stark ausgestalten.
Prof. Theodor Heuss, späterer erster Bundespräsident,
schlug im Parlamentarischen Rat das Gremium der Bundesversammlung
vor, das folgendermaßen im Grundgesetz verankert wurde
(Artikel 54, dritter Absatz: "Die Bundesversammlung besteht aus
Mitgliedern des Bundestages und einer gleichen Anzahl von
Mitgliedern, die von den Volksvertretungen der Länder nach den
Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden."
Hiermit werden die Interessen des Bundes und der Länder
berücksichtigt, die Wahl des Staatsoberhauptes steht auf einem
repräsentativen Fundament. Die Entscheidung für die
Bundesversammlung wurde durch die Enquete-Kommission
Verfassungsreform des Deutschen Bundestages 1976 noch einmal
bestärkt. In ihrem Schlußbericht heißt es: "Eine
Einführung der unmittelbaren Volkswahl des
Bundespräsidenten bedeutet daher zugleich die Entscheidung
für ein aktiv-politisches Präsidentenamt und
müßte entsprechende Änderungen in den Aufgaben und
Befugnissen des Bundespräsidenten nach sich ziehen. Die
Kommission hat jedoch keinen Anlaß gesehen, die vom
Parlamentarischen Rat bewußt getroffenen Entscheidungen
über die Ausgestaltung des Präsidentenamtes und die
Organisation der Regierungsgewalt in Frage zu stellen oder gar zu
revidieren. Sie spricht sich daher gegen die Einführung der
unmittelbaren Volkswahl des Bundespräsidenten aus."
Die Bundesversammlung tritt alle fünf Jahre für einen
Tag zusammen. Das Grundgesetz besagt, daß dies spätestens
30 Tage vor dem Ende der Amtszeit des Bundespräsidenten
geschehen muß. Im ersten und zweiten Wahlgang ist die absolute
Mehrheit der Stimmen erforderlich, im dritten Wahlgang reicht die
relative Mehrheit aus, d.h., derjenige ist gewählt, der die
meisten Stimmen erhält. Erst zweimal in der Geschichte der
Bundespräsidentenwahlen fiel die Entscheidung erst im dritten
Wahlgang: 1969 bei der Wahl Gustav Heinemanns und 1994 bei der Wahl
Roman Herzogs.
Die erste Bundesversammlung tagte am 12.September 1949 in Bonn:
Der Freidemokrat Theodor Heuss wurde Präsident, der
SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher unterlag. Die nächsten vier
Bundesversammlungen traten in Berlin zusammen. 1954 wurde Heuss
für eine weitere Amtsperiode gewählt. 1959 machte die
Bundesversammlung den damaligen Bundesernährungsminister
Heinrich Lübke zum Bundespräsidenten. 1964 erreichte er
im ersten Wahlgang bereits die absolute Mehrheit, war damit
nochmals fünf Jahre im Amt. 1969 tagte vorläufig die
letzte Bundesversammlung in Berlin – nach dem
Vier-Mächte-Abkommen durfte sie dort nicht mehr
zusammentreten. Der SPD-Kandidat Gustav Heinemann wurde
Bundespräsident, verzichtete jedoch auf eine erneute
Kandidatur. Nachfolger wurde Freidemokrat Walter Scheel. 1979:
Bundespräsident Karl Carstens (CDU) erhielt schon im ersten
Wahlgang die absolute Mehrheit. Richard von Weizsäcker (CDU),
zuvor Regierender Bürgermeister von Berlin, blieb zwei
Wahlperioden, 1984 bis 1994, im Amt. Die zehnte Bundesversammlung
tagte am 23. Mai 1994 erstmals seit 1969 wieder in Berlin.
Gewählt wurde Roman Herzog, früherer Präsident des
Bundesverfassungsgerichtes, im dritten Wahlgang mit der Mehrheit
von 696 von 1319 gültigen Stimmen, auf Gegenkandidat Johannes
Rau entfielen 605 Stimmen.
Die Bundesversammlung hat ihren Zweck erfüllt, wenn die
Wahl des Bundespräsidenten erfolgt ist. Der Präsident des
Bundestages erklärt sie für beendet, wenn der
erfolgreiche Kandidat die Wahl angenommen hat. Für den
Amtseid, den der künftige Präsident leisten muß,
beruft der Bundestagspräsident Bundestag und Bundesrat zu
einer gemeinsamen Sitzung ein. Der Eid lautet: "Ich schwöre,
daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen,
seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und
die Gesetze des Bundes wahren und Gerechtigkeit gegen jedermann
üben werde. So wahr mir Gott helfe."
Die Bundespräsidenten der
Bundesrepublik Deutschland seit 1949
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Theodor Heuss 1949-1959 |
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Heinrich Lübke 1959-1969 |
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Gustav W. Heinemann 1969-1974 |
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Walter Scheel 1974-1979 |
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Karl Carstens 1979-1984 |
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Richard von Weizsäcker 1984-1994 |
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Roman Herzog 1994-1999 |