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Josef-Thomas Göller
In den USA zählt allein das persönliche
Engagement
In der Gemeinde wird der "American Spirit" am
deutlichsten sichtbar
"Ich hätte Sie gerne als Elternvertreter
auf dem School-Board", sagte die afro-amerikanische Direktorin,
nachdem ich meinen zweijährigen Sohn bei der städtischen
Play School angemeldet hatte. "Aber ich bin doch gerade erst
zugezogen und außerdem Ausländer", entgegnete ich. "Das
spielt keine Rolle", sagte die Dame lächelnd. "Was zählt,
ist, dass Sie am Programm teilnehmen und Engagement für die
Sache zeigen."
Demokratie und Integration von
Ausländern beginnt in den USA auf unterster kommunaler Ebene:
im Kindergarten und in der Schule, mit zum Teil weitreichenden
Konsequenzen. So bestimmten zum Beispiel 2002 und 2003 drei
Deutsche unter den zwölf Elternvertretern für die Play
Schools in der Hauptstadt Washington mit, wofür die
städtischen Mittel für die Betreuung der Zwei- bis
Vierjährigen ausgegeben werden. Auch bei einer Anhörung
durch den Stadtrat, bei der es um die Erhöhung der
Schulbeiträge ging, stellte es kein Problem dar, dass
Ausländer als Vertreter der Schulen über den Bedarf
aussagten. Denn jeder, der in den USA am Schulunterricht teilnimmt,
ob öffentlich oder privat, geht weitere Verpflichtungen ein,
die von der Kommunalverwaltung entsprechend gewürdigt
werden.
Dies ist der große Unterschied etwa zu
Deutschland. Allen Eltern wird Engagement, sei es als
Dienstleistung oder als finanzielle Spende, abverlangt. Im Falle
der vorkindergärtlichen Spielschulen für die unter
Vierjährigen sind die Eltern zum Beispiel verpflichtet, einen
Vormittag pro Woche als Mitbetreuer zu verbringen. Auf diese Weise
entstehen oft die ersten kommunalpolitischen Bindungen zu den
Stadtteilvertretern beziehungsweise Stadträten. Und oftmals
rekrutieren sich aus diesen Elternvertretern dann im Laufe der Zeit
Kandidaten für die Kommunalpolitik im größeren
Stil.
Selbstverwaltung der Schulen
In der Schulverwaltung kann man bereits alle
Erfahrungen sammeln, die für die Kommunalpolitik notwendig
sind. Anders als in Deutschland verwalten sich nämlich die
meisten öffentlichen amerikanischen Schulen selbst und stellen
damit eine Sonderverwaltung innerhalb der Gemeindeverwaltung dar.
Gewisse Grundkosten, wie Lehrergehälter und
Gebäudeunterhalt werden meist - aber nicht immer - von den
Gemeinden bereitgestellt; alles andere bestimmt ein aus Eltern und
Lehren gewählter Schulrat. Aufgrund dieser hohen
Eigenständigkeit legt der Schulrat auch die Einzugsgrenzen der
Schule fest, die keineswegs mit den Gemeindegrenzen
übereinstimmen müssen. Dies führt in vielen
Fällen zu gravierenden Ungleichheiten. Reiche
Einkommenschichten können auf diese Weise ärmere und
sozial benachteiligte Gemeindeteile ausgrenzen, aber auch
öffentliche Schulen durch hohe Eigenbeteiligung so
fördern, dass sie wie Eliteschulen funktionieren.
Eigenverantwortung und finanzielle
Selbstbeteiligung stehen in amerikanischen Kommunen generell oben
an. Da alle amerikanischen Städte wie ein Schachbrett
aufgebaut sind und dadurch "Blocks" entstehen, haben sich in den
vergangenen Jahrzehnten so genannte Block-Initiativen
gegründet. Kaum eine Gemeinde, in der es nicht eine
Nachbarschaftsvereinigung gibt, meist "Friends" des jeweiligen
Blocks genannt, die sich um "Neighbourhood Watch" kümmert,
also innerhalb mehrerer Blöcke in Eigeninitiative darauf
achtet, dass die öffentlichen Grünflächen gepflegt
werden, Spielplätze angelegt oder sauber gehalten werden und
notleidenden Nachbarn geholfen wird.
Wenn Flugplätze in der Nähe sind,
verhandeln diese Privatinitiativen sogar mit den
Flugplatzbetreibern um Fluglärmreduzierung und Verlegung von
Einflugschneisen. Die "Friends" pflegen in der Regel auch engen
Kontakt zur örtlichen Feuerwehrstation und dem
zuständigen Polizeirevier und spendieren der Polizei schon mal
für viele tausend Dollar Blitzgeräte, um Rasern Herr zu
werden. In vielen Fällen haben diese Privatinitiativen dazu
geführt, dass weniger Einbrüche oder Straftaten
vorkommen, dass Vandalismus und Graffiti-Schmierereien in
amerikanischen Städten eher Ausnahmeerscheinungen geworden
sind.
In all diesen Fällen zeigt sich, dass
Amerikaner im Allgemeinen bei kommunalen Problemen nicht zuerst
nach der städtischen Autorität rufen, sondern selbst zum
Handeln bereit sind. Diese von Europa so unterschiedliche Haltung
lässt sich nicht alleine durch die historische
Grenzermentalität des 19. Jahrhunderts begründen. Es ist
vielmehr die hohe Integrationsbereitschaft der amerikanischen
Gesellschaft, die zu solchem Privatengagement führt sowie der
Wunsch, urbane Verdichtungsräume menschlich und lebenswert zu
erhalten.
Die Statistik zeigt: Rund 80 Prozent der
Amerikaner wohnt in Städten. Überraschend für
Europäer mag dabei sein, dass die meisten Gemeinden in den USA
nicht größer sind als 2.500 Einwohner. Kleine,
überschaubare Städtchen (Towns) sind das Ideal der
Amerikaner. Dazu zählen außerdem noch jene Städte
(City), die zwischen 10.000 und 25.000 Einwohnern haben: Dort lebt
die Mehrzahl der 300 Millionen US-Bürger. Obwohl die
Millionen-Städte dank der Hollywood-Filme das Klischee
amerikanischen Wohnens verkörpern, sind sie auch in den USA
nach wie vor die Ausnahme. Die amerikanische Gesellschaft ist nicht
wirklich großstädtisch geprägt. Selbst
Megastädte wie Los Angeles und New York City sind in hunderte
von Kleingemeinden fragmentiert, die sich zumeist aus klar
umrissenen Vorstädten zusammensetzen. Diese verdichten sich um
einen großen Stadtkern, wodurch den amerikanischen Metropolen
eine scheinbar unüberschaubare Größe verliehen wird.
In Wirklichkeit leben aber auch die Menschen in den
Schlafstädten rund um LA und New York
provinziell-kleinstädtisch.
Über die kommunale Struktur der USA -
historisch extrem unterschiedlich entwickelt und ausgeprägt in
den 50 einzelnen Bundesstaaten - sind nur wenige generelle Aussagen
möglich: Grundsätzlich sind die Kommunen in ihren
politischen Handlungen unabhängig vom jeweiligen Bundesstaat
beziehungsweise der amerikanischen Bundesregierung. In den meisten
Fällen gehen sie aber individuelle Kooperationen sowohl mit
Länder- als auch Bundesebenen ein, vor allem was
Müllabfuhr, Gesundheitswesen, Wasser- und Stromversorgung
angeht.
Lässt man einmal die
hochindividualisierte Kommunalstruktur außer acht, lassen sich
in den USA im Allgemeinen drei Grundtypen ausmachen, wie Gemeinden
verwaltet werden: Mittels des wie in Europa klassisch
gewählten Bürgermeisters und seines Stadt-rates, mittels
einer Kommission oder durch einen Rats-Manager (Council-Manager).
Dabei ist der herkömmliche Bürgermeister, bis vor vier
Jahrzehnten in allen amerikanischen Gemeinden die Regel, im
Aussterben begriffen. Die Gemeinden wollen keine Machthäufung
in der Hand einer Person mehr dulden, denn zu oft haben
Bürgermeister, am auffälligsten in Chicago, mit der
Unterwelt gekungelt oder wie Aristokraten regiert.
Die klassischen Bürgermeister werden
zunehmend abgelöst durch eine so genannte Kommission, also
eine Art Stadtrat, in dem jedes Ratsmitglied gleich wichtig ist.
Die Kommission verbindet sowohl die gesetzgebenden als auch die
exekutiven Funktionen. Für bestimmte Zuständigkeiten -
Schule, Polizei, Gesund- heitswesen - werden die Commissioners
jeweils direkt gewählt. In ihren Zuständigkeitsbereichen
handeln sie autonom und sind den Bürgern somit auch
unmittelbar verantwortlich. In manchen Fällen wird einer der
Commissioner zum Vorsitzenden oder zum "Bürgermeister"
ernannt, was aber nur eine repräsentative Funktion beinhaltet.
Alle Commissioners sind grundsätzlich
gleichberechtigt.
In immer mehr Fällen entscheiden sich
größere Gemeinden jedoch dazu, einen professionellen
Verwaltungschef (Council-Manager) einzustellen, der von einem
gewählten Stadtrat beauftragt und überwacht wird. Der
Bürgermeister wird in diesen Fällen dann nur zu
Repräsentationszwecken hinzugewählt; das Amt ist
buchstäblich ehrenamtlich, sprich ohne jede
Aufwandsentschädigung und verlangt ein entsprechendes
Eigenvermögen. Für den Council-Manager gibt es keine
Amtszeitbegrenzung. Er dient der Stadt solange, wie die Bürger
respektive der Stadtrat mit seiner Tätigkeit zufrieden
sind.
Eine historische Besonderheit stellt das
Township dar, ein Relikt aus der Gründung der USA in den
Neu-Englandstaaten und in einigen Staaten des Mittleren Westens.
Townships kombinieren Gemeinde- und Kreisverwaltungsfunktionen und
sind deshalb hauptsächlich in ländlichen Gebieten
anzutreffen. Insgesamt gibt es rund 2.500 Township-Gemeinden, die
in der Regel weniger als 1.000 Einwohner aufweisen.
Eine weitere Besonderheit der
Kommunalverwaltung in den USA ist das Beziehungsgeflecht zwischen
der Bundesregierung und den Kommunen: direkter Föderalismus
genannt. Dieser Bereich spielt für die großen und
problembelasteten Ballungszentren eine wichtige Rolle. Seitens der
Bundesregierung sind damit das Ministerium für
Stadtentwicklung sowie das Verkehrsministerium beauftragt. Von
ihnen werden Mittel für den Wohnungsbau, für
Stadtsanierung und für Straßenbauprojekte zur
Verfügung gestellt. Daneben wird Planungshilfe geleistet.
Manchmal kommt es dort jedoch zu beträchtlichen Konflikten,
dann nämlich, wenn durch neue Verkehrsanbindungen der
Stadtflucht in die Vororte auf Kosten der Kernstädte Vorschub
geleistet wird. Als Schnittstellen zwischen Bund und Kommunen
wurden neue Institutionen geschaffen, die councils of government.
Sie dienen gezielten Projekten der Stadtentwicklung mit einem
festen Auftrag und werden nach Erfüllung
aufgelöst.
Josef-Thomas Göller war mehrere Jahre
USA-Korrespondent für "Das Parlament".
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