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Hiltrud Naßmacher
Europa ist zugleich Chance und Belastung
Die Zukunft der Kommunen in einer immer
einflussreicher werdenden EU
Die EU-Osterweiterung und
Verfassungsdiskussionen haben vielen kommunalen Akteuren wieder ins
Bewusstsein gerufen, dass Europa Belastung und Chance zugleich sein
kann. Dennoch überwiegen aus städtischer Sicht
zunächst die Befürchtungen, die aus der Erweiterung
resultieren. Diese beziehen sich vor allem auf den Rückgang
von Fördermitteln, in Niedriglohn- und
Niedrigsteuerländer abwandernde Betriebe sowie - mit einiger
Verzögerung - die Konkurrenz von billigen Arbeitskräften
vor Ort.
Von der Osterweiterung sind allerdings nicht
alle Kommunen im gleichen Maße betroffen, denn die
räumliche Entfernung zu den Erweiterungsländern
dürfte selbst bei wachsender Mobilität noch immer eine
Rolle spielen. Mögliche finanzielle Ausfälle treffen aber
auch weiter entfernt liegende Kommunen, die im Vergleich zu den
Neuzugängen wirtschaftlich besser dastehen. Sie werden sich in
Zukunft auf reduzierte Fördermittel einrichten müssen,
selbst wenn dies nur einen Teil der möglichen
Finanzzuweisungen betrifft. So bleibt festzuhalten, dass angesichts
hoher Haushaltsdefizite und zum Teil schmerzhafter
Sanierungsvorgaben der kommunalen Aufsicht für die Haushalte
hier Kürzungen möglich sind und Phantasie für die
Ausschöpfung neuer Finanzquellen nötig ist.
Im Zuge der Integration Europas bis hin zur
heutigen EU sind viele Entscheidungen auf europäischer Ebene
gefallen, die als empfindliche Einschränkungen der
Handlungsmöglichkeiten der Kommunen empfunden wurden. So
müssen Verordnungen der EU unmittelbar umgesetzt werden, die
Richtlinien (künftig Rahmengesetzgebung, laut EU
Verfassungsentwurf) nach entsprechender Gesetzgebung des Bundes
oder Landes. Erwähnt seien vor allen Dingen die Deregulierung
des Strommarktes und des öffentlichen Personennahverkehrs, das
Erfordernis europaweiter Ausschreibungen bei der Auftragsvergabe ab
einer bestimmten Höhe und Auflagen im Umweltschutz.
Die Versorgung mit Strom, Wasser und
öffentlichem Nahverkehr war bis zu den Eingriffen der EU
Aufgabe der Stadtwerke, geschützt durch Konzessions- und
Demarkationsverträge. Mit einer Mischkalkulation konnten die
Kommunalpolitiker den notorisch defizitären öffentlichen
Personennahverkehr im Rahmen des Versorgungsverbundes zugunsten des
Umweltschutzes fördern, indem sie durch Gewinne beim Wasser-
und Energieverkauf die Fahrpreise niedrig hielten. Diese
Quersubventionierung ist nun nicht mehr möglich. Die
Versorgungsunternehmen als Monopolanbieter müssen sich dem
europaweiten Wettbewerb stellen, um dem Verbraucher den Zugang zur
günstigsten Versorgung zu ermöglichen. Die Folge sind
schon jetzt Zusammenschlüsse ehemaliger selbstständiger
städtischer Anbieter.
Bei europaweiten Ausschreibungen von
Auftragsvergaben wurde vor allem der aufgezwungene Mehraufwand
(unter anderem Ausschreibung in englischer Sprache, mehr Bewerber
und damit die Verlängerung der Auswahlverfahren) gesehen.
Inzwischen wissen Kommunalverwaltungen mit diesem Erfordernis
umzugehen und bleiben bei Vergaben möglichst unter den
festgesetzten Schwellenwerten, so dass sich das Problem nur
für Großprojekte ergibt. Ebenso verursachten Richtlinien
zum Umweltschutz mehr Verwaltungsaufwand. Sie führten zur
Einführung von Abfallbeseitigungsplänen und zur
Umweltverträglichkeitsprüfung für
Investitionsvorhaben. Auch Normen für Emissionen bei der
Müllverbrennung wurden erlassen. Diese hätten allerdings
nach Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Thema
Umweltschutz ohnehin auf die Agenda der kommunalen Politik gesetzt
werden müssen oder wurden bereits eingehalten.
Im Lichte dieser veränderten
Rahmenbedingungen lässt sich kein Stillstand der Stadtpolitik
erkennen. Die Städte überbieten sich mit Investitionen im
Freizeitbereich und sie weisen neue Flächen für Wohnen
und Gewerbeansiedlung aus. Jede Stadt sieht als ihre besondere
Herausforderung die Gefahr, dass ihre Attraktivität für
die eigenen Bürger sowie für diejenigen des Umlandes
verloren geht und will mit Aktivitäten in diesen Bereichen den
möglichen Abstieg vermeiden. Das Gebot einer Gleichwertigkeit
der Lebensbedingungen wird dabei häufig überinterpretiert
und ordnet sich ganz den scheinbar gerade modischen
Bedürfnissen unter: Waren es in den 70er-Jahren die
Mehrzweckhallen und Schwimmbäder für die Sportvereine, so
sind heute Spaßbäder mit Wellnesseinrichtungen sowie
Mehrzweckarenen für den Zuschauersport und andere
Großevents das A und O. Fand in den 70er-Jahren das
Einkaufserlebnis in den Fußgängerzonen statt, so sind
derzeit gigantische, wetterunabhängige Malls angesagt. All
diese Maßnahmen sollen dazu dienen, die Zentralität in
der Konkurrenz zu anderen Städten zu erhalten und die
Anziehungskraft zu verbessern.
Möglich werden diese
Großinvestitionen meist durch Public-Private-Partnership,
wobei die Städte und Gemeinden neben den Ländern und der
EU nur mitfinanzieren. Sie bleiben aber - wie sich inzwischen bei
vielen ganz oder teilweise gescheiterten Großprojekten zeigt -
auf einem ziemlich unkalkulierbaren
Restrisiko sitzen. Die sich aus diesem
Wettkampf ergebenden Probleme, unter anderem Investitionsruinen,
sind größtenteils hausgemacht. Der Verweis auf
überörtliche Schuldige erweist sich als bloße
Externalisierung der Verantwortung.
Europaweit gültige Entscheidungen
können auch als Chancen gesehen werden, längst
überfällige Handlungsoptionen zu nutzen und
Handlungszwänge abzustreifen. Handlungsoptionen sind beim
öffentlichen Nahverkehr zu erkennen. So sind die
Verkehrsverbünde durch abgestimmte Fahrpläne und
einheitliche Preissysteme unterschiedlicher Anbieter für die
Benutzer von Vorteil. Handlungszwänge entfallen beispielsweise
durch das Verbot, finanzielle und geldgleiche Leistungen im Rahmen
der Wirtschaftsförderung an private Unternehmen zu
transferieren. Dadurch könnte der Konkurrenzdruck der
Städte untereinander, der Attraktivität für
Ansiedlungsinteressenten durch Subventionen bearbeitete, zumindest
gemildert werden. Allerdings bleibt die Frage, ob außer in
eklatanten Fällen eine Einhaltung dieser Regeln durch die EU
überprüft werden kann.
Stadtentwicklungspolitik wird heute immer
noch als Baupolitik gesehen. Wenn sich in der Stadt die
Baukräne drehen, gilt das als Sprung nach vorn.
Stadtqualität misst sich allerdings nicht nur an einem
modernen Stadtbild, sondern auch am friedlichen Zusammenleben von
Menschen unterschiedlicher sozialer Schichten und Herkunft. Die
Bedeutung der "sozialen Stadt" ist stärker ins Bewusstsein
gerückt, nachdem Ghettos von Bewohnern ausländischer
Herkunft und sozial schwächeren Bevölkerungskreisen
insbesondere in großen Städten zunahmen. Eine wesentliche
Hilfe zur Integration bedeutet es, dass nunmehr alle EU-Bürger
in dem Mitgliedstaat, in dem sie längerfristig ihren Wohnsitz
haben, auf der kommunalen Ebene wählen und gewählt werden
dürfen. Allerdings sind die örtlichen Organisationen am
Zuge, diese Chance mit Leben zu erfüllen. Dies gilt besonders
für die Parteien, die unterschiedliche Interessen bündeln
sollen. Sie sind gefordert, diese Bevölkerungskreise zu
ermuntern, ihre Probleme in den Willensbildungsprozess einzubringen
und sie für die Wahrnehmung ihrer Rechte zu
gewinnen.
Insgesamt sind die Kommunen durch die EU in
einen immer komplizierteren Handlungsrahmen eingebunden.
Städte und Gemeinden müssen darin als Unternehmer
tätig werden. Dabei sind verwaltungsstarke
Großstädte in einer besseren Ausgangsposition, weil sie
bei Projekten auch selbst als Einzellobbyisten in Brüssel
auftreten können. Den mittleren und kleinen Städte bleibt
nur, sich auf ihre Verbände zu verlassen, die auch im
beratenden Ausschuss der Regionen vertreten sind. Selbst mittlere
Städte leisten sich zuweilen bereits einen EU-Beauftragten,
der einerseits vielfältige Lobbyfunktionen bei den politischen
Akteuren auf der europäischen Ebene wahrnimmt, andererseits
die finanziellen Fördermöglichkeiten im Hinblick auf die
Finanzierung von ergänzenden Leistungen prüft.
Der Verfassungsentwurf benennt als zwischen
EU und Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeiten
beziehungsweise als Koordinierungs- und
Ergänzungsmaßnahmen unter anderem Verkehr und
transeuropäische Netze, Energie, Sozialpolitik, Wirtschaft,
Umwelt, Verbraucherschutz, Gesundheit, Bildung, Sport, Kultur und
Zivilschutz. Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die EU nur
tätig, soweit "die Ziele der in Betracht gezogenen
Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf
regionaler oder lokaler Ebene ausreichend erreicht werden
können" (Artikel 9). Eine stärkere Vertretung der
Kommunen ist auch im Verfassungsentwurf (Artikel 31) nicht
vorgesehen. Sie würde das Entscheidungs-system der EU noch
komplizierter und damit handungsunfähiger machen.
Die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung
ist auch nach Einbindung in den Politik- und Finanzverbund der EU
nicht in Gefahr. Nicht umsonst betont die seit den 90er-Jahren
forcierte Verwaltungsreform neben der Effizienz der
Aufgabenerledigung die Bürgernähe der Kommunen. Das
Übergewicht der Verwaltung wurde durch neue Beteiligungsformen
abgemildert. Die Frage ist allerdings, ob die gegebene
Kleinteiligkeit der Entscheidungen durch mehr Kooperation bei
Großprojekten abgelöst werden müsste. Ei-nerseits
ist Konkurrenz wichtig für die Aktionsbereitschaft der
Akteure. Andererseits hat die Konkurrenz der Städte vielfach
zu Überinvestitionen und damit zu deren mangelhafter
Auslastung geführt, was wiederum als Verschwendung
öffentlicher und privater Mittel für Konsumzwecke
abqualifiziert werden muss.
Beispiele finden sich nicht nur im
Freizeitbereich, sondern auch bei der Ausweisung und
Erschließung von Flächen für die Ansiedlung von
Gewerbe. Trotz zunehmender Leerstände bei Läden in den
Stadtzentren werden diese durch großräumige
Einkaufszentren ergänzt. Um in Zukunft Fehlinvestitionen zu
vermeiden wäre es angesagt, dass sich die Städte und
Gemeinden bei Investitionsvorhaben in der Region stärker
abstimmen. Die EU trägt zwar durch ihre Vergabeprinzipien
für finanzielle Zuschüsse zur Regionalisierung bei.
Allerdings sind die Kriterien doch sehr allgemein.
Seit Jahrzehnten wird auch durch Raumordnung
und Landesplanung versucht, die Probleme in den Griff zu bekommen.
Landesregierungen setzen sich inzwischen für eine aktive
Implementation der Rahmenplanungen ein, zum Beispiel mit Programmen
zur Stärkung der Stadtmitte und zum Stopp ausufernder
Entwicklung von Einkaufsgelegenheiten auf der grünen Wiese.
Selbstverpflichtungen im Rahmen von
Kernstadt-Umland-Vereinbarungen, die die weitere Zersiedlung der
Landschaft durch eine Abstimmung bei Flächenausweisungen
für Wohnen und Gewerbe vermeiden sollten, hatten nur geringen
Erfolg.
Dies ist auf die eher schwache
Institutionalisierung der Zusammenarbeit in Regionen
zurückzuführen, während die Einbindung der Kommunen
in das Entscheidungssystem des Gesamtstaates historisch gewachsen
und im Grundgesetz fest verankert ist. Daher sind die regionalen,
kooperativen Diskussions- und Entscheidungsgremien, die zum Teil
auch nicht-staatliche Akteure aus Wirtschaft und Umweltschutz
einbeziehen, weniger durchsetzungsstark. Dies gilt, obwohl
gemeinsamer Problemdruck aller Beteiligten (beispielsweise Wieder-
und Umnutzung alter Industriegebiete, Abwanderung von
Bevölkerung und Wirtschaft aus den Kernstädten) den
Anstoß zur Zusammenarbeit gab. Ein gutes Beispiel dafür
ist das Ruhrgebiet mit seiner seit Jahren etablierten Kooperation
und verbleibender, intensiver Städtekonkurrenz. Hier fallen
die von der Wissenschaft vielfach formulierten Erwartungen an
zukunftsträchtige Kooperationen und die tatsächlich
erreichten Wirkungen immer noch weit auseinander.
An die Regionen müssten
Genehmigungskompetenzen von den Städten übertragen
werden, die sich auf Investitionsvorhaben von
stadtübergreifender Bedeutung beziehen. Die kommunale
Selbstverwaltung wird dadurch nicht überflüssig, im
Gegenteil. Eine zielgenaue Förderung der quartierspezifischen
Entwicklung verlangt Entscheidungsträger, die kleinräumig
Probleme erkennen und die Wirkungen von Lösungswegen
einschätzen können.
Hiltrud Naßmacher ist Professorin
für Politikwissenschaft an der Uni Oldenburg.
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