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Jörg Schallenberg
"Wenigstens einer in der Stadt sollte Hochdeutsch
sprechen"
Ein Preuße ist demnächst der
dienstälteste Oberbürgermeister Bayerns
Im Frühjahr 2008 ist Schluss. Soviel steht
fest. Dann ist Hartwig Reimann 69 Jahre alt und darf laut Gesetz
nicht noch einmal als Bürgermeister von Schwabach gewählt
werden. Wenn Reimann in seinem weiträumigen Büro von
dieser Regelung erzählt, betont er das Wort "darf"
nachdrücklich. Er sagt es nicht direkt, aber wenn man ihn nur
ließe, dann würde der Bürgermeister auch in der
nächsten Wahlperiode weitermachen. Falls ihn seine Bürger
noch mal wählen würden - aber warum sollten sie das nicht
tun? Bei den letzten sieben Urnengängen haben sie hier in
Schwabach, knapp 40.000 Einwohner, ein paar Kilometer südlich
von Nürnberg, auch für den SPD-Mann Reimann gestimmt,
wenn auch manchmal erst in der Stichwahl.
Das erste Mal trat Hartwig Reimann, damals
gerade 31, im Frühjahr 1970 hier als Kandidat an. Dabei wohnte
er weder in Schwabach noch stammte er aus der Gegend. 1938 in
Westpreußen geboren und bei Hamburg aufgewachsen, verschlug
ihn es ihn erst gegen Ende seines Studiums ganz in die Nähe
nach Erlangen. Doch mit einem juristischen Prädikatsexamen in
der Tasche wanderte Reimann bald ins bayerische Finanzministerium
nach München weiter. Dort erreichte ihn aber im Herbst 1969
plötzlich der Anruf eines alten Bekannten, der zufällig
SPD-Vorsitzender in Schwabach war. In der kleinen Stadt hatten es
sich Bürgermeister und Verwaltung gründlich mit der
Bevölkerung verscherzt, zugleich wehte mit dem fernen Hauch
von 1968 und der beginnenden Willy Brandt-Ära der Wunsch "nach
einem totalen Generationswechsel" durch die Stadt, wie Reimann
rückblickend erzählt. Die Gräben waren so tief
gezogen, dass es plötzlich zum Nachteil geriet, ein
alteingesessener Lokalpolitiker zu sein.
Trotzdem war Reimann anfangs überzeugt,
dass die SPD eher pro forma ein paar neue Gesichter für die
interne Abstimmung suchte, zumal "ich gegen ein
sozialdemokratisches Urgestein antreten musste, der sozusagen neben
dem Rathaus auf die Welt gekommen war. Ich habe nur gedacht: Die
werden doch nie einen 31-jährigen Preußen als Kandidaten
nominieren." Doch genau das taten die Schwabacher Genossen. Wenige
Monate später saß Reimann dann im Rathaus - und blieb
dort bis heute.
Bislang sind es 34 Amtsjahre, und wenn nichts
Unvorhergesehenes geschieht, dann wird Hartwig Reimann im Jahre
2008 der dienstälteste Bürgermeister sein, den es in
Bayern bislang gegeben hat. Dabei sind die Sozialdemokraten in
Schwabach nicht einmal die dominierende Kraft. Eine absolute
Mehrheit haben sie nur einmal Anfang der 70er-Jahre erringen
können. Doch da die Bürgermeister in Bayern traditionell
direkt gewählt werden, zählen Parteiergebnisse nur
begrenzt. Warum also konnte sich der Preuße Reimann so lange
im Amt halten - obwohl er bis heute nicht einmal die Spur eines
fränkischen Akzents verrät?
Der Bürgermeister erzählt von
seinen ersten Tagen im Amt: "Das mit der Sprache wäre doch ein
Problem, haben sie im Stadtrat gesagt, aber ich habe bloß
geantwortet: ?Wenigstens einer in der Stadt sollte Hochdeutsch
sprechen - und wenn es der Oberbürgermeister ist.'" Es ist
nicht so, dass es Hartwig Reimann an Selbstbewusstsein mangelt.
Wenn man sich länger mit ihm über seine
außergewöhnliche Amtszeit unterhält, erwähnt er
gerne immer mal wieder, dass ihm fachlich niemand etwas vormachen
kann und dass er immer noch das Tempo in der Verwaltung vorgibt.
Und als ihn Parteifreunde aus Nordrhein-Westfalen vor der dortigen
Reform des kommunalen Wahlrechts einmal fragten, was man denn
für einen Typ Mensch als Kandidat für eine direkte Wahl
braucht, da meinte Reimann, es wäre wohl hilfreich, "wenn
diese Menschen so sind wie ich".
Andererseits weiß der Bürgermeister
sehr genau, dass es viel mit der wirtschaftliche Situation und der
- wie er sagt - damit verbundenen "Grundstimmung der
Bevölkerung" zu tun hat, dass es in Schwabach seit 1945 erst
zwei Bürgermeister gegeben hat. "Es fehlt so ein bisschen das
Spektakuläre hier", überlegt Reimann. "Wir hatten immer
eine etwas kuriose Situation: Ausgezeichnete
Beschäftigungszahlen, aber relativ wenig
Gewerbesteueraufkommen." Denn trotz eines "Innovationsparks" wird
die Stadt bis heute von mittelständischen Betrieben dominiert,
die für die Automobil- und Elektronikbranche zuliefern. "Es
wurde immer viel gearbeitet und wenig verdient", fasst Reimann die
Lage zusammen, "aber diese alteingesessenen Firmen sind ein sehr
stabilisierender Faktor".
Und so lief in Schwabach nicht nur politisch,
sondern auch wirtschaftlich jahrzehntelang alles "in einem gewissen
Gleichmaß", wie der Bürgermeister analysiert. Zwar war es
ein harter Schlag, als 2002 Photo-Porst dichtmachte und 800
Arbeitsplätze wegfielen. Doch die Arbeitslosenquote liegt mit
gut sechs Prozent noch immer weit unter dem Bundesdurchschnitt -
und weitaus besser als die Zahlen in der umliegenden Region
Nürnberg.
Besser keine Experimente
Das Fehlen jeglicher dramatischer Einschnitte
mag eine wichtige Erklärung sein, warum Reimann immer wieder
gewählt wurde. Besser keine Experimente, denken die
Schwabacher anscheinend. Und der größte Streitfall in der
Stadt, der Bau einer Sondermüllverbrennungsanlage, wurde schon
vor Reimanns Amtsantritt beschlossen. Wenn es nötig war,
konnte der ruhige "Büchermensch", wie sich der
Bürgermeister selbst beschreibt, allerdings auch durchgreifen
- etwa als er 1998 den Leiter des Ausländeramtes absetzte,
nachdem sich Mitarbeiter über dessen selbstherrlichen
Führungsstil beschwert hatten. Seine durch das Amt erlangte
Autorität musste Reimann aber selten strapazieren - selbst
politische Gegner beschreiben ihn als durchaus diskussionsfreudig
und erfreulich wenig beratungsresistent.
Schließlich aber, da grinst Reimann
verschmitzt, "war ich schlicht zur rechten Zeit am rechten Ort".
Zum Beispiel, was die Gebietsreform von 1972 betrifft. Die brachte
Schwabach zwar wenig neue Einwohner, dafür aber ein
Gelände, das als neues Gewerbegebiet ausgeschrieben werden
konnte und der Stadt binnen kurzer Zeit 3.000 neue
Arbeitsplätze bescherte. Anschließend nahm Reimann die
dringend nötige Altstadtsanierung in Angriff - und konnte dank
des neuen Städtebauförderungsgesetzes und nach der
Ölkrise aufgelegter Konjunkturprogramme "Bundesmittel in
Maßen abrufen, die heute gar nicht mehr denkbar
wären".
Die Zeiten haben sich geändert. Heute,
sagt Reimann, "stellen die Bürger gar keine Forderungen mehr,
die irgendwo Geld kosten könnten - ich muss sagen, da haben
die Menschen hier schnell mitgedacht". Mit den immer knapper
werdenden Finanzen hat sich Reimanns Berufsbild vom ersten
Bürger der Stadt zum obersten Manager der Kommune gewandelt.
Der Job ist anstrengender geworden, befindet Reimann - nicht was
die Arbeitszeit betrifft, aber "als immer alles aufwärts ging,
hatte man das Gefühl, das läuft fast von alleine hier und
man muss nur ab und zu mal regulierend eingreifen". Heute dagegen
blickt man auch in Schwabach bang darauf, ob die einheimischen
Firmen nicht immer mehr Arbeitsplätze hinüber in die
Slowakei oder nach Tschechien verlegen.
Nicht, dass Reimann deswegen den Mut
verlieren würde. Nach 34 Amtsjahren wirkt der groß
gewachsene, fast schon weißhaarige Mann keineswegs abgenutzt,
sondern verbreitet eher einen gelassenen, illusionsfreien, von Jahr
zu Jahr gereiften Optimismus, der perfekt mit der von ihm
beschriebenen "Grundstimmung" Schwabachs übereinzustimmen
scheint. Abgesehen davon ist der ewige Bürgermeister Hartwig
Reimann eben ein treuer Gewohnheitsmensch. Einen Ruf nach Bonn hat
der SPD-Mann zu Zeiten der sozialliberalen Koalition zweimal
abgelehnt. Er hatte eben schon für die nächste Amtszeit
in Schwabach zugesagt. Wie hätte er den Wechsel auch Irene
Roth-Szauer erklären sollen? Sie ist die Dame, von der Reimann
sagt: "Wenn sie mal aufhört, ist das für Schwabach viel
schlimmer, als wenn ich gehe." Irene Roth-Szauer sitzt im Vorzimmer
des Bürgermeisters und organisiert seine Arbeit und seinen
Terminkalender. Seit 1970.
Jörg Schallenberg arbeitet als freier
Journalist in München.
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