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März 2/2003
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Der Nachdenkliche

„Ich bin eher ein Anhänger des Floretts als des Säbels“, sagt Norbert Lammert, Mitglied der CDU/CSU-Fraktion und Vizepräsident des Deutschen Bundestages.

Norbert Lammert in einer Archäologie-Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau
Norbert Lammert in einer Archäologie-Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau.

Zu Beginn einer jeden Legislaturperiode wählen die Abgeordneten das Bundestagspräsidium. Es besteht aus dem Präsidenten und in der Regel so vielen Stellvertreterinnen und Stellvertretern, wie es Fraktionen gibt. Sie alle entscheiden über Angelegenheiten, die die Leitung des Hauses betreffen, und leiten abwechselnd die Plenarsitzungen.

Eine Ehre ist es, diesem Gremium anzugehören, und eine Herausforderung dazu. Wer aber sind die Menschen, die diese Herausforderung annehmen? Blickpunkt Bundestag stellt die Mitglieder des neuen Präsidiums vor.

Es gibt Männer, die es einfach haben. Denen steht ein Amt gut zu Gesicht, denn sie wirken in Rede und Antwort so, als übten sie es schon lange aus. Das sind Männer, die Souveränität ausstrahlen, ohne einschüchternd zu wirken. Und wenn sie leise sind, hören die anderen umso genauer hin.

Klingt nach Wunschprogramm. Ist wahrscheinlich aber hart erarbeitet. Wollte man es kurz machen, lautete das so: Dr. Norbert Lammert, Jahrgang 48, verheiratet, vier Kinder, katholisch, Abitur 1967, Wehrdienst bis 1969, Studium der Politikwissenschaft, Soziologie, Neueren Geschichte und Sozialökonomie in Bochum und Oxford, 1975 Promotion zum Doktor der Sozialwissenschaften, Mitglied der CDU seit 1966, seit 1986 Mitglied des CDU-Landesvorstandes Nordrhein-Westfalen, seit 1980 Bundestagsabgeordneter, in drei Ministerien Parlamentarischer Staatssekretär, Koordinator der Bundesregierung für die Luft- und Raumfahrt, kultur- und medienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion von 1998 bis 2002, seit Oktober 2002 Vizepräsident des Deutschen Bundestages.

Vizepräsident, das wissen alle, wird man nicht von ungefähr, und man wird es erst, wenn einem die Mehrheit des Parlaments eine überzeugende und intelligente Ausübung dieses Amtes zutraut. Wenn sie sicher ist, der Gewählte wird vermitteln und wenn nötig schlichten können, den Ordnungsruf auch an die eigenen Fraktionskollegen nicht scheuen und dafür Sorge tragen, dass in einer Debatte niemandes Interesse zu kurz kommt. Er wird zugleich Interessenswahrer aller rund 2.400 Mitarbeiter des Deutschen Bundestages sein und sich für eine möglichst hohe Kultur des Streits einsetzen. Kann, wer so konsensfähig sein muss, unverkennbar bleiben, wer und was er vorher war?

Norbert Lammert
Norbert Lammert.
Norbert Lammert
Norbert Lammert.
Norbert Lammert
Norbert Lammert.
Norbert Lammert
Norbert Lammert.

„Wie in anderen Ämtern vorher“, sagt Norbert Lammert, „versuche ich den Erwartungen gerecht zu werden, ohne mich davon abhängig zu machen.“ Nach diesem Satz macht er eine Pause, als prüfe er die Worte im Nachhinein noch einmal auf Tauglichkeit. Sie bedürfen noch einer Erklärung. Wie also? „Den eigenen Typ, das eigene Stilempfinden zur Geltung zu bringen. Ohne missionieren zu wollen. Es gehört zu den Vorzügen des Systems, dass nicht eine bestimmte Handschrift oder Umgangsform den gesamten parlamentarischen Alltag prägt. Meine Art, die Sitzung des Deutschen Bundestages zu leiten, hin und wieder eine etwas lockerere Bemerkung zu machen, gefällt einigen gut, anderen nicht so sehr. Daraus mache ich keine Theorie. Man sollte den Anforderungen des Amtes gerecht werden, aber so, dass die eigene Persönlichkeit erkennbar bleibt.“

Erkennbar zu bleiben ist ein Anspruch, den der Mann aus Bochum im Leben nie aus den Augen verloren hat. Auch wenn er sich hat prägen lassen und geprägt worden ist durch Geschichten, Geschichte, Bindungen an Familie und Freunde, Verwurzelung in der Religion.

Eine Geschichte ist der Eintritt in die CDU an seinem 18. Geburtstag. „Der Entschluss ist zum einen durch mein Elternhaus entstanden – mein Vater war ein politisch denkender und handelnder Mensch, und so war auch ich nah dran an Politik. Zum anderen hatte ich am Gymnasium einen Sozialkundelehrer, der mich durch die Unbestechlichkeit seiner Urteile faszinierte. Das hat nachhaltige Spuren hinterlassen.“

Eine andere kleine Geschichte ist, dass der Vizepräsident des Bundestages gern Herbert Grönemeyer hört. Weil er ein passionierter Ruhrgebietler sei, sagt er und meint statt heimatlicher Klänge eher die Zeile: „Du bist keine Schönheit, von Arbeit ganz grau“ aus dem Bochum-Lied. „Es ist eine außergewöhnlich ehrliche Region, die nicht durch äußere Reize blendet, sondern durch Arbeit geprägt ist, durch einen offenen, manchmal ruppigen Umgangston“, sagt Norbert Lammert und schickt lächelnd hinterher, dass ihm dieser Umgangston die Eingewöhnung in Berlin erleichtert habe. Was er mit Leidenschaft und Verstand wolle, sagt er, sei die teilweise in ihrer ehemaligen wirtschaftlichen Stärke begründete Selbstbezogenheit der Ruhrgebietsstädte aufzubrechen zu Gunsten einer starken, selbstbewussten Metropolregion.



Norbert Lammert
Norbert Lammert.

„Ich konnte in ganz unterschiedlichen Bereichen tätig sein, habe in der Opposition und in der Regierung gearbeitet. Fragestellungen und Aufgaben haben sich ständig verändert. Jede neue Aufgabe ist neu auch in ihren Anforderungen an den, der sie übernimmt. Das ist für mich eine Quelle der Motivation.“



Dort, ein paar hundert Kilometer entfernt von Berlin, müssen die Kraftquellen sein, aus denen Norbert Lammert schöpft. Die Frau, „mein stärkstes Stück Ruhrgebiet“, die Kinder, die langjährigen und festen Freundschaften. Reicht das, sich 23 Jahre lang für Politik zu motivieren, für eine Arbeit, bei der so oft kleine Brötchen gebacken werden müssen? „Ich konnte in ganz unterschiedlichen Bereichen tätig sein, habe in der Opposition und in der Regierung gearbeitet. Fragestellungen und Aufgaben haben sich ständig verändert. Ich musste mich immer wieder von der Vorstellung verabschieden, alle relevanten Sachverhalte zu kennen und die richtige Antwort auf jede Frage zu haben. Von Zeit zu Zeit musste ich, mit sicher wachsender Lebenserfahrung und politischer Fertigkeit, von vorn anfangen. Jede neue Aufgabe ist neu auch in ihren Anforderungen an den, der sie übernimmt. Das ist für mich eine Quelle der Motivation.“

Eine andere Quelle ist für Norbert Lammert die Neugier. Auf das, was noch kommen wird, und auf vieles, was sich in ganz anderen Bereichen, jenseits der Politik, abspielt. So ganz vergessen ist nicht, dass er in jungen Jahren nicht Politiker, sondern Dirigent werden wollte. Heute sagt er, sein Interesse an Politik sei schon damals zu groß und die Einschätzung seiner Erfolgsaussichten als Künstler zu realistisch gewesen. Was blieb, ist die Sucht oder Sehnsucht nach Kunst. So viel Zeit, sich einen „König Lear“ anzusehen, „Fidelio“ zu hören, Bilder zu beschauen, muss hin und wieder sein. Und hin und wieder muss auch Zeit sein, für die eigene Homepage Rezensionen über das Gesehene, Gelesene, Gehörte zu schreiben. Überhaupt schreiben. Mit geschriebenen Wörtern kann man sich einmischen. Norbert Lammert tut das nicht dauernd, aber gern. Zumal er beim Schreiben den bevorzugten Stil der Auseinandersetzung wählen kann: „Ich bin eher ein Anhänger des Floretts als des Säbels, aber beides sind olympische Sportarten, und ich respektiere, dass es auch viele Anhänger des Säbels gibt.“ Es mag dem einen oder der anderen schwierig erscheinen, in der Politik immer die feine Klinge zu schlagen. Unmöglich ist es wohl nicht. Wenn man stark ist.

Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2003/bp0302/0302011a
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