|
|
Johanna Metz
Wenn schon Kinder Fremde meiden
Bertelsmann-Stiftung stellt Strategien gegen
Rechtsextremismus vor
Deutsches "Blut-und-Boden-Denken" ist Lale Akgün nicht
fremd. Die Bundestagsabgeordnete kam mit neun Jahren aus der
Türkei nach Deutschland, machte Abitur, studierte,
promovierte, gründete eine Familie. 1981 nahm sie die deutsche
Staatsbürgerschaft an und begann Politik zu machen. Seit sie
im Jahr 2002 für die SPD in den Bundestag gewählt wurde,
bekommt sie stapelweise Post. Weniger von interessierten
Bürgern, als von Leuten, für die eine geborene
Türkin als Vertreterin deutscher Bürger im Parlament eine
Provokation ist. Obszönitäten und Drohungen sind da zu
lesen, und nicht selten unterschreiben die Verfasser der bitteren
Briefe mit Vor- und Zunamen.
Wenige Monate ist es her, dass 20 Prozent der sächsischen
Erstwähler der rechtsextremen NPD, 36 Jahre nach ihrem letzten
Wahlerfolg, wieder in einen Landtag verhalfen. Zwölf
nationaldemokratische Abgeordnete machen jetzt Politik in Sachsen,
und offenbar haben sie Sympathisanten auch außerhalb der
eigenen Reihen. Schon zwei Mal stimmten Mitglieder der anderen
Koalitionen in wichtigen Wahlen für die "Nationaldemokraten".
Zusammen mit DVU und anderen rechtsextremen Parteien bastelt die
NPD derweil fleißig an einer "Nationalen Volksfront", einem
rechtsextremen Parteienbündnis, dass künftig auch bei
Bundestagswahlen punkten soll. NPD-Chef Udo Voigt hat zumindest das
Ziel seiner Partei in einem Interview jüngst formuliert: Die
Bundesrepublik solle "abgewickelt" werden.
Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt beobachten diese
Entwicklungen aufmerksam. Über 41.000 Menschen sind laut BKA
dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen. 2003 wurden über
10.000 politisch-motivierte Straftaten mit rechtsextremem
Hintergrund registriert, 1.200 davon waren Gewalttaten.
Untersuchungen zeigen, dass sich Rechtsextremismus vor allem in den
neuen Bundesländern als Alltagskultur etablieren konnte. In
vielen Kommunen gehört rechtes Gehabe zum guten Ton.
Doch warum treffen nationalistische, rassistische oder
antisemitische Gesinnungen besonders bei Jugendlichen auf so
fruchtbaren Boden? Wann wird ein Mensch zum Rechtsextremisten, und
wie kann man das verhindern? Drei neue Studien haben sich mit
diesen Fragen beschäftigt. Im Zuge des Projekts "Strategien
gegen Rechtsextremismus", das die Bertelsmann-Stiftung zusammen mit
dem Centrum für Angewandte Politikforschung (CAP) am 10.
Dezember, dem Tag der Menschenrechte, in Berlin vorstellte, haben
Wissenschaftler zwei Jahre lang die Ursachen von Rechtsextremismus
untersucht und daraus Handlungsempfehlungen für Politik und
Praxis im Umgang mit Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz
entwickelt. Die Verfasser der Studie kommen zu klaren Befunden.
Rechtsextreme Täter sind demnach oft schon als Kinder sozial
und psychisch auffällig geworden. Früh begegneten sie
Fremden mit Angst und Misstrauen und litten unter einem geringen
Selbstwertgefühl. Soziale Kompetenzen, wie Kommunikations- und
Konfliktlösungsfähigkeit und die Fähigkeit zu
Empathie und Selbstkontrolle waren nur gering ausgeprägt. Es
hänge in großem Maße von vorpolitischen Faktoren ab,
ob ein Mensch rechtsextreme Einstellung entwickle, sagt Klaus Wahl
vom deutschen Jugendinstitut, der für das Projekt die
Entwicklungs- und Sozialisationsbedingungen für Toleranz
untersucht hat. Nicht zwingend mündeten diese Eigenschaften in
den Rechtsextremismus, aber dennoch sei es notwendig, früh,
individuell und langfristig der Ausbildung bestimmter
Persönlichkeitsstrukturen vorzubeugen. Diese Aufgabe falle
primär den Eltern zu, sagt Wahl, doch die sollten damit nicht
allein gelassen werden. "Elternbildung" ist also gefragt, und die
hält auch Petra Wagner, die Leiterin des Projekts Kinderwelten
in Berlin, für bitter nötig: "Das Hilfe- und Schutzsystem
der Erwachsenen versagt oft kläglich", sagt sie und stellt
fest: "Es sind die Erwachsenen, die ein Hilfeprogramm
brauchen."
Doch die Schule ist damit nicht aus der Verantwortung entlassen.
Sie sollte, so fassen Ulrike Hormel und Professor Albert Scherr das
Ergebnis ihrer Studie zum Thema "Bildung für die
Einwanderungsgesellschaft" zusammen, die Heranwachsenden
befähigen, sich mit menschenrechtlichen Prinzipien und
aktuellen gesellschaftspolitischen Ereignissen auseinanderzusetzen,
und zugleich Migranten in Lehrer- und Schülerschaft angemessen
repräsentieren. Die Wissenschaftler fordern die "curriculare
Verankerung einer Menschenrechtsbildung" in der Schule, eine Lern-
und Lehrkultur also, die auf Dialog und Mitbestimmung ausgelegt ist
und eine konsequent antirassistische, demokratische Perspektive
einnimmt. Die Lehrer müssten lernen, verhaltensauffällige
Kinder individuell zu betreuen und die Kritik- und
Reflexionsfähigkeit der Schüler zu fördern. Die
Vermittlung reinen Faktenwissens sei dafür nicht ausreichend,
denn, so machen Scherr und Hormel klar, auf den Nationalsozialismus
und Holocaust bezogene historisch-politische Bildung eigne sich
nicht "als exemplarischer didaktischer Fall für eine
Pädagogik der menschenrechtlichen Sensibilisierung" und sei
auch "nicht in der Lage, gegen rechtsextreme Tendenzen zu
?immunisieren'".
Außerhalb Deutschlands hat man das schon länger
erkannt. Rassismus und Diskriminierung werden dort als zentrale
Herausforderung für das Bildungssystem begriffen, wie die
Wissenschaftler bei der Untersuchung der Bildungspolitik und
Bildungspraxis in Frankreich, Großbritannien, den USA und
Kanada erfahren haben. So gebe es zum Beispiel in
Großbritannien Lehrpläne für eine menschenrechtlich
verfasste politische Bildung. In Kanada sorgten entsprechende
Konzepte für eine gezielte Beteiligung von Minderheiten an der
Schulentwicklung. Im aktuellen PISA-Test liegt das Land daher nicht
ohne Grund im obersten Drittel des Rankings. Noch wichtiger ist
aber, dass der Erfolg kanadischer Schüler - nicht wie in
Deutschland - mit deren sozialer Herkunft korreliert.
In der Bundesrepublik ist das Zukunftsmusik. Notwendig wäre
eine umfassende Schulreform, welche die Schüler auf die
Bedingungen einer Einwanderungsgesellschaft gezielt vorbereitet und
Kinder mit Migrationshintergrund vor Benachteiligung und
Diskriminierung schützt. Es reiche eben nicht, einfach nur
"gegen Rechts" zu sein und öffentlichkeitswirksame Appelle zu
starten, erklärt Britta Schellenberg vom CAP in München.
Mit dem Projekt "Strategien gegen Rechtsextremismus" habe man daher
positive Konzepte erarbeiten wollen, die Familien und
meinungsbildenden Institutionen wie Kindergärten, Schulen und
Medien zeigen sollen, wie sie präventiv gegen Intoleranz und
Fremdenfeindlichkeit vorgehen.
Doch auch die Medien werden ihrer Verantwortung nicht immer
gerecht. Das ist das Ergebnis der dritten Teilstudie
"Rechtsextremismus und Fernsehen" von der ARD/ZDF-Medienkommission.
Zwar wirke das Fernsehen einer positiven Darstellung des
Rechtsextremismus entgegen, heißt es, aber nur allzu oft werde
sie ersetzt durch eine Strategie der Kriminalisierung und der
verschärften mentalen und moralischen Ausgrenzung. "Anstelle
von Aufklärung, Ursachenanalyse und politischer
Auseinandersetzung neigen die Medien dazu, eine Gefühlskultur
gegen Rechts zu etablieren und damit das Extremismusproblem zu
entpolitisieren", bemängeln die Verfasser. Eine
hintergründige, differenzierte und weniger stereotype
Berichterstattung wäre, ihrer Meinung nach,
wünschenswert.
So ist Voraussetzung für eine Strategie gegen
Rechtsextremismus, dass der nicht als eigenständiges,
isoliertes Phänomen begriffen wird, sondern als Problem in der
Mitte unserer Gesellschaft, das schon früh durch bestimmte
Entwicklungs- und Sozialisationsprozesse beeinflusst werden kann.
Den genannten Institutionen fällt dabei eine
Schlüsselrolle zu. Sie finden in den vorliegenden
Untersuchungen von Bertelsmann- Stiftung und CAP allemal praktische
Handlungsempfehlungen für ihren täglichen Umgang mit
Kindern und Jugendlichen, die später einmal nicht mit
rassistischen Drohbriefen Furore machen sollen.
Zurück zur
Übersicht
|