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Claudia Heine
Die Stadt der Städte
Früher waren sie eigenständige
Großkommunen am Rande Berlins - jetzt sind es
Stadtteile
Als Berlin 2001 seine Stadtstruktur neu ordnete, hatte es den
Anschein, als könne manchen Bezirken nichts Schlimmeres
passieren, als mit einem anderen zusammengelegt zu werden. Es war
die größte Umgestaltung der Berliner Verwaltung seit
1920: Sie schuf einheitlich große Bezirke mit jeweils etwa
300.000 Bewohnern, und aus 23 Bezirken wurden mit einem Schlag
zwölf, mit plump zusammengebastelten Namen wie
Charlottenburg-Wilmersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg oder
Treptow-Köpenick. Die meisten Bezirke mussten nicht nur ihren
Namen zusammenschmeißen, aber schon das reichte, um emotionale
Befindlichkeiten größerer Dimension zu wecken: Die
Bevölkerung wurde befragt, Unterschriften gesammelt, es wurde
sogar vor Gericht gezogen, wie im Fall des neuen Großbezirks
Pankow, der aus Prenzlauer Berg, Pankow und Weißensee
besteht.
Lediglich Neukölln, Reinickendorf und Spandau blieben
aufgrund ihrer Größe Singlebezirke. Für Spandau, das
älter ist als die ursprüngliche Siedlung Berlin,
wäre ein Fusion sowieso fast unvorstellbar gewesen: "Das
hätte bestimmt Proteste gegeben. Hier in Spandau hätte
man sich lieber mit Nauen oder anderen Regionen aus Brandenburg
vereint, als mit Charlottenburg", sagt Andrea Theissen, die
Leiterin des dortigen Stadtgeschichtlichen Museums. Warum? "Weil es
Berlin ist", antwortet Theissen mehr im Scherz und fügt hinzu:
"Das hat auch was mit dem Selbstbild als 'Perle des Havellandes' zu
tun."
Die Gründe für solche Befindlichkeiten liegen in der
Geschichte: Viele Berliner Bezirke waren einmal mehr als das,
nämliche eigene Städte, die immer enger mit Berlin
zusammenwuchsen, je mehr Menschen Ende des 19. Jahrhunderts in die
wachsenden Industrien und Verwaltungen der preußischen
Residenz strömten. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges
explodierten die Bevölkerungszahlen regelrecht: Allein in
Berlin zwängten sich in unerträglicher Enge nun
ungefähr zwei Millionen Menschen. Charlottenburg, inzwischen
eine Großstadt mit 300.000 Einwohnern, war zur
elftgrößten Stadt des Deutschen Reiches geworden. In
Spandau, eine der stärksten preußischen
Festungsstädte, lebten 100.000 Menschen. Rein
äußerlich war eine Abgrenzung dieser "Vorstädte",
die Berlin wie eine Kette umschlossen, kaum noch zu erkennen.
All diese Städte, auch die kleineren wie Köpenick oder
Rixdorf (seit 1912 Neukölln), hatten ein großes
gemeinsames Problem: Sie mussten auf die massenhafte Zuwanderung
reagieren und konnten es nicht, weil getrennte Verwaltungen den Weg
versperrten, gemeinsame Lösungen für den Ballungsraum
Berlin zu finden. Wohnungen oder ein Ausbau der Verkehrswege wurden
oft aneinander und an den Bedürfnissen vorbei geplant. Dennoch
war der Widerstand gegen eine Verwaltungsreform im Sinne eines
"Groß-Berlin" enorm. Während sich die Berliner
Kommunalpolitiker für einen solchen Zusammenschluss stark
machten, hielten besonders die vornehmen westlichen und
südwestlichen Vorortgemeinden nichts davon. Sie weigerten sich
entschieden, mit Berlin und den Arbeitervorstädten des Nordens
und Ostens in einen Topf geworfen zu werden. Von dort wanderten
nämlich die bürgerlichen Schichten zunehmend in die
Vororte ab.
Die finanzielle Situation Berlins verschlechterte sich
zusehends, während die Fluktuation Gemeinden wie Zehlendorf,
Wilmersdorf oder Charlottenburg kräftige Steuerzuwächse
bescherte. Prächtige Gründerzeitfassaden und
Rathäuser zeugen noch heute vom Stolz jener Tage. Angesichts
der immer unhaltbarer werdenden kommunalpolitischen Zustände
wuchs jedoch der Druck so sehr, dass 1911 immerhin ein
"Zweckverband Groß-Berlin" gegründet wurde, der im Namen
schon ausdrückt, was er nicht war: eine "Liebesverbindung".
Davon zeugt auch ein aus Spandau überlieferter Spruch jener
Zeit: "Mög schützen uns des Kaisers Hand vor
Groß-Berlin und Zweckverband." In dessen Rahmen konnten sich
Städte und Gemeinden zur Lösung einzelner kommunaler
Aufgaben zusammenschließen; allerdings blieben die meisten
Projekte bereits in der Planungsphase stecken und der Erfolg eher
mäßig.
1920 war es dann schließlich doch soweit: Jahrelange
Bemühungen, besonders der Berliner Sozialdemokraten, machten
nach dem Ende der Monarchie den Weg frei für das "Gesetz
über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin". Es
beinhaltete einen absolut einmaligen Vorgang, an dessen Ende die
neue Großgemeinde eine Stadt der Superlative wurde: den
Zusammenschluss von acht Städten - Berlin, Charlottenburg,
Köpenick, Lichtenberg, Neukölln, Schöneberg, Spandau
und Wilmersdorf -, 59 Landgemeinden unterschiedlichster
Größe und 27 Gutsbezirken zu 20 neuen
Verwaltungsbezirken. Berlin mit nun vier Millionen Einwohnern hatte
sich von 66 auf 883 Quadratkilometer ausgedehnt. Mit dem Gesetz
wurde zudem der rechtliche Rahmen für die Selbstverwaltung der
Bezirke geschaffen: Bezirksämter, Bezirksversammlungen und
Bezirksdeputationen. Diese Organe konnten jedoch nicht darüber
hinwegtäuschen, dass die politische Bedeutung nicht mehr die
gleiche war. Das Eingriffs- und Kontrollrecht des Magistrats war
unübersehbar, denn die Bezirksverwaltungen wurden lediglich
als "ausführende Organe des Magistrats" definiert.
Ohne Reibung vollzog sich dieser Eingemeindungsprozess schon
damals nicht. So führten Zwistigkeiten um
Kompetenzverteilungen dazu, dass sich bald danach einige Bezirke
wieder von Berlin lösen wollten, darunter Spandau und
Köpenick, heute Treptow-Köpenick. Dank ihrer damaligen
Erfolglosigkeit gehören sie heute immer noch dazu.
Mittlerweile scheinen sie sogar einige Gemeinsamkeiten entwickelt
zu haben. Im Nordwesten beziehungsweise Südosten der Stadt
gelegen kann es schon 90 Minuten dauern, um von einem in den
anderen Bezirk zu gelangen. Ohne konkreten Anlass tut das kaum
jemand. "Es ist die Randlage, die auch eine bestimmte Kultur
hervorbringt", beschreibt Andrea Theissen die Gemeinsamkeiten von
Spandau und Treptow-Köpenick: "Im 19. Jahrhundert entstanden
hier wie dort zahlreiche Ausflugslokale. Man fuhr ?raus', und in
andere Bezirke fuhr man ?rein'." Das ist heute immer noch so und
markiert eine imaginäre Grenze, ab der man drinnen und
draußen ist. Natur und Wasser charakterisieren beide Bezirke
und verbinden die Menschen mit diesen in besonderer Weise.
Nicht nur Andrea Theissen, auch ihre Kollegin aus Treptow hebt
diesen Punkt hervor. Aber: "Sie sind alle Berliner, wohnen in einer
Metropole und sind sich dessen auch bewusst. Sie sind auch offen
für vielfältige Kulturen, die es hier gibt", sagt Barbara
Zibler, Leiterin des Heimatmuseums Treptow. Und noch eine
entscheidende (wenn auch trennende) Gemeinsamkeit gibt es; eine die
die Berliner nicht nur in Spandauer und Treptower und
Köpenicker teilt: "Der Berliner ist ein Kiezmensch", sagt
Theissen. Und Barbara Zibler fügt hinzu: "Baumschulenweger
sind Baumschulenweger und nicht Treptower und erst recht nicht
Treptow-Köpenicker." Das muss kein Widerspruch zum
Metropolenbewusstsein sein. Vielmehr bildet das nahe Wohnumfeld den
überschaubaren Rahmen, der Orientierung verspricht. Man lehnt
die Metropole nicht ab, nur "weil man sich über den Kiez auch
der Anonymität der Millionenstadt entzieht", skizziert
Theissen das Wechselspiel.
Beim Gang durch die engen Gassen der Spandauer oder
Köpenicker Altstadt merkt man von einer Millionenstadt
tatsächlich nicht viel. Ob ehemalige Fischerhütten im
Südosten oder die Zitadelle in Spandau - "über solche
Gebäude drückt sich Geschichte aus und über sie
gelingt es, sich mit dem Ort zu identifizieren", sagt Andrea
Theissen. Und so wundert es wenig, wenn beide Museumschefinnen auf
die Frage, was das Besondere an beiden Bezirken ist, antworten:
"Die Geschichte".
Konflikte über die Zusammenlegung mit Köpenick und den
neuen Namen hat es in Treptow nicht gegeben, so Zibler. Letztlich
sei das - im Gegensatz zu anderen Bezirken - mehr als
Verwaltungsakt empfunden worden. Die Harmonie hier im Süden
führt jedoch keineswegs dazu, alles in einen Topf zu werfen,
und so betont die Museumsleiterin auch Unterschiede: "Köpenick
war ja eine richtige kleine Stadt, wohingegen sich Treptow mehr aus
kleinen Dorfgemeinden zusammensetze. Beide haben also eine recht
unterschiedliche Geschichte. Es wäre schwierig, hier
inhaltlich eine gemeinsame Klammer zu finden." Also gibt es, trotz
Fusion, immer noch zwei Heimatmuseen.
Dennoch müssen sie über den engen historischen Bezug
hinausschauen und eine Einordnung in den großen Rahmen Berlin
versuchen. Regelmäßig trifft sich ein Arbeitskreis der
Museen, um über gemeinsame Projekte zu beraten. Andrea
Theissen begründet warum: "Wir haben gemerkt, dass nur wenn
wir uns abstimmen auch so etwas wie ein Berliner Gesamtkomplex
herauskommt."
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin.
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