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Detlev Lücke
Aufgekehrt...
Der Führer lebt. Dieser Satz weckte beim Nachkriegskind
manche Fragen. Es vernahm ihn am Kaffeetisch der Großeltern,
die die Nachricht vielleicht gerade von den Nachbarn erfahren
hatten. Haben Sie schon gehört, der Führer soll in
Lateinamerika sein, Bolivien vielleicht, Argentinien oder Uruguay?
Es gab ja noch kein Fernsehen, mit Zeitungen sah es auch eher mau
aus. Die zuverlässigste Quelle war die Latrinenparole. Es
musste sich auch nicht immer um den Führer handeln, manchmal
klingelte nur ein Unbekannter an der Tür und sagte, dass er
unseren Vater in russischer Kriegsgefangenschaft gesehen habe. "Ihr
Mann lebt." Die Mutter gab ihm ein paar Zigaretten als Honorar.
Heute gelten andere Preise, der Führer lebt noch immer, und
manche Zeitgenossen recht gut von ihm. Gerade teilen uns die
Agenturen mit, dass Hitlers "Mein Kampf" wieder ins Programm des
türkischen Verlages "Mefisto" (!) aufgenommen wurde. Oguz
Tektas von "Mefisto" informiert, dass jährlich rund 20.000
Exemplare von der unseligen Schwarte verkauft werden, die sich
vielleicht auf türkisch weniger fad liest. Aber Tektas sagt
wenigstens die Wahrheit, wenn er mitteilt, dass der Verlag nur ein
Ziel hat: "Geld machen."
Diese Ehrlichkeit kommt anderswo nicht so recht rüber.
Eichingers und Hirschbiegels Film "Der Untergang" dürfte auch
ordentlich Kohle eingespielt haben. Wollte doch schließlich
fast jeder Deutsche mal sehen, wie es so "in echt" im
Führerbunker ausgesehen hat. Der Führer lebt. Und wie!
Man hört, Adolf habe auf seinem Nachttisch ein Foto von Bruno
Ganz stehen. Warum nicht? Vielleicht liest er ja auch ein Hamburger
Nachrichtenmagazin, das ihn drei bis viermal jährlich als
Covergirl auferstehen lässt. In der Maske Harald Schmidts
ließ er uns neulich per ARD wissen, dass es nicht gut sei,
rechts zu sein. Ein Urteil aus berufenem Munde. Gerade erst hat die
Stadt Lindau Hitlers Ehrenbürgerschaft gestrichen. Dort lebt
der Führer also ab sofort nicht mehr. Ist ja auch erst 60
Jahre her, dass ihm sein Leibkoch die letzten Spaghetti kochte.
Apropos Personal. Dieser Tage erschien "Das Buch Hitler" im
Lübbe-Verlag. Wer sich an dem biblisch klingenden Titel
stört, dem sei mitgeteilt, dass es sich um die "Erinnerungen"
von Hitlers Kammerdiener Heinz Linge und seinen persönlichen
Adjutanten Otto Günsche handelt. Sie wurden im Auftrag
Stalins, der sich nach dem Krieg auch nicht so ganz sicher war, ob
der Führer noch lebte, dazu gezwungen, im Russenknast
aufzuschreiben, wie ihr Chef so war. Sie sollen beim Schreiben
sogar mehrmals ausgepeitscht worden sein. Dieses Antriebs braucht
es bei den Autoren der heutigen Hitler-Schwemme offensichtlich
nicht. Über die letzten Tage des Führers habe es bisher
eine unbefriedigende Aktenlage (Kritik am "Untergang"?) gegeben,
sagen Historiker. Jetzt falle durch Linge und Günsche neues
Licht auf Hitlers Einsatz für den Bau von Gaskammern und sein
Verhältnis zu Eva Braun, wie der Mitherausgeber
verkündet. Der Untergang als Übergang als
Börsengang.
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