Karl-Otto Sattler
Rat im Dschungel des Binnenmarkts für Kunden
jenseits der Grenzen
Europäische Verbraucherberatung in
Kehl
Seit Jahren reist der deutsche Camper nach Holland. Dort hat er
einen Dauerstandort für seinen Wohnwagen belegt. Eines Tages
wird er über eine drastische Mieterhöhung informiert, die
er aber nicht zahlen will. Bald bekommt er Post von den
Anwälten des Platzbetreibers. Doch der Camper gibt nicht klein
bei und wendet sich an die Beratungsstelle "Euro-Info-Verbraucher"
in Kehl. Deren Mitarbeiter schalten ein niederländisches
Partnerbüro ein, der Fall landet vor einer holländischen
Schiedskommission - und siehe da, die Mietsteigerung wird
spürbar reduziert. Bianca Schulz: "Das war ein großer
Erfolg für uns." Sie gehört zum zwölfköpfigen
Euro-Info-Team in der badischen Grenzstadt.
Ihr französischer Kollege Christian Tiriou berichtet
über eine andere gelungene Intervention. Während eines
Aufenthalts an einer Pariser Uni mietet ein deutscher Student eine
Wohnung. Nach seiner Rückkehr erstattet der Wohnungsgeber auch
nach zwei Monaten noch nicht die Kaution zurück. Der junge
Mann schreibt mehrere Mahnungen nach Paris, vergeblich. Dann nimmt
sich Euro-Info der Angelegenheit an. Tiriou: "Wir haben einen Brief
an den Vermieter geschickt, dann wurde die Kaution
überwiesen."
Beliebt ist bei Franzosen der Kauf deutscher Gebrauchtwagen. Da
zieht es viele Elsässer und Lothringer in die deutsche
Nachbarschaft, um günstig ein deutsches Fabrikat zu erstehen.
"Aber es gibt selbst Leute in Marseille", erzählt Bianca
Schulz, "die erwerben über das Internet ein Auto in Hamburg
und holen es dort ab". Doch was ist, wenn das Vehikel bereits auf
der Rückfahrt nach dem Kauf einen Motorschaden hat und der
neue Besitzer bei einer Werkstatt in Frankreich eine Reparatur
vornehmen lässt? Gerade bei Autos aus zweiter Hand "sind
Reklamationen sehr kompliziert", erläutern Schulz und Tiriou:
Das deutsche und das französische Gewährleistungsrecht
unterscheiden sich deutlich. Darf der Käufer, ein Beispiel,
Reparaturen in Auftrag geben und dann dem Veräußerer in
Rechnung stellen?
Fast 8.000 Anfragen von Franzosen, Deutschen und Bürgern
aus anderen EU-Staaten werden jährlich bei Euro-Info
bearbeitet. Seit Gründung der von der
baden-württembergischen Verbraucherzentrale und der
elsässischen Konsumentenkammer getragenen Einrichtung im Jahr
1993 landeten rund 70.000 Fälle auf ihren Tischen. Beim Start
hatte Euro-Info drei Beschäftigte, jetzt sind es zwölf.
Martine Mérigeau: "Uns wird die Arbeit in Europa nicht
ausgehen". Für Verbraucher, sagt die Direktorin, "gibt es seit
der Einführung des EU-Binnenmarkts und des Euro eigentlich
keine Grenzen mehr". Eigentlich: "Aber wenn man in den Alltag
eintaucht, stößt man im Detail auf immer neue Grenzen",
weiß die Französin. Wer zum Beispiel bei seinem
elsässischen Winzer eine Kiste Riesling kauft, um diese mit
nach Deutschland zu nehmen, hat kein Problem. Der Versand via
Internet ist aber wegen der französischen Steuergesetzgebung
äußerst schwierig.
Zunächst fungierte Euro-Info als klassische
Verbraucherberatung. Vorwiegend Deutsche und Franzosen, die im
Ausland beim Hauskauf, bei Mietverträgen, bei Arztbesuchen
oder sonstigen Waren, gegenüber Banken, beim Abschluss von
Versicherungen oder bei anderen Geschäften mit Problemen zu
kämpfen hatten, gehörten zur Stammkundschaft. Das
läuft auch heute noch so: Man gibt Tipps, vermittelt zwischen
Einkäufern und Verkäufern, publiziert Leitfäden zum
Shopping, zum Anmieten von Wohnungen oder zum Kauf von Immobilien
jenseits der Grenze. Ein enormer Andrang deutscher Interessenten
herrscht bei den Sprechstunden zum Hauserwerb in Frankreich.
In nunmehr zwölf Jahren hat sich eines nicht
verändert: "Deutsche kommen zu uns, um sich zu informieren,
Franzosen, um zu reklamieren?", resümiert Mérigeau. Das
hat damit zu tun, dass hierzulande die Beratung einen enormen
Stellenwert hat und der "mündige Verbraucher" hochgehalten
wird - und dass links des Rheins den Konsumenten mehr gesetzlich
verbriefte Rechte als in Deutschland zustehen.
Streitschlichtung ohne Gerichte
Inzwischen beherbergt Euro-Info auch die "Clearingstelle
Deutschland", die sich um außergerichtliche Streitbeilegung
mit Hilfe von Schiedsstellen und Schlichtungskommissionen
kümmert: An dieses Büro können sich alle Bürger
zwischen Ostsee und Hoch-rhein wenden, die auf diese Weise auf die
Durchsetzung ihrer Rechte als Verbraucher im Ausland hoffen. Doch
auch für Bewohner anderer EU-Staaten, die mit solchen
Schwierigkeiten in der Bundesrepublik konfrontiert sind, steht die
Beratungsstelle offen.
Jedes EU-Land richtet ein solches Büro ein. Was als kleine
europäische Revolution gelten darf: Bei Euro-Info in Kehl,
also auf deutschem Territorium, residiert neuerdings die für
ganz Frankreich zuständige Clearingstelle. Die Bewohner
zwischen Nizza und Ärmelkanal können eine eigens nach
Kehl geschaltete französische Telefonnummer anwählen -
zum Inlandstarif.
Prozesse führt Euro-Info nicht. Beratungen,
Vermittlungsdienste und die Anrufung von Schlichtungskommissionen
sollen den Gang vor Justitias Schranken möglichst vermeiden.
Kommt es aber doch dazu, müssen die Konsumenten in eigener
Verantwortung vor Gericht ziehen.
Bei zwei Dritteln aller Anfragen in Kehl dreht es sich um
informatorische Auskünfte. Bei den restlichen Fällen
werden die Mitarbeiter aktiv, schreiben Briefe, greifen zum
Telefon, schalten Schiedsstellen ein. Christian Tiriou: "Bei
über 60 Prozent solcher Konfliktsituationen erzielen wir
Erfolge im Interesse der Verbraucher".
Als diffizil erweisen sich Streitfälle im Zuge der
wachsenden Zahl von Internetgeschäften. Viele Ausländer
ordern in Deutschland online per Vorkasse Waren. Besonders
Franzosen schätzen den Versandverkauf, Schweden ordern
traditionell preisgünstige Elektroprodukte im Versandhandel.
Melden sich Konsumenten aus anderen Staaten in Kehl, weil die Waren
schadhaft sind oder gar nicht geliefert wurden, stellen sich
knifflige Fragen: War das Produkt von Anfang an fehlerhaft oder ist
gar die Transportfirma für Probleme verantwortlich?
Es sind freilich nicht nur rechtliche Stolpersteine, die den
Motor des Binnenmarkts stottern lassen. So wundert sich Martine
Mérigeau, dass Deutsche kaum neue Autos in Frankreich kaufen,
die dort teilweise um bis zu zehn Prozent billiger sein
können. Offenbar werden bürokratische Schwierigkeiten bei
der hiesigen Zulassung befürchtet, obwohl dies wesentlich
vereinfacht worden ist. Die Euro-Info-Direktorin weiß, dass es
bis zu einem wirklichen einheitlichen Binnenmarkt noch viel zu tun
gibt: "Da gibt es eine Grenze im Kopf".
Info: www.euroinfo-kehl.com
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