Norbert Kersting
Auf dem Weg zu einem effektiven
Dienstleister
Die Reform der kommunalen Verwaltung seit den
90er-Jahren
Die deutsche kommunale Verwaltung galt als
besonders leistungsfähig. Max Weber attestierte der
"bürokratischen Verwaltung" eine hohe technische
Überlegenheit. "Präzision, Schnelligkeit,
Einheitlichkeit" wurden vor allem durch eine straffe Unterordnung
in den streng hierarchisch gegliederten Verwaltungen hervorgerufen.
Viele Jahre war die deutsche Verwaltung Vorbild für andere
Länder. So verwunderte es, dass Anfang der 90er-Jahre ein
Städtewettbewerb der Bertelsmann Stiftung als Gewinner Phoenix
(Arizona, USA) und Christchurch (Neuseeland) sah, während die
deutschen Kandidaten unter "ferner liefen" landeten. Dies forcierte
die Delegitimierung der deutschen Bürokratie und wirkte wie
ein Menetekel.
Die daraufhin einsetzende Verwaltungsreform
ist seit den 90er-Jahren in einen breiteren Kontext der kommunalen
Reformwege einzuordnen. Hierbei zeigen sich auf der einen Seite
weitere Reformmaßnahmen im Bereich der Verwaltungsstrukturen
und auf der anderen Seite Modernisierungsbestrebungen im Bereich
der lokalen Politik. Dabei sind beide Reformstränge
eingebettet in einen globalen Modernisierungsprozess, der sich zum
Teil zeitlich versetzt auch in Deutschland
niederschlägt.
Neben einer Binnenreform der Verwaltung und
der Einführung neuer Managementmethoden wird eine erneute
Diskussion um eine Territorialreform, Finanz- und Funktionalreform
geführt. Hierunter fallen auch Bestrebungen einer
erhöhten Dezentralisierung und einer Verlagerung von Aufgaben
nach unten. Insbesondere aufgrund der starken Metropolisierung in
einigen deutschen Regionen werden erneut Aspekte der Gebietsreform
angedacht, die eine Auflösung beziehungsweise
Neu-Implementation von Verwaltungsebenen vorsehen. Diese
stoßen vor dem Hintergrund der Gebietsreformen der frühen
70er-Jahre teilweise auf vehementen Widerstand.
Die Notwendigkeit kommunenübergreifender
Zusammenarbeit zeigt sich aber auch in der Tendenz einer
zunehmenden interkommunalen Kooperation. Diese bleibt oft weit
weniger umstritten als die Territorialreform, die insbesondere eine
Auflösung der Regierungsbezirke und Landkreise und eine
Neuentwicklung von Regionalkreisen vorsieht. Weiterhin ist in
diesem Reformfenster eine Funktionalreform und eine
Gemeindefinanzreform relevant. Sie wird geprägt durch eine von
oben aufgesetzte Aufgabenkritik, etwa im Bereich der
Sozialgesetzgebung sowie einer auf nationaler Ebene initiierte
Diskussion um den deutschen Föderalismus und die
Gemeindesteuern.
Sind diese Reformmaßnahmen noch eher ein
deutsches Phänomen, so kann die Verwaltungsmodernisierung als
einheitlicher globaler Trend der 90er-Jahre im öffentlichen
Sektor beschrieben werden. Seit den 80er-Jahren fordern die OECD,
Weltbank und IMF eine flächendeckende Einführung von
privatwirtschaftlichen Managementprinzipien im öffentlichen
Sektor und definieren im Washington-Konsensus eine moderne
Verwaltungsführung, die dem deutschen Hierarchiemodell nicht
mehr entspricht. In der verspäteten deutschen Umsetzung waren
die Kommunen auch aufgrund der Finanzkrise zunächst Vorreiter
in diesem Modernisierungsprozess. Bereits 1991 hat die KGSt als ein
Organ eines wichtigen kommunalen Spitzenverbandes nicht mehr die
klassische hierarchische Bürokratie im Weberschen Sinne vor
Augen, sondern entwickelte in Anlehnung an die New Public
Management-Debatte und an die holländische Stadt Tilburg ein
Neues Steuerungsmodell, das sich wie ein Buschfeuer in fast allen
deutschen Gemeinden als Referenzmodell weiter
verbreitete.
Diese neuen Managementmethoden lassen sich
unter dem Label New Public Management in folgende Charakteristika
unterteilen, die in nahezu allen Mitgliedsländern unter gleich
lautenden Programmzielen der Verwaltungsmodernisierung propagiert
werden: Das zentrale Instrument liegt in einer Budgetreform, die
über eine Kosten- und Leistungsrechnung eine stärkere
Output-Orientierung gewährleistet. Das bislang bestehende
kameralistische System soll in diese Richtung weiter entwickelt
werden. Über die neuen Haushalte erwartet man zudem neue
Formen der Steuerung, bei denen die Politik (Gemeinderat) die
groben Ziele vorgeben soll und die Verwaltung Detailfragen in der
Umsetzung klären soll. Insbesondere dies machte das Modell
für die Verwaltungsspitze sehr attraktiv.
Neben der Budgetreform und dem Neuen
Steuerungsmodell stehen aber noch Reformmaßnahmen in Bezug auf
die Personalentwicklung sowie in Bezug auf ein Total Quality
Management (Kundenorientierung) im Vordergrund der Binnenreform.
Auch wenn diese beiden im Reformprozess oft stiefmütterlich
behandelt wurden, sind sie weiterhin auf der Agenda der
Reformmaßnahmen.
Diese Aspekte der Binnenmodernisierung dienen
der Verbesserung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit und
sollen zum Teil über interkommunale Leistungsvergleiche
bewertet werden. Weiterhin sind Kommunen in einem besonderen
Maß auch dem Wettbewerb mit privaten Anbietern ausgesetzt. Die
kommunale Aufgabenkritik ist allerdings bislang kaum
ausgeprägt und eine Binnenmodernisierung wurde der
Privatisierung vorgezogen. Mit der Modernisierung und
Rationalisierung haben viele Gemeinden leistungsfähige
Beteiligungsgesellschaften gegründet, die nun verstärkt
auch mit privaten Anbietern konkurrieren. Über die
Änderungen des Gemeindewirtschaftsrechts sollen die
Beteiligungsgesellschaften eingeschränkt werden.
Die Kritik der privaten Anbieter an
Quersubventionierung, mangelnder Transparenz und mangelnder
Insolvenzmöglichkeit hat in vielen Bundesländern zur
Implementation von Subsidiaritätsklauseln geführt. Die
Kritik der Kommunen an einer strikten Subsidiarität sieht
diese Regelungen als bloße Instrumente der Marktbereinigung
und zum Nutzen neuer privatwirtschaftlicher Monopole. Die
Städte werden gleichzeitig zu "Agenturen der schlechten
Risiken", die lediglich in wenig profitablen Aufgabenbereichen
tätig sein dürfen.
Interessanter sind in diesem Zusammenhang
weitere Strategien, die in Richtung von Public Private Partnership
gehen. Als weiterer wichtiger Bereich im Rahmen der Aufgabenkritik
ist seit Ende der 90er-Jahre die Entwicklung des Dritten Sektors zu
nennen. Dort, wo Staat und Markt versagen, besteht prinzipiell die
Möglichkeit, über bürgerschaftliches, ehrenamtliches
Engagement bislang staatliche Aufgaben zu
gewährleisten.
Die lokale Politikreform unterscheidet sich
in zwei Modernisierungsstränge, die insbesondere die
Legitimation des politischen Systems in den Vordergrund
rücken. Sie sind Resultat eines Demokratisierungsprozesses,
der bereits seit den 70er-Jahren in Deutschland voranschreitet und
eine erhöhte Beteiligung der Bevölkerung vorsieht. Dabei
handelt es sich zum einen um Veränderung im Bereich der
personenzentrierten Demokratie. Neben Wahlrechtsreformen, wie
beispielsweise der Einführung von Kumulieren und Panaschieren,
der Senkung des Wahlalters und ähnlichem, ist in den Kommunen
seit Beginn der 90er-Jahre flächendeckend das aus der
Süddeutschen Bürgermeisterverfassung bekannte Prinzip der
Direktwahl der Bürgermeister installiert worden.
Hierüber kam es in allen
Gemeindeordnungen zu einer Stärkung der Rolle der
Bürgermeister und teilweise direkt oder schrittweise zu einer
Herausbildung von "starken exekutiven Bürgermeistern", die die
zentrale Rolle an der Verwaltungsspitze spielen. Hierüber
entwickeln sich auch Veränderungen in der Aufgabenstruktur der
Ratsmitglieder, die in dem Neuen Steuerungsmodell zunehmend auf
Abstand lenken sollen. Sie sollen eher Kontrollfunktionen
ausüben und vermittelt über die Verwaltungsspitze die
grobe Zielrichtung vorgeben, während die Verwaltung für
die Detailfragen zuständig sein soll.
Personalisierung der Politik
Die Veränderungen beim Wahlrecht haben
die Personalisierung der Politik gefördert. Mit der
Einführung von Panaschieren und Kumulieren konnte der
negativen Trend bei der Wahlbeteiligung nicht gebremst werden. Auch
in Bezug auf die Verständlichkeit und Einfachheit des
Verfahrens wirkt Kumulieren und Panaschieren, das bis auf wenige
Ausnahmen (NRW) nach bayerischem und baden-württembergischem
Vorbild in den 90er-Jahren bundesweit eingeführt wurde,
insbesondere in großen politischen Einheiten wie Landkreisen
und Großstädten oft negativ. Dennoch ist die Akzeptanz in
der Bevölkerung, wie bei allen neuen Beteiligungsinstrumenten
hoch. Gemeinsam mit dem Senken beziehungsweise dem Abschaffen der
Fünf-Prozent-Klauseln hat es oft zu einer Zersplitterung der
kommunalen Parlamente geführt.
Als weitere Reformmaßnahmen sind die
Instrumente der themenzentrierten Demokratie zu nennen. Hierbei
handelt es sich um eine flächendeckende Einführung
lokaler Referenda, die die Beteiligung der Bevölkerung bei
Sachfragen stärken soll. Nachdem in Baden-Württemberg
langjährige Erfahrungen bestanden, wurden in den 90er-Jahren
Bürgergebehren und -entscheide in allen Bundesländern
installiert. Dabei sind die Quoren für Begehren und Entscheide
von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich, nur selten der
Gemeindegröße angepasst und oft
unverhältnismäßig hoch. Die "Vorwirkungen" dieses
Beteiligungsinstruments sind dennoch oft unübersehbar. So sind
zahlreiche Bürgerbegehren und -entscheide oft nicht mehr
nötig, da bereits vorab eingelenkt wurde. Die relativ
häufig kritisierte Reduzierung der "Referenden" auf eine wenig
komplexe Ja/Nein-Frage könnte bei einer zukünftigen
Reformierung des Instruments durch gekoppelte vorgelagerte
Beteiligungsverfahren umgangen werden.
In der Kommunalpolitik werden zunehmend
Partikularinteressen einzelner Interessengruppen über neue
Beiräte und Foren in die stärker verhandlungsorientierte
lokale Demokratie eingeführt. Bislang oft blockierte
Interessengruppen besitzen damit eine erhöhte Möglichkeit
der politischen Beteiligung und des Diskurses mit der Verwaltung,
die sich zunehmend auch in diesen Gremien direkt
einbringt.
Die beiden Modernisierungspfade, die
kommunale Verwaltungsreform und die Politikreform, sind zwei Seiten
einer Medaille. Demokratie und Effizienz sind dabei kein
Widerspruch, sondern betreffen zum Wohle der Bürger beide
Bereiche. In der neuen Bürgergesellschaft stehen die Bewohner
der Städte und Gemeinden als Kunden und als Bürger
zunehmend im Mittelpunkt des Interesses von kommunaler Politik und
Verwaltung.
Professor Norbert Kersting lehrt
Politikwissenschaft an der Universität Marburg.
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