"Die Regelungswut muss sofort beendet
werden"
Interview mit Gerd Landsberg,
Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen
Städte- und Gemeindebundes
Das Parlament:
Wie schätzen Sie die Situation der Städte und
Gemeinden ein?
Gerd Landsberg: Die Kommunen befinden sich in der
schwersten Finanzkrise seit dem Bestehen der Bundesrepublik. Der im
letzten Jahr erfolgte und von der Bundesregierung in den Medien
immer wieder thematisierte Anstieg bei den Einnahmen aus der
Gewerbesteuer hat den Kommunen nur partielle Mehreinnahmen
gebracht. Dies betraf lediglich eine Einnahmeart und reichte bei
weitem nicht aus.
Wir gehen davon aus, dass dies auch in diesem Jahr so sein wird,
da wir weiterhin mit einer rückläufigen Entwicklung bei
anderen Einnahmearten wie dem gemeindlichen Anteil an der
Einkommensteuer rechnen. Hinzu kommt ein Anstieg bei den Ausgaben
für Pflichtaufgaben wie den sozialen Leistungen. Dies zeigt:
Die Absenkung der Gewerbesteuerumlage ist zwar ein richtiger
Schritt, aber sie allein löst weder in diesem Jahr, noch in
den künftigen Jahren die strukturellen Probleme in der
finanziellen Ausstattung der kommunalen Haushalte.
Das Parlament:
Wie haben sich die kommunalen Finanzen konkret entwickelt?
Gerd Landsberg: Im Jahr 2004 wird nach den bisher
vorliegenden Ergebnissen mit einem Defizit in den kommunalen
Haushalten zwischen acht und neun Milliarden Euro zu rechnen sein,
realistisch wird in etwa der Wert aus dem Jahr 2003, nämlich
8,5 Milliarden Euro sein. Zur Orientierung: Diese 8,5 Milliarden
Euro waren einmal ein beispielloser Rekordwert, auf dessen Niveau
wir nun verharren. Dies war nahezu eine Verdoppelung gegenüber
dem Jahr 2002 mit annähernd 4,7 Milliarden Euro. Im Jahr 2000
lag das Finanzierungssaldo der Kommunen noch bei Plus 1,9
Milliarden Euro. Das darf nicht in Vergessenheit geraten, wenn
heute von angeblichen Entlastungen der Kommunen die Rede ist.
Zudem beobachten wir seit Jahren einen kontinuierlichen Anstieg
der Ausgaben für soziale Leistungen. Eine der Ursachen
hierfür möchte ich am Beispiel Grundsicherung
erläutern: Diese grundsätzlich zu begrüßende
Verbesserung für Menschen mit keinen oder nur geringen
Ansprüchen auf Rente wurde zum 1. Januar 2003 durch
Bundesgesetz eingeführt. Zur Finanzierung zieht der Bund die
Kommunen heran, die aufgrund der bundesgesetzlichen
Kompetenzzuweisungen keine finanzielle Erstattung vom Bund für
diese Mehrbelastung bekommen. Zwar wurden die Kommunen gleichzeitig
bei der Sozialhilfe entlastet, allerdings übersteigen die
Belastungen durch die Grundsicherung diese Entlastungen um ein
Vielfaches. Für Städte und Gemeinden hat dies ganz
konkrete Auswirkungen: Im ersten Halbjahr 2004 lagen wir bei einem
Ausgabenzuwachs um sieben Prozent, auf das Jahr berechnet gehen wir
von circa sechs Prozent aus. Dies zeigt: Eine Begrenzung der
Ausgaben der Kommunen kann nur durch einen Entlastung bei den
Aufgaben erreicht werden.
Das Parlament:
Welche Vorschläge hat der Städte- und Gemeindebund
für eine Begrenzung der Zuweisung von Aufgaben an die
Kommunen?
Gerd Landsberg: Wir fordern im Rahmen der Modernisierung
der bundesstaatlichen Ordnung, dem Bund die Möglichkeit zu
nehmen, den Kommunen überhaupt Aufgaben zuzuweisen. Die
kommunale Selbstverwaltung, wie sie in Artikel 28 Absatz 2 des
Grundgesetzes garantiert wird, läuft teilweise ins Leere. Dies
hat im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen haben Bund und
Länder in der Vergangenheit sukzessive die kommunale
Selbstverwaltung ausgehöhlt, durch eine Verschiebung der
Aufgabenverteilung in der bundesstaatlichen Ordnung, die die
Interessen der Kommunen nur zu selten berücksichtigte.
Andererseits ging dies einher mit einer strukturellen
Verschiebung bei der Finanzausstattung der Kommunen im
Verhältnis von Bund und Ländern. Im Rahmen einer
Gemeindefinanzreform müssen wir den ursprünglichen Anteil
der Gemeinden am Steueraufkommen deshalb wieder erreichen. Die
Absenkung der Gewerbesteuerumlage, die den Kommunen im Jahr 2004
etwa 2,5 Milliarden an Entlastung verspricht, reicht bei weitem
nicht aus.
Das Parlament:
Sie fordern nach wie vor eine Gemeindefinanzreform?
Gerd Landsberg: Erforderlich ist endlich ein großer
Wurf, der in der Lage ist, die Inkongruenz von Aufgaben und
Ausgaben nachhaltig zurückzuführen. Wir sind dabei offen
für Vorschläge, die dies zu leisten im Stande sind und
den Gemeinden die nötigen finanziellen Spielräume
zurückgeben.
Das Parlament:
Was müsste eine Gemeindefinanzreform, die ihrer Ansicht
nach ihrem Namen gerecht wird, leisten?
Gerd Landsberg: Die Kommunen können in ihrer
krisenhaften Situation nur eine Reform mittragen, die ihnen mehr
Einnahmen als bisher beschert, und zwar langfristig gesehen. Denn
vielfach geht es erst einmal darum, die gemeindliche
Finanzautonomie wieder herzustellen. Wichtig erscheint mir
außerdem, dass es keine Verwerfungen zwischen einzelnen
Kommunen geben darf, beziehungsweise dass diese angemessen
ausgeglichen werden. Es geht hier um die Frage der
Verteilungsgerechtigkeit. Außerdem darf es nicht - wie bei
nahezu jeder Reform - zu einer Erhöhung des
Verwaltungsaufwands kommen, denn dies würde wiederum
Mehrkosten zur Folge haben. Auch möchte ich betonen: Die
Gewerbesteuer, deren Abschaffung zuletzt wieder vielfach gefordert
wurde, muss solange erhalten bleiben, bis es eine echte Alternative
dazu gibt.
Aus meinen Ausführungen zur Aushöhlung der
gemeindlichen Selbstverwaltung folgt aber auch: Eine
Gemeindefinanzreform kann sich nicht bloß auf die
Einnahmenseite beschränken. Gemeinden brauchen
größere Spielräume bei der Aufgabenwahrnehmung.
Das Parlament:
Wie könnten den Kommunen größere
Handlungsspielräume verschafft werden?
Gerd Landsberg: Ohne Bürokratieabbau wird es in
Deutschland keinen Aufschwung geben. Der Deutsche Städte- und
Gemeindebund fordert weniger und bessere Gesetze in Deutschland. Zu
viele Normen und Standards schränken die
Handlungsspielräume der Städte, Gemeinden, Bürger
und Wirtschaft ein und verhindern damit Innovation, Wachstum und
Selbstverantwortung. Wir brauchen eine Reform der Gesetzgebung.
Notwendig sind verständlichere und praxisorientierte Gesetze.
Die Regelungswut muss sofort beendet werden.
In der 8. Wahlperiode des Bundestages (1976 bis 1980) wurden
insgesamt 339 Gesetze verkündet, in der vergangenen
Wahlperiode (1998 bis 2002) waren es bereits 546. Derzeit gelten in
Deutschland rund 2.150 Bundesgesetze und rund 3.130
Rechtsverordnungen. Hinzukommen für jeden Bundesbürger
mehrere hundert Landesgesetze und -verordnungen sowie kommunale
Satzungen. Das geltende Recht der Europäischen Union umfasst
allein 105.000 Seiten. Mit dieser Flut von Regelungen hat der
Einsatz neuer Instrumente und Methoden im Gesetzgebungsverfahren
nicht Schritt gehalten.
Das Parlament:
Und wie wollen Sie die Gesetzgebung verbessern?
Gerd Landsberg: Wir fordern, dass jedes
Gesetzgebungsverfahren eine umfassende
Gesetzesfolgenabschätzung durchlaufen muss. Die Prüfung
europäischer Rechtssetzungsvorhaben ist durch eine neue Form
der Normfolgenabschätzung zu erweitern. Die Bundesregierung
muss feststellen, welcher Änderungsbedarf sich durch
europäische Regelungen im Bundesrecht ergibt und welche Kosten
für wen daraus entstehen. Soweit möglich, sind Gesetze,
Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften zeitlich zu
befristen. Ein "Gesetzes-TÜV", das heißt die
regelmäßige Prüfung der Normen auf Notwendigkeit und
Praxistauglichkeit, ist einzuführen. Bei jedem
Gesetzesvorhaben sollte zunächst auch geprüft werden, ob
als Alternative eine freiwillige Selbstvereinbarung oder ein
kooperatives Modell in Betracht kommt.
Das Parlament:
Gibt es Vorbilder für diese Forderungen und sind sie nicht
unrealistisch?
Gerd Landsberg: Im Gegenteil. In Österreich wurde
der so genannte Konsultationsmechanismus sogar in der Verfassung
geregelt. Danach darf der Bund die anderen Ebenen (Länder oder
Kommunen) nur belasten, wenn über die Kostenfolge eine
einvernehmliche Regelung getroffen wurde. Aber auch ohne eine
Änderung des Grundgesetzes könnte die Bundesregierung auf
der Grundlage einer Selbstverpflichtung solche Verfahren sofort
praktizieren. Auch die Europäische Union wird sich in dem
EU-Verfassungsentwurf zu einer umfassenden Einbindung und
Anhörung der repräsentativen Verbände verpflichten.
Da dürfen wir in Deutschland nicht zurück stehen. Wir
stehen in unserem Land alle miteinander vor schweren, aber
unvermeidbaren Reformschritten. Der Bund und die Länder
müssen erkennen, dass sie diesen Reformweg ohne die Kommunen
nicht werden zurücklegen können.
Die Fragen stellte Bert Schulz
Zurück zur
Übersicht
|