Klaus Hellmann
Einstieg wie bei Fremdsprachen
Erfahrungen im Deutschunterricht
Friedrich Schiller - ein Auslaufmodell für die Schule?
Vielenorts wird diese Frage gerade in diesem Jahr wieder von vielen
Kennern, Bekennern und Skeptikern gestellt. Bis zur großen
Bildungsreform Ende der 60er- und Anfang der 70er-Jahre war diese
Frage tabu. Es war nachgerade selbstverständlich, Schüler
und Schülerinnen aller Klassen an Gymnasien und den anderen
weiterführenden Schulen mit dem Schatz seiner Balladen, Dramen
und Prosaschriften zu konfrontieren.
Die Beschäftigung mit seinen Werken geriet bisweilen zur
Qual. Denkt man an das Auswendiglernen von langen Balladen wie "Die
Bürgschaft" oder "Der Taucher". Auch die Behandlung des
"Wilhelm Tell" in der Klassenstufe 8 führte nicht selten zum
so genannten "Tell-Komplex", will heißen, dem Zögling
wurde dieser Dichter für die weitere Schulzeit oder gar das
weitere Leben zum "poetus non gratus".
Nach der Bildungsreform schlug das Pendel extrem um; man
verbannte oder reduzierte die Klassiker in vielen Lehrplänen
der Kultushoheitlichen Länder. Als Praktiker der letzten 40
Jahre habe ich mir die Frage nach dem Sinn und der Effizienz einer
Begegnung mit dem Dichter und Denker immer wieder gestellt und
komme dabei heut zu folgendem Schluss:
Die exemplarische Behandlung von Schillerschen Werken in den
Schulen ist unverzichtbar. Das gilt für alle Klassiker, auch
für die der eigentlich klassischen Kunstperiode nachfolgenden
Dichter und Schriftsteller wie Georg Büchner, Heinrich Heine,
Gerhart Hauptmann, Thomas Mann, Heinrich Mann, Bertolt Brecht,
Rainer Maria Rilke und Ingeborg Bachmann. Keine unserer
europäischen Nachbarnationen käme auch nur im
Entferntesten auf die Idee, große Dichter und Dichterinnen
ihrer klassischen Epoche zu verdrängen.
Die Schülerinnen und Schüler sollten beim Blick in die
Vergangenheit erkennen, was die Dichter der
Humanitätsphilosophie vor 200 Jahren Europa und der Welt mit
ihren Werken vermittelten, bevor das Land der Dichter und Denker
zum Land der Richter und Henker wurde. Eine der wenigen
Möglichkeiten, ungestraft gegen das Regime zu demonstrieren,
war, minutenlanger Beifall dem Marquis von Posa zu zollen, der
seinen König auffordert: "Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!"
(Don Carlos). Um festzuhalten: 1749 wurde Goethe, 1759 Schiller
geboren - es dauerte genau 200 Jahre, bis ihre Ideen der Freiheit
und Menschlichkeit in Deutschland 1949 in einer dauerhaften
Demokratie verwirklicht wurden.
Spannend ist nach wie vor die Betrachtung der eindrucksvollen
Balladen von Schiller in den Klassen 6 und 7 im Sinne der
Darstellung menschlicher Grundsituationen und Werte. Dasselbe gilt
für die Behandlung der Dramen in den Klassen 9 und 10 sowie in
der differenzierten Oberstufe: Dabei sollte man sich nicht
abschrecken lassen von der Tatsache, dass die Lernenden der
Schillerschen Sprache anfangs wie einer Fremdsprache
gegenüberstehen. Sie verstehen zunächst weder Semantik
noch Grammatik dieser Sprachgewalt und müssen sich einlesen
wie etwa Germanistikstudenten in die alt- und mittelhochdeutsche
Sprache.
Aber dieses Einlesen gelingt nach meinen Erfahrungen und weckt
Neugier nach neuen Horizonten und anderen Werken. Mit Sicherheit
wird es Zeiten geben, in denen man zu den Klassiker-Texten
regelrechte Übersetzungen beilegen wird. Übersetzungen in
unsere oft verkümmerte Neusprache - warum nicht? Zu Hilfe
kommt das theatralische Element: Die Werke Schillers stehen und
standen zu allen Zeiten auf den Spielplänen deutscher
Bühnen. Dort versucht jede Generation aufs Neue, sich den
Gehalt der Werke auch mit modernen Mitteln anzueignen.
Theaterbesuche sind voll "In" wie es heute heißt.
Zuletzt darf nicht vergessen werden, dass Schiller auch aus der
historisch-politischen Bildung unserer Jugend nicht wegzudenken
ist. Schuf er nicht den freiheitsliebenden Schweizern mit dem Tell
einen Nationalhelden? Und wie wären der "Geist von Weimar" und
der erste Versuch einer demokratischen Kultur in Deutschland ohne
Idealisten Schiller zu verstehen?
Auch nach 200 Jahren ist die Konfrontation deutscher
Schülerinnen und Schüler mit den Werken Schillers nicht
nur erwünscht, sondern dringend geboten, hat er doch mit Mut
und Genialität vorzeitig für die Ideale gekämpft und
geschrieben, die am Anfang unserer Nationalhymne stehen: "Einigkeit
und Recht und Freiheit". Die Devise für kommende Zeiten muss
lauten: Schlag nach bei Schiller!
Der Autor ist Studiendirektor am Gymnasium in Hochdahl bei
Düsseldorf.
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