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Tilmann P. Gangloff
Ist nur das passiert, was auch in der Zeitung
steht?
Tageszeitungen stellen oft die einzige
Möglichkeit dar, um eine lokale Öffentlichkeit zu
erreichen
Eigentlich sitzen Kommunikationswissenschaftler und Journalisten
ja in einem Boot. Reden die einen über die anderen, kann man
sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren: Die sind sich
spinnefeind. Das gilt offenbar vor allem für die Beziehung
zwischen Wissenschaftlern und Lokaljournalisten. Die Forscher
kratzen schon seit Jahrzehnten an einem Gut, das Zeitungen generell
beschwören wie den Heiligen Gral: die Glaubwürdigkeit.
Der freundlichste Vorwurf in diesem Zusammenhang ist noch
"Symbiose". Den Vorwurf der "Versippung" muss man in den
Lokalredaktionen glatt als Ohrfeige empfinden.
Kein Wunder, dass mancher Lokalchef die Erkenntnisse der
Forscher als "zeitungsfeindlich" betrachtet. Dabei will die
Wissenschaft vor allem eins: die Meinungsvielfalt erhalten. Die
aber, so eine landläufige These, leide proportional zur
Pressekonzentration, was in der Tat nur logisch erscheint: Je
weniger Zeitungen es gibt, desto übersichtlicher wird auch die
Anzahl der vertretenen Positionen. Horst Röper,
Zeitungsforscher aus Dortmund, formuliert das so: "Eine Vielzahl
miteinander konkurrierender Zeitungen ist noch keine Garantie
für inhaltliche Vielfalt, aber die Voraussetzung."
Gerade auf kommunaler Ebene ist diese Maxime von elementarer
Bedeutung, denn in der Regel stellen die Tageszeitungen die
wichtigste Möglichkeit dar, um eine lokale Öffentlichkeit
herzustellen. Natürlich gibt es auch andere Medien. Amtliche
Mitteilungsblätter sind so manchem Zeitungsverlag ein Dorn im
Auge, ganz zu schweigen von jenen Anzeigenblättern, die neben
Reklame in Ausnahmefällen gar bis zu 30 Seiten mit
redaktionellen Texten bieten. Doch viele Anzeigenzeitungen
gehören den örtlichen Verlagshäusern, die
Lokalradios - an denen die Verlage nicht selten ebenfalls beteiligt
sind - bieten häufig nur Dudelfunk, und das
Ballungsraumfernsehen steckt immer noch in den Kinderschuhen. Die
Alternative der einstmals streitlustigen Stadtzeitschriften ist
längst kommerzialisiert worden, so dass mittlerweile allein
die Offenen Kanäle noch eine ernstzunehmende
Gegenöffentlichkeit darstellen.
Gerade im ländlichen Raum sind Kommunalpolitiker und
sämtliche Interessengemeinschaften mit öffentlichem
Anliegen also auf Gedeih und Verderb den lokalen Zeitungen
ausgeliefert. Der Plural ist allerdings der reine Euphemismus: Laut
Röper gibt es in über 60 Prozent der Kreise und
kreisfreien Städte nur noch eine Zeitung. Die Schlussfolgerung
ist klar: Wer will, dass die Öffentlichkeit etwas
erfährt, braucht die örtliche Tageszeitung. Der
Umkehrschluss: Was die Lokalzeitung verschweigt, ist so gut wie
nicht passiert.
Eine enorme Verantwortung, der sich die Lokalchefs offenbar
bewusst sind. Tobias Engelsing, Leiter der Konstanzer
Lokalredaktion des "Südkurier", weist die wissenschaftlich
fundierten Vorwürfe besonders energisch zurück. Er
formuliert eine moderne Position, die mittlerweile in vielen
Verlagshäusern anzutreffen ist. Die Zeiten der
parteipolitischen Ausrichtung von Lokalzeitungen gehörten doch
längst der Vergangenheit an: "Liberale Zeitungshäuser wie
der 'Südkurier' betrachten ihre Aufgabe gerade in einem
Monopolmarkt als Aufforderung, ein Forum für viele
Gruppierungen und Meinungen zu bieten." Seine Erklärung
leuchtet ein: "Nur weil wir in Konstanz die einzige Tageszeitung
anbieten, heißt das noch lange nicht, dass uns auch
sämtliche Haushalte abonniert haben." Tatsächlich,
ergänzt sein Chefredakteur Werner Schwarzwälder, sei das
Geschäft im Konkurrenzkampf sogar leichter, "weil die
Haushaltsabdeckung insgesamt höher ist".
Auch Bernd Mathieu, Chefredakteur der "Aachener Zeitung" wie
auch des vermeintlichen Konkurrenzblattes "Aachener Nachrichten",
votiert vehement für den Forumsgedanken. Er geht sogar noch
einen Schritt weiter: "Eine gut recherchierte offene Lokalzeitung
ist mir lieber als zwei schlecht gemachte, schlecht besetzte,
schlechte geschriebene Zeitungen, die nur eine Schein-Konkurrenz
darstellen." Für Mathieu sind Lokalzeitungen zudem "nach wie
vor wohl das glaubwürdigste, ausführlichste und damit
kompetenteste Medium", um kommunalpolitische Öffentlichkeit
herzustellen.
Gerade die Glaubwürdigkeit hat in den letzten Jahrzehnten
jedoch erheblich gelitten. Umfragen des Allensbacher Instituts
für Demoskopie belegen, dass das Vertrauen immer mehr
bröckelt: nicht nur in die Zeitung, sondern in
institutionalisierte Einrichtungen generell. Gerichte sind von
diesem Verlust ebenso betroffen wie Parteien, Gewerkschaften und
die Kirchen. Im Gegensatz zum Fernsehen rächen sich gerade bei
Lokalzeitungen zudem auch Fehler im Detail: Auf regionaler Ebene
ist die Chance viel größer, dass Leser Zeuge eines
Ereignisses waren, das tags drauf in der Zeitung ihrer Meinung nach
ganz anders dargestellt wird, als sie es selbst erlebt haben.
Horst Röper hegt zudem erhebliche Zweifel an der
Forumsbehauptung, die seiner Meinung wissenschaftlich längst
revidiert sei. Am Beispiel des Essener "WAZ"-Konzerns lasse sich
zudem belegen, dass regionale Zeitungsverlage immer dort in ihre
Lokalredaktionen investierten, wo Wettbewerb herrsche. "Aber schon
im Nachbargebiet, wo man ein Monopol mit möglicherweise
ungleich höherer Auflage besitzt, müssen die Redaktionen
mit weniger Mitarbeitern und weniger Seiten auskommen."
Kein Wunder, dass außerhalb der Verlagshäuser landauf,
landab vor der Novelle des Gesetzes zur Pressefusionskontrolle
gewarnt wird. Siegfried Weischenberg, Direktor des Instituts
für Journalistik und Kommunikationswissenschaft der
Universität Hamburg, spricht gar von einer "Bedrohung der
Demokratie". Denn: "Das neue Gesetz ist ein 'WAZ'-Gesetz." Im
Gegensatz zu Röper stellt er den von den Redakteuren
beschworenen Forumsgedanken nicht in Frage, fürchtet aber,
dass sich die Journalisten gerade in Gebieten mit einem
Zeitungsmonopol "auf den kleinsten gemeinsamen Nenner
zurückziehen". Viele Zeitungen hätten mittlerweile den
Charakter eines Generalanzeigers: "Das ist nicht das, was wir
brauchen."
Im Sinne Röpers bestreitet allerdings auch Weischenberg,
dass Zeitungsvielfalt Garantie für Meinungsvielfalt sei. Er
belegt dies am Beispiel der Hamburger Zeitungslandschaft, in der es
vier Tageszeitungen mit lokaler Berichterstattung gibt: "Hamburger
Abendblatt", "Die Welt", "Bild" sowie "Hamburger Morgenpost" (zu
erwähnen wäre zudem noch die linksalternative
"tageszeitung"). "Es würde zu weit gehen zu behaupten, dass
Dinge systematisch verschwiegen werden. Aber eine bestimmte
Grundmelodie in der kommunalpolitischen Berichterstattung wird vom
'Abendblatt' vorgegeben und von den anderen nicht konterkariert."
Kein Wunder: Drei der fünf Titel stammen aus dem Axel Springer
Verlag. Allein in "Morgenpost" und "taz" gebe es auch mal Kritik an
der in Hamburg regierenden CDU.
In Monopolsituationen sei dieses Missverhältnis
naturgemäß stärker. Dort sieht Weischenberg "eine
Art Arrangement zwischen Tageszeitungen und herrschenden Parteien".
Otfried Jarren geht noch einen Schritt weiter, wenn er von
"Versippung" spricht. Der Ordinarius für
Publizistikwissenschaft an der Universität Zürich denkt
dabei vor allem an die "Wertheim-Studie", in der schon vor
über 30 Jahren die These formuliert wurde, dass lokale
Berichterstattungspraxis elitendominiert sei. Jarren bestätigt
zwar den Forums-Charakter der Zeitungen, "weil es sich die Verlage
aus ökonomischen Gründen gar nicht mehr leisten
können, schwarze oder rote Positionen zu vertreten". Doch er
stellt auch fest: "Die Berichterstattung schließt alles aus,
was sich unterhalb der etablierten, organisierten
Öffentlichkeit befindet." Das treffe in erster Linie die
Subkultur, die keine Anzeigen schalte. Vor allem aber verliere der
Lokaljournalismus in Monopolgebieten seine Aufgabe als "Watchdog":
"Die Frühwarnfunktion der Medien wird größtenteils
ausgeblendet." Jarren nennt das die "strukturelle Beißhemmung"
und spricht von "korporatistischen Interessen", weil die
Berichterstattung weitgehend ökonomisch gesteuert sei.
Die Betroffenen sehen das selbstredend ganz anders. Werner
Schwarzwälder verweist auf die publizistische Konkurrenz, etwa
in Gestalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, den
Mitarbeitern von Presseagenturen oder freier Journalisten. "Selbst
wenn wir wollten: Wir könnten eine Nachricht gar nicht
willkürlich unterschlagen." Gerade für eine Zeitung wie
den "Südkurier", dessen Verbreitungsgebiet vom Bodensee
über den Schwarzwald bis zum Hochrhein reicht, habe die lokale
Berichterstattung zudem enorme Bedeutung: "Mit dem Mantel
verändern wir an der Auflage gar nichts."
Für Tobias Engelsing hat engagierter Journalismus ohnehin
nichts mit der Marktsituation zu tun: "Die Strukturen sind nicht
Schuld, wenn der Lokalchef ein Hasenfuß ist." Die weitaus
größere Crux liegt seiner Meinung nach in der Ausbildung
der nachwachsenden Journalistengenerationen, denen man neben Liebe
zum Handwerk auch Mut zu kritischem Denken vermitteln müsse.
Vor allem aber sollten sie sich darüber im Klaren sein, dass
man als Lokaljournalist nicht "Everybody's Darling" sein
könne: "Als Lokalchef muss man auch eine Krawallschachtel
sein."
Tilmann P. Gangloff ist freier Medienjournalist und lebt in
Allensbach am Bodensee.
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