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Constanze Hacke
Das Ende des Kirchturmdenkens
Der Wettbewerb der Gemeinden untereinander ist
oft schädlich für alle
Manchmal geht es nur um wenige Minuten. Ein
kleiner Vorsprung, der entscheidet, wo Arbeitsplätze
entstehen. In diesem Fall waren es knapp zehn Kilometer, die der
oberbergischen Gemeinde zur Autobahnauffahrt fehlten. Kilometer,
die für ein Speditionsunternehmen entscheidend waren: Je
länger der Weg zur Autobahn, desto länger die
Gesamtstrecke der Lastwagen. Der Spediteur rechnete dem Rat der
Stadt Hückeswagen seine potenziellen Verluste in Minuten vor -
und entschied, sein Unternehmen im neuen Gewerbegebiet der
benachbarten Stadt anzusiedeln. Denn dort war man mit der neuen
Umgehungsstraße direkt an die A 1 angebunden und konnte sich
auch über gut 50 hinzugewonnene Arbeitsplätze freuen.
Infrastruktur ist eine der wesentlichen
Trumpfkarten vieler Kommunen im Standortwettbewerb. Gleich ob es um
die Anbindung an einen Zubringer oder um die Erschließung
eines neuen Industriegebiets geht: Städte und Gemeinden
versuchen seit jeher, mit der optimalen Kombination von
Standortfaktoren Unternehmen anzulocken - und damit sowohl
Arbeitsplätze als auch Steuereinnahmen zu sichern. In Zeiten
leerer Kassen, hoher Arbeitslosigkeit und strukturellen Wandels ist
die Ansiedlung von Unternehmen für viele Kommunen zur
Überlebensfrage geworden. Finanzknappheit gehört dabei zu
den schwerwiegendsten Problemen: Stärker denn je hängen
Städte und Gemeinden am Tropf von Landeszuweisungen, die die
Unterschiede zwischen armen und reichen Gemeinden ausgleichen
sollen, und an den durch schwindende Steuereinnahmen ebenfalls
sinkenden Zuteilungen von Einkommen- und Umsatzsteuer.
Die Antwort der Kommunen fiel über Jahre
vielfach ähnlich aus: Fast alle Städte und Gemeinden
schlugen dieselben Wege der kommunalen Wirtschaftsförderung
ein und traten miteinander in scharfe Konkurrenz. Dabei ist das
Gewerbesteueraufkommen nicht nur die wichtigste Einnahmequelle der
Kommunen, sondern war in der Vergangenheit oft auch eine der
Stellschrauben im Wettbewerb: Die Gemeinden können die
Höhe der Gewerbesteuer beeinflussen und über einen
prozentualen Hebesatz festlegen, wie viel Gewerbesteuer die
Unternehmen am Ort zahlen müssen. So versuchten Gemeinden quer
durch das ganze Bundesgebiet, mit niedrigen Hebesätzen Firmen
anzulocken. Eine kurzsichtige Rechnung, denn die von den Kommunen
so dringend benötigten Gewerbesteuereinnahmen - an sich schon
stark konjunkturabhängig im Aufkommen - fielen so noch
geringer aus.
Dem Wettlauf der kommunalen Lockangebote
schob das Bundesfinanzministerium im vergangenen Jahr einen Riegel
vor und legte einen Mindesthebesatz fest. Der Deutsche Städte-
und Gemeindebund lehnt einen bloßen Wettlauf um die
niedrigsten Hebesätze ohnehin ab: "Wir sind der Auffassung,
dass die Absenkung der Hebesätze dann ihre Grenzen findet,
wenn daraus nur noch ein Einnahmeverzicht resultiert. Die Standorte
in Deutschland haben hohe Qualität, und das hat seinen Preis.
?Geiz ist geil' ist kein Werbeslogan für Städte und
Gemeinden und schädlich für die Wirtschaftsentwicklung",
meint Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des
Verbandes.
Die Abhängigkeit von eigenen
Steuereinnahmen sorgte in vielen Kommunen zudem für eine
Abhängigkeit von großen Gewerbesteuerzahlern und
führte so zu einer verschärften Rivalität zwischen
den Gemeinden. Planlose Industrieansiedlung um jeden Preis, billige
Grundstücke und großzügig ausgewiesene
Gewerbeflächen waren die Folge. Das Ergebnis fiel oft
zweifelhaft aus, sind Gertrude Penn-Bressel und Andreas Troge vom
Bundesumweltamt überzeugt: In ihren Thesen zur
Flächeninanspruchnahme kritisieren sie den interkommunalen
Wettbewerb um Einnahmequellen. Bundesweit wachse der Bestand an
Brachflächen jeden Tag um ungefähr zehn Hektar pro Tag,
Investitionen in neue Gewerbeflächen führten in der
Gesamtbilanz oft nur zu Betriebsverlagerungen zwischen den
Gemeinden einer Region - ein Wettbewerb, der auf Dauer für
alle Beteiligten kontraproduktiv sei. Ein fairer Wettbewerb
zwischen den Kommunen ist jedoch unwahrscheinlich. Dafür
müssten in allen Städten und Gemeinden gleiche
Startvoraussetzungen und gleiche Interessenslagen vorherrschen. Das
aber entspricht nur selten der Realität.
Auch in Nagold war das nicht so. Die Stadt im
Nordschwarzwald hat seit jeher mit mehreren Problemen zu
kämpfen: Nicht nur die benachbarte starke Wirtschaftsregion
Stuttgart übt eine enorme Sogwirkung aus. Auch die Kommunen
rund um Nagold betrieben mit geringen Grundstückskosten und
niedrigen Gewerbesteuerhebesätzen eine aggressive
Ansiedlungspolitik, um auswärtige Unternehmen anzulocken und
aus Nagold abzuwerben. Ein Wettbewerb, der die Kreisstadt in den
Ruin treiben könnte, würde sie sich darauf einlassen.
Andere Antworten mussten gesucht werden, um in der
Standortkonkurrenz eine ernstzunehmende Größe
darzustellen. Also gingen die Nagolder in die Offensive und luden
zu einer regionalen Wirtschaftskonferenz, um klarzumachen, dass
viele Probleme nur gemeinsam gelöst werden können.
Kooperation statt Konkurrenz, um nicht die einzelne Stadt, sondern
die Region insgesamt zu vermarkten - und den Unternehmen neue
Dienstleistungen anzubieten. Das Ergebnis: die Entwicklung eines
Dienstleistungszertifikats Nordschwarzwald "Kommunale Kompetenz".
Das Gütesiegel wird Gemeinden und Behörden verliehen, die
Qualitätsanforderungen wie Kunden- und Prozessorientierung in
der Verwaltungspraxis erfüllen. Drei Landkreise und rund 20
Kommunen sind beteiligt; sie erarbeiteten ausgehend von einer
Stärken-Schwächen-Analyse einen ganzheitlichen
Qualitätsstandard, der die Anforderungen an die
Dienstleistungen öffentlicher Verwaltungen
definiert.
Die Verbesserung der Serviceangebote steht
angesichts der von zahlreichen Unternehmen beklagten
Bürokratie ganz oben auf der Agenda vieler Kommunen. Zumindest
der gefühlten Bürokratie soll damit etwas entgegengesetzt
werden. "Ein wirtschaftsfreundliches Klima kann beispielsweise
darin zum Ausdruck kommen, dass Unternehmen möglichst nur
einen Ansprechpartner in der Stadtverwaltung - so genannte one-stop
agencies - haben, der sie durch den ?Behörden-Dschungel'
lotst", urteilt Mechthild Scholl von der Abteilung Kommunalpolitik
der Konrad-Adenauer-Stiftung. Neu seien diese Erkenntnisse aber
keineswegs, an ihrer Umsetzung hapere es allerdings oft.
Gute Praxis-Beispiele gibt es aber auch
jenseits des Nordschwarzwalds: zum Beispiel im westfälischen
Arnsberg, das mit einem aktiven Ideen- und Beschwerdemanagement
Unternehmen bei der Lösung von Problemen hilft. Durch eine
speziell installierte Software haben alle Mitarbeiter Zugriff auf
die Historie des Problems, kurze Wege und kompetente Erstkontakte
sind das A und O des Beschwerdemanagements. Hintergrund dieser
Initiative war eine schlichte Erkenntnis: Viele Beschwerden
erreichen eine Verwaltung überhaupt nicht, je nach Branche
tragen nur vier von 100 Kunden eine Beschwerde tatsächlich in
der Behörde vor. Mit einem anderen drängenden Problem von
Unternehmen befasst sich seit Jahren die Kreisverwaltung Soest: Zug
um Zug wurde dort das Baugenehmigungsverfahren als interaktive
Internetanwendung gestaltet. Das Ziel: die papierlose
Baugenehmigung.
Die Bemühungen der Kommunen, eine
intensive Betreuung und Information zu gewährleisten,
Kommunikation, Marketing und interkommunale Kooperation auszubauen
und bessere Serviceangebote für Unternehmen zu bieten, sind
jedoch nur einige Steine im Mosaik der Standortentscheidung.
Wichtig ist für Unternehmen auch das Angebot an qualifizierten
Arbeitskräften - und dass diese am Ort gehalten werden: "Die
Gemeinden können die so genannten weichen Standortfaktoren
beeinflussen, indem sie ein wirtschaftsfreundliches Umfeld
schaffen. Dazu gehören kulturelle Angebote, die Förderung
eines lebendigen Vereinslebens, Sport- und Freizeiteinrichtungen
und vieles mehr, um den Arbeitnehmern ein attraktives Wohnumfeld zu
bieten", argumentiert Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und
Gemeindebund. Eine aktuelle Studie im Auftrag des
Bundesfamilienministeriums gibt ihm recht: Demnach gewinnt
Familienfreundlichkeit als Standortfaktor an Bedeutung; die
Vereinbarkeit von Beruf und Familie könne entscheidenden
Einfluss auf die erfolgreiche Suche und das Halten von Personal
erlangen, heißt es dort.
Standortentscheidungen werden somit nicht nur
zugunsten oder gegen einzelne Kommunen getroffen. Sie beziehen das
gesamte regionale Umfeld mit all seinen harten und weichen Faktoren
ein. Und damit nicht genug: "Die
Maßstabsvergrößerung durch den erweiterten und
intensivierten europäischen Binnenmarkt führt mehr denn
je dazu, dass einzelne Kommunen für sich mit der Anwerbung von
Unternehmen, Beschäftigten und Einwohnern überfordert
sind und dass sie in europäischen oder gar globalen
Dimensionen gar nicht mehr wahrgenommen werden", warnt die
Kommunalforscherin Mechthild Scholl. Womöglich ist das
Bündeln der Kräfte verschiedener Kommunen einer Region
also die einzige Möglichkeit, um die eigene Position im
europäischen Standortwettbewerb zu behaupten: nicht nur im
Kampf um die Ansiedlung von Unternehmen, sondern auch im Wettbewerb
um die durch die demografische Entwicklung zunehmend knapper
werdende Ressource "Bevölkerung".
Auch die kleine oberbergische Gemeinde
Hückeswagen hat sich nach den Erfahrungen mit der
Speditionsfirma mittlerweile zu einer Kooperation entschlossen:
Ausgerechnet in der Kreisstadt des Nachbarkreises Remscheid fand
man einen Verbündeten und schmiedete so mit einer gemeinsamen
Wirtschaftsförderungsgesellschaft eine regionale Allianz. Der
Autobahnanschluss ist damit zumindest ein kleines Stückchen
näher gerückt.
Constanze Hacke arbeitet als freie
Wirtschaftsjournalistin in Köln.
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