Christian Arns
(Fast) allein auf weiter Flur: Wiesbaden setzt
Hartz VI selbst um
Ortsbesuch
Wiesbaden setzt Hartz IV alleine um. Die hessische
Landeshauptstadt nutzt die erst im Sommer zäh errungene
Optionsklausel im 4. Gesetz für moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt, wie Hartz IV offiziell heißt. Gerade einmal
sechs Städte machen von dieser Möglichkeit Gebrauch; alle
anderen so genannten Optionskommunen sind Landkreise.
Schnell hieß es bei Kritikern, allein
Ministerpräsident Roland Koch (CDU) habe beschlossen, die
Landeshauptstadt zur Vorzeigekommune zu machen. Sein Parteifreund,
Wiesbadens Oberbürgermeister Hildebrand Diehl, hätte
diese Entscheidung lediglich umgesetzt. Doch Diehl leitet einen
parteipolitisch bunt gemischten Magistrat - und der war sich einig:
Er beschloss das Optieren einstimmig.
Nun wird Wiesbaden alles ohne die örtliche Arbeitsagentur
machen: von der Beratung über die Auszahlung des
Arbeitslosengeld II (ALG II) und die Qualifizierung bis hin zum
eigentlichen Ziel, der Vermittlung in einen festen Job. "Das Ziel
muss immer der Weg in den ersten Arbeitsmarkt sein", betont
Sozialdezernent Wolfgang Hessenauer (SPD). Da Hartz IV aber
natürlich keine Arbeit schafft und allein der verbesserte
Betreuungsschlüssel noch nicht dazu führt, dass mehr
Arbeitslose vermittelt werden können, setzt Hessenauer auf
bessere Qualifizierung.
Gute Erfahrung mit Modellprojekten
Zwar gesteht der SPD-Politiker zu, dass man "in einigen
Berufsgruppen noch so gut sein kann, da bekommt man zurzeit keinen
Job". Dennoch wird das Sozialamt die Hilfebezieher künftig
insbesondere in Beschäftigungen vermitteln, bei denen "der
Betroffene ausgebildet wird oder sich fortbildet". Es könne
nicht nur darum gehen, Menschen irgendwie zu beschäftigen und
sie so aus der Statistik heraus zu bekommen, meint Hessenauer. Die
eigentliche Chance der Reform liege darin, individuelle Probleme
und Verbesserungsmöglichkeiten jedes Einzelnen zu erkennen und
zu beheben.
Und genau in diesem Bereich traut sich Wiesbaden zu, besonders
erfolgreich zu sein. Denn das Sozialamt kümmert sich im
Modellprojekt "VerSiA" bereits seit drei Jahren intensiv um
Langzeitarbeitslose. Der Name steht für "Vermittlung von
Sozialhilfeempfängern in Arbeit". Wiesbaden war einer von 30
Standorten beim bundesweiten "Modellvorhaben zur Verbesserung der
Zusammenarbeit zwischen Arbeitsämtern und Trägern der
Sozialhilfe", abgekürzt "MoZArT". Es war noch vom damaligen
Bundesarbeitsminister Walter Riester angestoßen und umgesetzt
worden, die Projekte liefen zwischen 2001 und 2003.
Schon vorher habe das Sozialamt eng mit den Bildungsträgern
der Region zusammen gearbeitet, betont dessen Leiter Franz Betz.
Während der Laufzeit des Projekts sei diese Kooperation noch
erheblich vertieft worden. Mit Erfolg: Wie insgesamt bei den
Mozart-Kommunen verbesserte sich die Vermittlungsquote. Und in
Wiesbaden wurde die Zusammenarbeit mit den zurzeit 26
Bildungsträgern weiter ausgebaut. Daher war die Sorge um so
größer, dass künftig nur noch nach zentralen
Kriterien aus Nürnberg vergeben worden wäre, beschreibt
Hessenauer ein wichtiges Motiv für das Optieren. So hätte
weniger flexibel auf Anforderungen des lokalen Arbeitsmarktes
reagiert werden können.
Das Rathaus entscheidet, Berlin zahlt
Nun wird also im Rathaus entschieden, welche Einrichtung Geld
aus Nürnberg bekommt. Laut Magistratsbeschluss sind "die
derzeitigen Qualifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen
bei den jeweiligen Trägern über den 31. Dezember 2004
hinaus auf Bundeskosten weiter zu führen". Das heißt: Wir
machen unser Programm weiter, zahlen muss Berlin. Sozialamtsleiter
Betz erhofft sich dadurch eine Entlastung von bis zu zehn Millionen
Euro. Und während die neue ALG-II-Software der Bundesanstalt
erst Mitte Oktober in ihre letzte Testphase ging, wurde in
Wiesbaden schon Ende Juli begonnen, das Personal an der
überarbeiteten Sozialhilfe-Software Prosoz-S zu schulen. Dann
begann sofort das Übertragen der Daten, denn für den
Sozialdezernenten steht fest: "Die pünktliche Auszahlung im
Januar muss oberste Priorität haben." Verzögerungen
müssten unbedingt vermieden werden, so Hessenauer, denn
"mindestens zwei Drittel der Leute haben keine Reserven".
Die Chancen für den pünktlichen Start stehen gut: Von
den rund 15.000 Menschen, die in Wiesbaden unter Hartz IV fallen,
bekommen schon jetzt rund zwei Drittel Hilfe zum Lebensunterhalt
nach dem Bundessozialhilfe-Gesetz, rund 1.500 zusätzlich zur
Arbeitslosenhilfe. Die umstrittenen Bögen der Bundesagentur
werden sie nie zu sehen bekommen, so Hessenauer, da man sie damit
"nicht erschrecken" wolle. Und die fehlenden Daten "erfragen wir im
direkten Gespräch".
Doch einen Teil der Daten kann nur die Arbeitsagentur liefern.
Und da kann sich niemand mehr sicher sein, ob die Kooperation
weiter so reibungslos verläuft, wie die wissenschaftliche
Begleitung von Mozart beschreibt. Denn während die
örtliche Arbeitsagentur beim Vorzeigemodell noch mit im Boot
war, schreibt Hartz IV einen Wettbewerb zwischen den optierenden
Kommunen und den Arbeitsgemeinschaften vor. Als "Unsinn" bezeichnet
Wiesbadens Sozialdezernent Wolfgang Hessenauer diese gesetzliche
Vorgabe: "Wir müssen doch gerade jetzt zusammen arbeiten."
Der Autor ist Chefredakteur des kommunalpolitischen Fachmagazins
"mandat".
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