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Jeannette Goddar
Beim "Bündnis für Integration" in
Stuttgart sitzen alle in einem Boot
Ortsbesuch
Dem Stuttgarter als solchem geht es gut, denkt man sich im Rest
der Republik. Die Hauptstadt Baden-Württembergs ist für
vieles bekannt, nur nicht für das, was man mit anderen
Großstädten verbindet: Armut zum Beispiel, Ghettoisierung
oder Kriminalität. In der Tat findet man die
500.000-Einwohner-Stadt in den Statistiken mit Arbeitslosen- und
Sozialhilfequoten ganz unten. Kein anderer Großstädter
wird außerdem so selten Opfer einer Straftat wie ein
Stuttgarter.
Kaum bekannt ist hingegen die Zusammensetzung derer, die sich
diese Privilegien teilen. Stuttgart hat nach Frankfurt den
zweithöchsten Ausländeranteil der Republik und zählt
in ihrem Register Menschen aus 177 Nationen. Fast jeder vierte
Stuttgarter hat keinen deutschen Pass. Vergleicht man
Schulabschlüsse, Berufsausbildungen und Arbeitsplätze,
geht es zwar auch in Stuttgart dem statistischen Einwanderer
schlechter als den Schwaben - aber besser als anderswo.
Dies könnte auch daran liegen, dass man hier enorme
Anstrengungen unternimmt, um allen Einwohnern zumindest
ähnliche Chancen zu verschaffen. Noch bevor das
Zuwanderungsgesetz in die Mühlen zwischen Regierung und
Opposition geriet, machte sich Oberbürgermeister Wolfgang
Schuster (CDU) daran, Verbündete für ein "Bündnis
für Integration" zu suchen. Weil, wie Schuster sagt, "wir eine
Einwanderungsstadt waren und sind und es uns überhaupt nicht
leisten können, nicht jeden, der zu uns kommt, zu
qualifizieren". Heute, fügt Schuster hinzu, aber erst recht in
Zukunft: Im Jahr 2030 werden 40 Prozent der Einwohner und jeder
zweite unter 20 nichtdeutscher Herkunft sein.
Man will kein Debattierclub sein
Um zu erreichen, dass das Bündnis kein Debattierclub,
sondern ein effektives Gremium wird, leistete Schuster ohne Ansicht
von Partei, Herkunft oder Liebsamkeit Überzeugungsarbeit. 2001
wurde das bundesweit einzigartige Integrationsbündnis mit den
Stimmen aller im Gemeinderat vertretenen Fraktionen ins Leben
gerufen. Mitglieder sind außer der Kommune auch die
Landesregierung, Gewerkschaften, Kirchen, Bildungs-, Migranten- und
Wohlfahrtsorganisationen. Koordiniert wird die Arbeit im Rathaus
von der Stabsabteilung Integrationspolitik.
Im Büro des Integrationsbeauftragten Gari Pavcovic wurde
zuallererst alles vernetzt, was irgendwie mit Sprachförderung
zu tun hatte. Der Wust von Kursen, Zuständigkeiten und
Finanzierungsmodellen konnte dabei zwar nicht abgeschafft, aber
wenigstens so entwirrt werden, dass nun jedem ein für ihn
durchschaubares Angebot gemacht werden kann. Heute bauen die
Sprachangebote vom Kindergarten bis zur Berufsschule aufeinander
auf. Parallel zum Unterricht für Kinder werden den
Erwachsenen, vor allem den Müttern, 150-stündige
Integrationskurse nach niederländischem Vorbild angeboten.
Aufgenommen werden nicht nur Neuankömmlinge, sondern auch
Aussiedler und ehemalige Gastarbeiter, die zwar 30 Jahre hier
leben, aber immer noch keinen Überweisungsauftrag
ausfüllen können.
Integration als Querschnittsaufgabe
Die Stabsstelle will aber noch viel mehr: Integration soll eine
"Querschnittsaufgabe" werden. Das heißt: Auch die Mitarbeiter
der öffentlichen Verwaltung, Bibliotheksmitarbeiter, Lehrer,
Polizisten, Sozialarbeiter und Sozialamtsmitarbeiter werden
interkulturell geschult - egal, ob in ihrer Jobbeschreibung
"Zielgruppe Migranten" geschrieben steht oder nicht. Und es wird
offensiv für den Einzug von Migranten in die oft als sehr
deutsch empfundene Verwaltung geworben. Wenn Integration
Partizipation heißt, sagt Gari Pavcovic, "dann ist es nur
logisch, wenn auch jeder vierte Stuttgarter Lehrer und jeder vierte
Polizist aus einer Migrantenfamilie stammt". Wenn man ihn fragt, ob
die Überzeugungsarbeit unter Deutschen immer ohne Reibungen
vonstatten geht, antwortet der Integrationsbeauftragte höchst
ehrlich mit "Nein". Warum nicht? "Beidseitige Integration", sagt
er, sei ein "Prozess in vielen kleinen Schritten".
Die kompakte Förderung der Zugewanderten ist nicht zuletzt
eines: teuer. Allein in die Sprachförderung investierte die
Stadt im vergangenen Jahr eine halbe Million Euro. 280.000 weitere
Euro warb man für 2003 bei der Landesstiftung ein. Über
100.000 Euro im Jahr schießen verschiedene Vereine zu.
Oberbürgermeister Wolfgang Schuster hält die Investition
dennoch für unverzichtbar. Es sei Aufgabe jeder Stadt, auch
den Zugezogenen zur gleichberechtigten Teilhabe zu verhelfen,
erklärt der CDU-Politiker: "Integrationspolitik ist doch vor
allem eines: Politik zur Herstellung von Chancengerechtigkeit."
Das sieht auch die UN-Organisation für Bildung und Kultur
so. Am 20. Oktober vergangenen Jahres wurde Stuttgart für das
"Bündnis für Integration" als erste deutsche Stadt mit
dem Preis Cities for Peace ausgezeichnet. Damit würdigt die
UNESCO Städte, die sich um den sozialen Frieden verdient
machen. Zur Begründung hieß es, Stuttgart habe wie kaum
eine andere mit einem Gesamtkonzept für Integration auf die
Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft reagiert.
Auch die interkulturelle Ausrichtung und Besetzung der Verwaltung
wurde explizit gewürdigt: Damit sei die Stadt "in besonderer
Weise bürgernah", lobte UNESCO-Generalsekretär Traugott
Schöfthaler bei der Verleihung des Preises.
Die Autorin ist freie Journalistin in Berlin.
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