Andreas Kost
Der Siegeszug der Süddeutschen
Ratsverfassung
Ein Überblick über die verschiedenen
kommunalpolitischen Strukturen in den Bundesländern
Kommunalpolitik ist Ländersache. Da innerhalb des
konsequent föderalistisch aufgebauten Systems der
Bundesrepublik die Gemeinden zur Ebene der Länder
gehören, sind es sie, die die Rahmenbedingungen für die
Gemeinden festsetzen. Dies gilt jeweils für ihr Gebiet und
bezieht sich auf die Größe, den Umfang ihrer Aufgaben,
die Einordnung in Verwaltungsgemeinschaften, in Landkreise und
Bezirke sowie vor allem auch für das als Innere
Gemeindeordnung bezeichnete institutionelle Arrangement. Die
Länder entscheiden auch, welche Staatsaufgaben -
zweckmäßigerweise - den Kommunen zur Erledigung
übereignet werden.
Demgegenüber legt der Bund - in Artikel 28 des
Grundgesetzes - allgemeine Prinzipien inklusive einer
institutionellen Selbstverwaltungsgarantie für die Gemeinden
und Gemeindeverbände fest, die man als Demokratiegebot und als
Homogenitätsprinzip begrifflich fassen kann. Darüber
hinaus wirkt der Bund bei der Festsetzung des Steueraufkommens
für die Gemeinden mit. Die Länder sind über den
Bundesrat dabei gleichzeitig die Sachwalter ihrer Gemeinden, die
selbst über kein Mitwirkungsrecht auf Bundesebene
verfügen.
Es kann eigentlich nicht verwundern, dass bei der alleinigen
Zuständigkeit der Länder für ihre Gemeinden die
Kommunalverfassungen recht unterschiedlich aussehen. Zugespitzt:
Potenziell hat jedes Land seine eigene Kommunalverfassung. Dabei
können die Unterschiede verschieden stark ausgeprägt
sein, und es können unterschiedliche Muster miteinander
konkurrieren. Es kann aber auch ein Angleichungsprozess
stattfinden, in dem die Länder voneinander lernen. Das
Letztgenannte wäre eine positive Folge des Föderalismus,
wenn man ihn denn als Konkurrenzföderalismus versteht.
Kennzeichnend für die politische Entwicklung der deutschen
Kommunen in den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist vor
allem die Reform der Kommunalverfassungen. Zu beobachten ist dabei
eine starke Angleichung der kommunalen Verfassungssysteme. Das
Ergebnis des institutionellen Reformprozesses hat aber nicht
überall zu einer Vereinheitlichung der kommunalen
Verfassungssysteme geführt, was weder zu erwarten war noch
unbedingt wünschenswert erscheint. Man kann auch nicht davon
ausgehen, dass diese Entwicklung bereits abgeschlossen ist.
Allerdings hat der bisherige Reformprozess einen teilweise
spektakulären Verlauf genommen. Diese dynamische Phase
dürfte weitgehend abgeschlossen sein. Was noch bevorzustehen
scheint, sind eher graduelle Veränderungen und
Verbesserungen.
Der Anstoß für die Änderungen der
Kommunalverfassungen in den alten Bundesländern seit Beginn
der 90er-Jahre kam von außen, nämlich von den neuen
Bundesländern her, verbunden mit der kritischen Forderung der
Bürger nach erweiterten Beteiligungsmöglichkeiten. Dies
korrespondierte dann mit einer (nicht immer ganz freiwilligen)
Einsicht der verantwortlichen Politiker in den alten
Bundesländern, die Kommunalverfassungen reformieren zu
müssen und dabei dem Partizipationsbedürfnis der
Bevölkerung Rechnung zu tragen.
Die dadurch erzeugten dynamischen Entwicklungen wurden in den
verschiedenen Gemeindeordnungen schließlich institutionell
gefasst. So haben sich die Rahmenbedingungen von Kommunalpolitik im
vergangenen Jahrzehnt grundlegend geändert. Einmal in Richtung
auf ein Mehr an Demokratie: durch die Einführung der
Direktwahl des Bürgermeisters und des Referendums - beides
bundesweit - in allen Flächenstaaten. Zum anderen ist die
Stellung des Hauptverwaltungsbeamten (des Bürgermeisters)
gestärkt worden, nicht nur durch einen Zugewinn an
Kompetenzen, sondern vor allem durch die Volkswahl selbst, die dem
Amtsinhaber ein höheres Maß an Legitimation
verschafft.
Die Einführung der Direktwahl der Gemeindespitze setzte
notwendigerweise eine Änderung der Kommunalverfassung in jenen
Ländern voraus, deren Bürgermeister von der
Kompetenzausstattung her schwach waren. Denn die Volkswahl bedeutet
einen Zuwachs an Legitimation, der mit entsprechenden
Handlungserwartungen der Bürger einhergeht. Dies betraf sowohl
die Länder mit Norddeutscher Ratsverfassung wie die mit
Magistratsverfassung. Die Norddeutsche Ratsverfassung zeichnete
sich durch einen starken Rat und einen
verhältnismäßig schwachen Verwaltungschef aus. Die
drei Führungsfunktionen Vorsitz im Rat, Leitung der Verwaltung
und Vertretung der Gemeinde wurden auf zwei Amtsinhaber aufgeteilt.
Der Vorsitzende des Rats wurde aus dessen Mitte gewählt und
trug den Titel (Ober-)Bürgermeister.
Die Magistratsverfassung ist ein gewaltenteiliges Modell, das
dem parlamentarischen System sehr nahe kommt: mit der
Stadtverordnetenversammlung als Volksvertretung und dem Magistrat
sowie mit dem Oberbürgermeister an der Spitze als
Stadtregierung. Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen (vormals
Norddeutsche Ratsverfassung) und Schleswig-Holstein (vormals
Magistratsverfassung) sind den Weg konsequent gegangen und haben
sich dem Modell der Süddeutschen Ratsverfassung mehr oder
weniger stark angepasst.
Für die Süddeutsche Ratsverfassung kennzeichnend ist
die starke Stellung des Bürgermeisters, die bereits in seiner
Kompetenzausstattung zum Ausdruck kommt. Das heißt, er ist
stimmberechtigter Vorsitzender des Rats, Chef der Verwaltung sowie
Repräsentant und Rechtvertreter der Gemeinde. Hinzu kommt als
wesentliches Element die Direktwahl des Bürgermeisters.
Baden-Württemberg und Bayern sind die Protagonisten dieses
Verfassungstyps, und die fünf ostdeutschen Bundesländer
übertrugen ihn auf ihre regionalen Gegebenheiten, unter
Einbeziehung jeweiliger spezifischer Aspekte. Der vierte Typus, die
Bürgermeisterverfassung in Rheinland-Pfalz und im Saarland,
gab dem Bürgermeister im wesentlichen dieselben Kompetenzen
wie die Süddeutsche Ratsverfassung, nur dass er hier nicht vom
Volk, sondern vom Rat gewählt wurde. Seit Einführung der
Direktwahl in beiden Ländern ist der Unterschied praktisch
hinfällig geworden. Somit hält nur Hessen an der
Magistratsverfassung fest.
Neben der Kommunalverfassung stellt wohl die jeweilige
Gemeindegröße die wichtigste Variable für die
Kommunalpolitik dar: für die Inhalte, für den Verlauf und
für den Stil von Kommunalpolitik. In welchem Maße der
Parteienstaat die Kommunalpolitik erobert hat, ist nicht zuletzt
von der Größe der Gemeinde abhängig. Unterschiede in
der Kommunalverfassung nach Größentypen gibt es in
Deutschland nicht. Die jeweilige Gemeindeordnung gilt für alle
Gemeinden in jedem Land gleich.
Im Einzelnen stellen sich die Größenverhältnisse
folgendermaßen dar: In Deutschland gibt es insgesamt lediglich
39 Städte mit mehr als 200.000 Einwohnern, die man - nach den
kommunalen Gebietsreformen - noch mit Fug und Recht als "echte"
Großstädte ansprechen kann. Davon liegen allein 16 in
Nordrhein-Westfalen. In diesen 39 Städten leben gerade einmal
24,4 Prozent der Menschen in der Bundesrepublik, gegenüber
42,4 Prozent, die in Gemeinden mit bis 20.000 Einwohnern zu Hause
sind.
Zieht man nun ein Zwischenfazit und wagt gleichzeitig einen
Ausblick, lässt sich ein gravierendes Grundproblem nicht
wegdiskutieren: Für Städte und Gemeinden wird es immer
schwieriger, politische Gestaltungsräume zu eröffnen,
weil die durch ungünstige ökonomische und politische
Trends dramatisch zunehmenden finanziellen Belastungen eine
Vielzahl von Kommunen in Deutschland immer stärker auf die
Erfüllung ihrer von höherer Ebene zugewiesenen
Pflichtaufgaben beschränken. Eine wirklich umfassende und
verteilungsgerechte Gemeindefinanzreform ist überfällig.
Andererseits ist eine Entwicklung zur Dominanz des
Bürgermeisters zu beobachten, die erweiterte
Steuerungspotenziale und effizienteres Wirtschaften beinhalten
kann. Flankiert wird diese Tendenz von der Einführung von
Referenden als weiterem direktdemokratischen Element in die
Gemeindeordnungen. In allen Flächenstaaten kann jetzt die
Bürgerschaft entscheidend anstelle des Rates treten.
Das ist nicht unbedingt als Entwicklung hin zur
plebiszitären Demokratie auf Gemeindeebene zu interpretieren.
Vielmehr hat der Rat lediglich Konkurrenz bekommen, was ihn zwingt,
besser zu werden. Das heißt auch, sich stärker an den
Wünschen der Wähler zu orientieren. Bürgerbegehren
und Bürgerentscheid als direktdemokratische Elemente tragen so
ihren Teil dazu bei, die repräsentative Demokratie auf
Gemeindeebene in ihrer Funktionsfähigkeit zu verbessern.
Dafür allerdings muss das Schwert, das über den
Köpfen des Rats hängt, scharf genug sein.
Der Autor ist Referent in der Landeszentrale für politische
Bildung Nordrhein-Westfalen und Lehrbeauftragter für
Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen.
Gemeinsam mit Hans-Georg Wehling hat er im Auftrag der
Landeszentralen für politische Bildung das Buch
"Kommunalpolitik in den deutschen Ländern" herausgegeben. Es
vergleicht in Einzelbeiträgen die unterschiedlichen
kommunalpolitischen Strukturen in den Bundesländern. Das Buch
ist bei den Landeszentralen und der Bundeszentrale für
politische Bildung erhältlich.
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