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Rüdiger Soldt
Jenseits des Jammertals
Für die Kommunen ändert sich in diesem
Jahrzehnt fast alles
Kommunalpolitik ist auf der nationalen
politischen Bühne vor allem Lobbypolitik. Das war in den
vergangenen drei Jahren zu beobachten, als Bürgermeister
deutscher Großstädte über ihre finanziellen Probleme
diskutierten. Der Rückgang der Gewerbesteuereinnahmen und das
Scheitern einer Kommission zur Reform dieser Steuer bestimmten die
Debatte. Führende Kommunalpolitiker traten vor allem als
Bittsteller auf. Ihre immergleiche Forderung lautete: Gebt uns
wieder mehr Geld, damit es uns wieder so gut geht wie früher.
Gefordert wurde nichts anderes als der Erhalt des Status quo - in
einem Land, in dem Globalisierung, Wiedervereinigung und
Wissensgesellschaft dazu geführt haben, dass wenig so bleiben
wird, wie es ist.
Der Oberbürgermeister von Hannover
sprach von der "Ausweidung" der Kommunen durch die Bundespolitik.
Das war faktisch einerseits zutreffend und andererseits politisch
fatal: Zutreffend ist, dass die Kommunen vor der schwersten
Finanzkrise der Nachkriegszeit stehen. Ein Blick in den
Gemeindefinanzbericht 2004 zeigt es: Das Finanzierungsdefizit der
Kommunen bleibt mit 8,25 Milliarden Euro sehr hoch, die Ausgaben
für Investitionen mussten um elf Prozent gekürzt werden,
die Kassenkredite zur Finanzierung laufender Ausgaben sind weiter
auf 17,7 Milliarden gewachsen, und gleichzeitig sind die
Sozialausgaben weiter gestiegen. Dass die Reformbemühungen der
Kommunen noch nicht ausreichen, zeigt etwa die Entwicklung der
Personalkosten: Sie sind trotz Personalabbau um 1,1 Prozent
gestiegen.
Fatal an den Klagen der kommunalen
Verbandsfunktionäre - vorgetragen im Jammerton - ist jedoch
die Suggestion, wenn nur wieder Geld in die Stadtkassen komme,
werde wieder alles, wie es zu Zeiten eines prosperierenden
Wirtschaftswachstums einmal war. Stets sind die Kommunalpolitiker
in der alten Bundesrepublik treu dem Pfad der Wachstumspolitik
gefolgt. Das kommunalpolitische Rezept lautete etwa so: Investieren
wir in die Infrastruktur, dann siedeln sich neue Firmen an, der
Stadtkämmerer bekommt wieder Geld in die Kasse, und die
Politik muss diesen kommunalen Reichtum nur noch in Form von
Schwimmbädern oder neuen Kinderspielplätzen an die
Bürger verteilen. Diese Art von lokaler Verteilungspolitik hat
auch für bürgerschaftliches Engagement in den Stadt- und
Gemeinderäten gesorgt. Denn Politik ist erst interessant, wenn
es etwas zu gestalten gibt.
Nun spricht einiges dafür, dass dieser
Kreislauf kommunaler Wohlfühlpolitik für immer
durchbrochen sein könnte: Schon heute gibt es Regionen, in
denen weniger als 50 Einwohner pro Quadratkilometer wohnen. In
diesen Gegenden gibt es - wenn überhaupt - Wachstum nur bei
den aus den Sozialhaushalten der Kommunen finanzierten sozialen und
medizinischen Dienstleistungen. Den Anschluss an die urbanen
Zentren der Wissensgesellschaft werden Wittenberge oder Hoyerswerda
nicht mehr finden; der demografische Wandel wird die
ökonomischen Probleme dieser Kommunen verstärken. In
Deutschland wird es entleerte und verödete Gegenden geben, in
denen der Staat und die Kommunen die Daseinsfürsorge nicht
aufrecht erhalten werden können. Pessimistisch gesagt: Auch
die beste Infrastruktur kann diesen entlegenen Regionen nicht mehr
helfen. Selbst in bestimmten ländlichen Regionen Hessens sind
Bürgermeister heute der Auffassung, dass es statt
öffentlich unterhaltener Buslinien in 20 Jahren nur noch ein
elektronisch gesteuertes System von Sammeltaxis geben
wird.
Auch wenn sich in der
Föderalismuskommission keine Mehrheit für die Streichung
der Leitvorstellung im Grundgesetz finden mag, wonach die
"Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" in allen Landesteilen
herzustellen ist, dürfte es zunehmend schwierig werden,
Ausgaben hierfür bei knappen Haushalten im Bund, in den
Ländern sowie den Kommunen zur Verfügung zu stellen.
Dieses Leitbild kommunaler und ländlicher Entwicklung hat
heute faktisch ausgedient. Eine Entwicklung, wie sie in Bayern seit
Ende der 60er-Jahre zu beobachten war - die Transformation eines
Agrarlandes in ein Industrieland - wird sich wohl nicht wiederholen
lassen. Diese Art von Subventionspolitik hätte heute keine
politische Mehrheit mehr.
Der Geldsegen wird sich nicht wieder
einstellen. Gleichwohl werden die Aufgaben für die Kommunen
vergleichsweise anspruchsvoll werden. Einen Masterplan für
diese Zukunftsaufgaben gibt es freilich nicht, gleichwohl lassen
sich sechs kommunale Politikfelder nennen: Modernisierung der
Verwaltung, Bildung von Regionen zur interkommunalen Kooperation,
Bewältigung des demographischen Wandels, Stärkung der
Bürgerkommune und (abermals) eine Reform der Gewerbesteuer.
Der Reihe nach: Die 90er-Jahre waren für die Kommunen das
Jahrzehnt der Verwaltungsmodernisierung: Die Haushaltsführung
ist mit dem "Neuen Steuerungsmodell" und der Einführung der
kaufmännischen Buchführung verbessert worden;
Einsparpotenziale haben sich durch ein verbessertes Management von
Schulden, Zinsen und Immobilien ergeben; Ansätze zur
Verschlankung der lokalen Förderbürokratie hat es
gegeben. Kommunale Eigenbetriebe sind mit Erfolg privatisiert
worden. Doch in vielen Kommunen verursacht die Anschaffung eines
Basketballs im Wert von vier Euro weiterhin Verwaltungskosten von
14 Euro.
Die Erwartung, Geld zu sparen und die
wachsenden Probleme der Suburbanisierung in den Griff zu bekommen,
stärkt auch den Willen vieler Städte zur Bildung von
Regionalverbänden. In Niedersachsen gibt es die Region
Hannover, in Nordrhein-Westfalen haben sich die acht
größten Städte des Ruhrgebietes (Duisburg,
Mülheim an der Ruhr, Oberhausen, Essen, Gelsenkirchen, Herne,
Bochum, Dortmund) zur "Städteregion 2030" zusammengeschlossen.
Langfristig birgt diese Regionalisierung ein erhebliches
Konfliktpotential zwischen regional ko- operierenden Städten
und Landkreisen.
Die regionale Kooperation wird aber noch aus
einem anderen Grund an Bedeutung gewinnen: Der demografische Wandel
und die Schwierigkeiten bei der Integration von Bürgern mit
Migrationshintergrund wird Städte und ihre Umlandgemeinden
noch stärker zwingen, gemeinsame Antworten auf diese
Herausforderungen zu finden. Die Bevölkerungsstruktur vieler
Kommunen wird sich in den kommenden 20 Jahren radikal
verändern: "Bunter, leerer, schwieriger" - so beschreiben
Stadtsoziologen die Zukunft großer Städte. Gut
verdienende Familienväter ziehen ins Umland, in den
Innenstädten bleiben Rentner, Alleinerziehende, Arme und
Ausländer. In den meisten Städten des Ruhrgebietes werden
im Jahr 2015 etwa 40 Prozent aller Einwohner einen
Migrationshintergrund haben.
Hinzu kommt etwas anderes: Ironischerweise
nimmt die Heterogenität der Stadtbevölkerungen genau in
dem Moment zu, in dem Kommunalpolitiker - aufgrund der
Notwendigkeit von Einsparungen - immer häufiger auf die
"Stadtbürgerschaft" vertrauen. "Ein traditionelles
Stadtbürgertum, das gemeinsame Interessen und Engagement auf
die Heimatstadt richtete, könnte sich zusehends in einzelne
Gruppen mit unüberbrückbaren Interessenkonflikten
auflösen", heißt es in einer Analyse der von der
Bundesregierung finanzierten Initiative "Stadt 2030". Dennoch haben
die Kommunalverwaltungen künftig keine andere
Möglichkeit, als Bürgerengagement zu fördern und
Netzwerke bürgerschaftlicher Gruppen zu unterstützen.
Dabei sollte nicht vergessen werden, dass bürgerschaftliches
Engagement zwar Geld sparen kann; eine Kommune, die aber
überhaupt nicht zu Investitionen in der Lage ist und ihren
öffentlichen Raum der Agonie überlässt, weder auf
die Hilfe von Bürgern noch mit Nachwuchs für die Parteien
und somit auch qualifizierten Mandatsträgern rechnen
kann.
Für all diese Aufgaben - und nicht zum
Erhalt des Status quo - brauchen die Kommunen mehr (finanzielle)
Autonomie im föderalen System und, langfristig gesehen, auch
verlässliche Einnahmen. Formulierungsvorschläge für
einen ergänzten Artikel 104a des Grundgesetzes gibt es. Er
könnte lauten: "Führen die Gemeinden
(Gemeindeverbände) auf Grund eines Bundesgesetzes Recht des
Bundes oder der Europäischen Union aus, das Geld- oder
Sachleistungen vorsieht, trägt der Bund die sich daraus
ergebenden, notwendigen Ausgaben." Bei der Neufassung des Artikels
84, Absatz 1 sind sich der Bund und die Länder weitgehend
einig, den Ländern eine größere Freiheit bei der
Einrichtung von Behörden und der Bestimmung der
Verwaltungsverfahren zu geben. Davon würden auch die Kommunen
profitieren, weil es mittlerweile in allen Landesverfassungen das
Konnexitätsprinzip ("wer bestellt, muss bezahlen") gibt und es
dem Bund künftig schwerer fallen dürfte, Städten und
Kommunen neue Aufgaben aufzubürden - wie bei der Einrichtung
von Kindergartenplätzen geschehen -, ohne in ausreichendem
Maße für die Finanzierung zu sorgen. Aber bei den
Verhandlungen in der Föderalismuskommission hat sich abermals
gezeigt, dass die Kommunen unter der verfassungsrechtlichen
Schwäche leiden, keine eigenständige staatliche Ebene zu
sein: Sie haben in der Kommission kein Stimmrecht.
Gewiss nicht mehr in dieser
Legislaturperiode, aber zwischen 2006 und 2010 wird sich die Frage
nach einer Reform der Gewerbesteuer noch einmal stellen. Die
kommunalen Spitzenverbände hatten sich vehement gegen die
Abschaffung der Gewerbesteuer gewehrt, vor allem, weil sie Angst
vor einer grundlegenden Reform und weiteren Einnahmeverlusten
hatten. Die Zahl derjenigen, die ein kommunales Heberecht auf die
Körperschafts- und Einkommensteuer sowie einen höheren
Anteil der Kommunen an der Umsatzsteuer befürworten, um allzu
große Unterschiede zwischen Stadt und Umlandgemeinden
auszugleichen, ist in den vergangenen Jahren aber nicht geringer
geworden, auch in den kommunalen Spitzenverbänden. Anders
gesagt: Für die Kommunen ändert sich im ersten Jahrzehnt
des 21. Jahrhunderts fast alles. Manche sehen sich versucht, sogar
von einem Jahrhundert der Kommunen zu sprechen. Gemessen an der
Größe der Aufgaben, die von Bürgermeistern und
Gemeinderäten gelöst werden müssen, ist das
angemessen.
Rüdiger Soldt ist Redakteur der
"Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
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