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Gudrun Giese
Fahrscheinfrei, aber nicht kostenlos: Das
innovative Bussystem Templins
Ortsbesuch
Um innovative Ideen zu entwickeln, muss eine Gemeinde nicht
unbedingt groß sein. Im Gegenteil: Oft erleichtern
überschaubare Strukturen das Wagnis neuer Wege. So war es in
der brandenburgischen Kleinstadt Templin, als 1997 das
örtliche Stadtbusnetz auf der Kippe stand. Statt das von den
Bürgern schlecht angenommene Bussystem einfach zu streichen,
ließ man sich etwas Neues einfallen: Der "fahrscheinfreie
Stadtbusverkehr Templin" wurde zum Jahresende 1997 aus der Taufe
gehoben. "Viel mehr Imagegewinn kann eine Stadt kaum bekommen als
Templin durch dieses Verkehrssystem", meint der
Geschäftsführer der Uckermärkischen
Verkehrsgesellschaft (UVG) Hartwig Winands. Tatsächlich
entpuppte sich der fahrscheinlose Stadtbusverkehr innerhalb
kürzester Zeit als Touristen- und Medienmagnet, brachte der
Stadt steigende Gästezahlen und überregionale
Aufmerksamkeit.
Templin ist ein Kurort in der Uckermark, dem nordöstlichen
Teil Brandenburgs. Ein Thermalsoleheilbad, eine Rehaklinik, die
historische Altstadt und viel Natur drumherum ziehen jährlich
rund 200.000 Gäste an. Der Verkehr ist die Achillesferse
für die, laut Eigenwerbung, "Perle der Uckermark". Rund 17.000
Kraftfahrzeuge quälen sich täglich durch die Innenstadt;
Lärm und Abgaswolken mindern die Kurortqualität
empfindlich.
Der 1992 eingeführte Stadtbus, der auf vier Linien im Halb-
beziehungsweise Einstundentakt verkehrte, trug so gut wie nichts
zur Verringerung des Individualverkehrs bei. Gerade einmal 40.000
Fahrgäste nutzten bis 1996/97 jährlich den Stadtbus. "Die
Ursachenforschung ergab, dass die Mehrzahl der Leute den Bus nicht
als geeignetes Verkehrsmittel für ihre Wege wahrnahm.
Außerdem gab es eine große Hemmschwelle, für kurze
Fahrstrecken ein Ticket zu lösen", stellt Thomas Hoffmann
fest. Er ist in der Verwaltung des Landkreises Uckermark für
den öffentlichen Personennahverkehr zuständig und
gehörte zu einer Vierer-Arbeitsgruppe, die nach der
Bestandsaufnahme das neue Stadtbussystem für Templin
austüftelte.
In der Gruppe war man sich schnell einig, dass die Busnutzer
künftig keinen Fahrschein lösen sollten. Doch einen
Nulltarif sollte Templin nicht erhalten - das hätte Probleme
mit dem Personenbeförderungsgesetz nach sich gezogen. Die
Alternative hatten sich die Planer bei Modellen wie dem
Semesterticket für Studenten oder dem Skipass-ticket
abgeschaut: Aus dem Aufkommen der städtischen Kurtaxe und
einem Teil der Parkgebühren entrichtete Templin pro Fahrgast
den Tarif, den der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) vorsah.
"Die Nutzer wurden getrennt nach Erwachsenen und Kindern erfasst,
die Fahrpreise nachträglich von der Stadt entrichtet", so
Hoffmann.
Der Erfolg war enorm. Kurz vor Weihnachten 1997 werbewirksam
eingeführt, brachte es der fahrscheinfreie Busverkehr bis 1999
auf eine Verzehnfachung der Fahrgastzahlen; 2001 war man beim
Spitzenwert von 613.432 Nutzern angelangt, was einer
Versechzehnfachung gegenüber 1997 entsprach. Bus fahren wurde
in Templin zur Selbstverständlichkeit. Eine wissenschaftliche
Auswertung im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums ergab 1999,
dass mehr als 50 Prozent Neukunden gewonnen wurden, die Mehrzahl
aller Fahrgäste den Bus regelmäßig nutzte und
insbesondere Schüler, Touristen, Patienten der Reha-Klinik
sowie Behinderte auf das Angebot zurückgriffen.
Bus wird zur Alternative zum Auto
Nicht nur die fahrscheinlose Nutzung kam gut an. Der
Verkehrsbetrieb optimierte nach und nach die Linienführung, so
dass im Laufe der Jahre 90 Prozent der Stadtfläche mit nur
einer Buslinie erschlossen wurden. In Spitzenzeiten fährt alle
20 Minuten ein Bus. Mit diesem Erfolgsrezept wurde das Bussystem
nach der zweijährigen Probephase problemlos verlängert.
"Die meisten Bürger und Gäste sehen heute im Bus eine
positive Alternative für die täglichen Wege", so Thomas
Hoffmann. "Die Templiner Einwohner identifizieren sich mit ihrem
Bus und machen Gäste darauf aufmerksam." Auch die
Übernachtungszahlen sind, gegen den Trend, im selben Zeitraum
gestiegen: von 126.748 noch 1997 auf 237.948 im Jahr 2001.
Doch ganz ungeschoren hat das fahrscheinfreie Stadtbussystem die
Zeiten der allgemeinen Haushaltskrise nicht überstanden. 2003
musste Templin das populäre System modifizieren: Einwohner der
Stadt können seitdem eine Jahreskurkarte für 30 Euro
erwerben, die die jeweiligen Familienmitglieder zur Nutzung des
Stadtbusses berechtigt. Kurgäste und Touristen decken den
Fahrpreis ebenfalls mit der für sie obligatorischen Kurkarte.
Tagesgäste, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach
Templin reisen, können mit ihrem Verkehrsverbund-Ticket den
Bus nutzen. Bleibt ein unbezifferter Rest, der pro Fahrschein
neunzig Cent zahlt.
"Die Fahrgastzahlen sind zurückgegangen, liegen aber immer
noch beim Siebenfachen des Ausgangswertes", sagt
UVG-Geschäftsführer Hartwig Winands. Ungewöhnlich
sei der Rückgang nicht. Auch in der belgischen Stadt Hasselt,
die europaweit als Vorbild für die gezielte Förderung des
öffentlichen Nahverkehrs gilt, pendelten sich nach der ersten
Euphorie die Fahrgastzahlen auf einem etwas niedrigeren Niveau ein.
"Schwieriger als die Einführung eines neuartigen Systems ist
seine dauerhafte Etablierung", stellt Thomas Hoffmann fest. Doch er
ist optimistisch, dass der Stadtbusverkehr, nachdem er die ersten
Kinderkrankheiten überstanden hat, weiterhin einer der
Touristenmagnete Templins bleiben wird.
Die Autorin ist freie Journalistin in Berlin.
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