Schreibtisch
Kreativ, aber mit System
Der Schreibtisch ist immer ein Original.
Kaum ein Möbelstück erzählt so viel über einen
Menschen wie dieses. Das trifft natürlich auch auf den
Schreibtisch der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula Heinen zu.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Der Schreibtisch der
CDU/CSU-Abgeordneten Ursula Heinen. |
Mit sechs bekam sie ihren ersten Schreibtisch. Schließlich
ist man mit sechs ein Schulkind. Eigentlich war der Schreibtisch
mehr eine Schreibplatte, die von einer Wand ihres Zimmers zur
anderen reichte und auf der ganz viele wichtige Dinge abgelegt
werden konnten: Malutensilien, Bücher, Papier, Spielzeug,
Schulsachen, Schachteln voller Schätze und Geheimnisse. Ursula
Heinen gefiel diese einfache Spanplatte. Sie war ihr erster
richtiger Arbeitsplatz. Der zweite wurde dann einige Jahre
später bei Ikea ausgesucht. Sie durfte selbst entscheiden und
entschied sich für weiß, schlicht, funktional. Weiß
steht heute bei Ursula Heinen nicht mehr so hoch im Kurs, wenn es
um Möbel geht. Die CDU-Abgeordnete liebt Schwarz und
schätzt weiterhin Funktionalität.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Die CDU/CSU-Abgeordnete Ursula
Heinen. |
Die 36-jährige Parlamentarierin findet, dass man
Schreibtische in Besitz nehmen muss. Dafür braucht es Ausblick
zum Denken, Platz zum Arbeiten, Raum für die Ablage und
Fächer zum Verstecken all der Dinge, die sich in keine Ordnung
fügen: Stifte, Büroklammern, Zettel, Scheren, Lineale,
Minen, Patronen, Magnete, Klarsichthüllen,
Briefumschläge, Brieföffner.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Detailansichten des
Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula
Heinen. |
Der Ausblick ist gegenwärtig ein Problem, und mit dem Platz
ist es nicht weit her. Ursula Heinens Büro befindet sich im
Haus Mauerstraße 29 – ein kleiner Raum, dessen Vertikale
mehr misst als Länge und Breite. Das Fenster ist groß und
gibt den Blick auf eine unschöne Hauswand frei, die mehr einen
Lichtschacht als einen Innenhof begrenzt. Der Platz zwischen
Schreibtisch und Wand reicht nicht aus, um mit dem Drehstuhl die
kleinste Reise zu unternehmen – ein bisschen Schwung und man
steht an der Wand. Der Schreibtisch selbst ist ausreichend
groß, hellgrau und ein wenig plump. Er gewänne unter den
"Organisationsmöbeln" keinen Schönheitswettbewerb.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Detailansichten des
Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula
Heinen. |
Ursula Heinen hat also aus diesem Schreibtisch ihren
Schreibtisch gemacht. Von oben betrachtet, ist er eine kleine
Landkarte, aus der sich manches über Arbeitsstil und
Arbeitslust, Vorlieben und Abneigungen, Privates und
Öffentliches ablesen lässt. Was die Augen sehen, sind
Gegenstände. Vorerst ohne Geschichte und Geschichten. Man kann
eine schnelle Fahrt mit dem Finger über die Landkarte machen
und ab und zu einen kleinen Zwischenstopp einlegen. So erfährt
man einiges, bei dieser Inventur der Gegenstände von links
nach rechts: eine schwarze Lampe, ein großes weißes
Telefon mit schmalem Display und 53 Tasten, ein silberner Laptop,
auf dem ein roter Ordner liegt:
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Detailansichten des
Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula
Heinen. |
Ich finde Laptops angenehm. Sie sind eine wunderbare Erfindung.
Große Computer auf dem Schreibtisch stören mich, der
Bildschirm versperrt meist die Sicht. Vor allem aber kann man einen
Computer nicht mitnehmen. Ich bin fast immer mit meinem Laptop
unterwegs. Das ist ein Segen, so arbeiten zu können.
Außerdem – ich empfange und schreibe sehr viele E-Mails.
Das ist ja inzwischen die zweite Post. Und ich schaue mir die
E-Mails auch immer zuerst an.
Mit einer großen Tasse mit der Aufschrift "Boston" und den
Stars and Stripes und einem Lebkuchenbären mit halben Mandeln
dekoriert in knisternder Folie verpackt, die durch rotes und gelbes
Schleifenband gehalten wird, geht die Bestandsaufnahme weiter. Ein
Bär zum Essen?
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Detailansichten des
Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula
Heinen. |
Der war gestern noch nicht da. Wer mag mir so etwas geschenkt
haben? Moment, ich frage meine Mitarbeiter. Ach, es ist wirklich
ein Geschenk zu meinem Geburtstag vor ein paar Tagen. Lieb, nicht?
Weil ich Geburtstag hatte, stehen hier auch so viel Blumen im
Zimmer. Aber auf dem Schreibtisch mag ich Blumen nicht so gern. Sie
stören einfach bei der Arbeit.
Eine schwarze Unterschriftenmappe, die man erwartet, liegt auf
dem Tisch, ein silberner Postkartenhalter von Alessi, in dem ein
Kalender steckt, steht am hinteren Rand. Den hat mir meine Mutter
geschenkt. Man bekommt ja im Laufe der Jahre viel für den
Schreibtisch geschenkt und kann nicht alles hinstellen. Aber dieses
kleine Stück von meiner Mutter, das will ich auf jeden Fall
hier stehen haben.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Detailansichten des
Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula
Heinen. |
Und wenn man bei Geschenken ist, gleich daneben steht ein
silberner Kugelschreiberhalter mit blauem Kugelschreiber.
Den habe ich von meinem Mann bekommen. Sieht schön aus,
nicht wahr? Zu Hause in Köln teile ich mir einen Schreibtisch
mit meinem Mann. Einfach ist das nicht, wir haben ganz
unterschiedliche Arbeits- und Ordnungsprinzipien. Aber ich liebe
diesen Schreibtisch zu Hause. Er steht am Fenster, und ich kann auf
den Rhein schauen. Das ist doch traumhaft. Die unterschiedlichen
Ordnungsprinzipien? Ich bin chaotischer, auf jeden Fall. Ich zwinge
mich zur Ordnung, weil es angenehmer ist und die Arbeit
erleichtert. Aber wenn ich mal eine Auszeit habe und nicht so auf
Ordnung achten muss... Früher bin ich oft mit meiner
Lieblingstante in den Urlaub gefahren. Sie musste als Kind immer
ganz ordentlich sein. Aber wenn wir dann zwei Wochen für uns
waren, im Urlaub, also die Zimmer, das war manchmal wirklich
unordentlich. Absolut entspannend so etwas. Mit meinem Mann und dem
gemeinsamen Schreibtisch läuft das heute so: Wenn ich am
Wochenende oder in der sitzungsfreien Zeit die mitgebrachte Arbeit
auf dem Schreibtisch verteile, baue ich Stapel. Die wachsen nicht
in den Himmel, aber – na ja – es sind eben Stapel.
Irgendwann nimmt mein Mann alles weg und baut aus den vielen
Stapeln einen Stapel. Er legt alles übereinander. Er kann so
nicht arbeiten. Aber wissen Sie, es funktioniert. Am Ende
können wir uns immer einigen.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Detailansichten des
Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula
Heinen. |
Und der orangefarbene Miniaturstuhl mit silbernen Beinen? Das
ist auch ein Geschenk, da kann ich mein Handy reinstellen.
Irgendwie witzig das Stück.
Ein kleiner gelber Notizblock – Ursula Heinen verbraucht
eine Unmenge Notizblöcke und -zettel – eine
Büroklammer, eine Kassette für das Aufnahmegerät,
das Aufnahmegerät selbst, ein kleiner loser Stapel Papiere und
Mappen lassen sich nur schwer in Ordnungssysteme fügen.
Hauptsache man weiß, wo diese Dinge liegen und sie stören
nicht bei der Arbeit.
Büroklammern hat man immer zu wenig. Oder besser: Wenn man
sie braucht, sucht man sie jedes Mal. Mit Klarsichtfolien ist es
genauso. Das scheint mir eine Gesetzmäßigkeit zu sein.
Rechts neben der freien Arbeitsfläche liegt ein kleines blaues
Buch mit dem Titel "Als Christ in der Politik" von Horst
Waffenschmidt – doch noch ein Geschenk, mit persönlicher
Widmung des Autoren versehen -, vier Acrylbehälter zu je
zweien übereinander gestapelt und mit Papieren und Mappen
gefüllt, stehen in der rechten oberen Ecke.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Detailansichten des
Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula
Heinen. |
In jeder Sitzungswoche unternimmt man erneut den Versuch, alle
Stapel abzuarbeiten. Es ist illusorisch. Meine Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter haben mir hier eine ganz einfache und wunderbar
funktionierende Ablage eingerichtet. Ein Fach ist mit "Büro
Ausgang" beschriftet. Ist klar nicht? Büro z.d.A. heißt:
zu den Akten. Hier habe ich also meine Arbeit geleistet, und es
kann abgeheftet werden. "UH to do?" UH steht für Ursula
Heinen. Und dann gibt es noch "UH to Read". Wie Sie sehen, ist der
Stapel "to do" am größten. Das ist immer so, egal, wie
man sich anstrengt. Hier vorn rechts habe ich mir noch einen Stapel
hingelegt. Mein Lieblingsstapel. Wenn die Sachen in einem Fach
lägen, müsste "Super dringend" draufstehen. Dann liegen
hier noch meine Terminmappe und die Unterschriftenmappe. Vom
Gefühl her, wenn ich das jetzt hier so sehe, ist dieser
Schreibtisch zu voll. Mich stören ja Stapel eigentlich, obwohl
ich eine Stapelbauerin bin. Irgendwann habe ich Sorge, etwas
durcheinander zu bringen. Auf jeden Fall aber muss in der Mitte
noch eine Arbeitsfläche frei sein. Sonst wird's ganz
verrückt. Wenn ich einen Schreibtisch mit Glasplatte
hätte, könnte ich meine Füße sehen, wenn die
Arbeitsfläche frei ist. Wäre doch ein gutes
Kriterium.
|
![](../../../nav_pics/transparent.gif) |
Detailansichten des
Schreibtischs der CDU/CSU-Abgeordneten Ursula
Heinen. |
Wenn Ursula Heinen nach einer langen und anstrengenden
Sitzungswoche nach Hause fährt, räumt sie jedes Mal
vorher ihren Schreibtisch auf. Erst dann ist die Arbeitswoche
richtig beendet, und die nächste Arbeitswoche kann auch wieder
gut beginnen. Ein Schreibtisch, sagt sie, sei etwas sehr
Intimes.
Egal, wo ich arbeite, es ist dann irgendwann mein Schreibtisch.
Er gibt etwas über mich preis. Jeder Ort, an dem man arbeitet,
verrät etwas über die Person. Und man nimmt
natürlich Einfluss darauf, was da verraten wird. Bevor ich
fahre, muss ich klar Schiff machen, sonst fühle ich mich nicht
wohl. Ich finde, ein Schreibtisch verrät viel über den
Charakter des Menschen, der an ihm arbeitet. Wie ich dann meinen
Charakter beschreiben würde? Kreativ. Aber mit System.
Kathrin Gerlof