Frank Druffner und Martin Schalhorn
Äußerst rentable
"Mäusegeschäfte"
Die große Gedächtnisausstellung
für Schiller in Marbach
Am 9. Mai 1805 um 17.45 Uhr stirbt Friedrich Schiller in Weimar.
Einen Tag später seziert man den Leichnam und stellt fest,
dass fast jedes innere Organ angegriffen ist. "Bey diesen
Umständen muß man sich wundern, wie der arme Mann so
lange hat leben können", schreibt der Arzt in seinen
Obduktionsbericht. Von diesem Satz aus ist es nur ein kleiner
Schritt zur Vermutung der Zeitgenossen, Schiller habe zuletzt nur
mehr durch die Kraft des Gedankens gelebt: Die Legende vom
idealischen Geistwesen ist geboren, sie prägt das Schillerbild
bis heute.
Wie kein anderer Dichter wird Schiller postum zu einer
Zentralfigur der deutschen Nationalkultur. Durch Ausklammerung,
Reduktion oder Imagination seiner historischen Persönlichkeit
wird er für beinahe alle und jede gesellschaftlichen und
politischen Vorstellungen verfügbar. Als Freiheitsdichter
begleitet er 1848/49 die liberalen und demokratischen Kräfte,
als Nationaldichter wird er zum Garanten der deutschen Einheit
gegen die Napoleonischen Besetzungen. Später schreckte man
nicht davor zurück, ihn zum "Kampfgenossen Hitlers" zu
ernennen. Nach 1945 zerfällt das Bild in einen ost- und einen
westdeutschen Schiller. Jener ist der fortschrittliche Denker, der
manche Aspekte der gesellschaftlichen Entwicklung im Sinne der
marxistischen Prognosen in seinen Werken vorweggenommen hat. Dieser
verliert in der nach Leitbildern suchenden demokratischen
Gesellschaft seine Rolle als Integrationsfigur.
Heute ist, so scheint es, allein der mit vagen Vorstellungen
besetzte Markenname "Schiller" übrig geblieben. Schillers
Popularität hat in den vergangenen Jahrzehnten stark
nachgelassen: Sein Name taugt weder als patriotisches Signal noch
als politische oder ästhetische Meinungskundgebung. In der
Literaturwissenschaft sind derzeit Goethe, Kleist und Büchner,
Hölderlin, Trakl oder Celan die Galionsfiguren. Allein das
Theater wahrt Schiller die Treue: Nach wie vor gehören seine
Stücke zum festen Repertoire.
Ob man diesen Verfall seiner Größe beklagen muss? Ob
man es angesichts der immer wieder aufbrechenden Debatte um den
,richtigen' Nationalfeiertag der Deutschen bedauern soll, dass die
Nation nie wieder so geschlossen im Gedenken an Schiller
zusammenkommen wird wie 1859? Mit dem Verlust des Symbolstatus hat
die einstige Vorstellung ihre schützende und
imprägnierende Hülle verloren. An diesem Punkt setzt die
Ausstellung "Götterpläne & Mäusegeschäfte.
Schiller 1759 - 1805" des Schiller-Nationalmuseums in Marbach im
200. Todesjahr des Dichters an.
Sie zeigt den historischen Schiller mit seinen Plänen,
Vorstellungen und Wünschen auf der einen und seinem
mühsamen und lästigen Tagesgeschäft auf der anderen
Seite. Das Motto entstammt Schillers dramatischem Erstling "Die
Räuber": "Bruder - ich habe die Menschen gesehen, ihre
Bienensorgen, und ihre Riesenprojekte - ihre Götterpläne
und ihre Mäusegeschäfte, das wunderseltsame Wettrennen
nach Glükseligkeit …". Schiller steht am Anfang seiner
eigenen Lebensbahn, in der er seine "Götterpläne"
realisieren möchte. Die "Mäusegeschäfte", der
mühselige Alltag als Schriftsteller, Hausvater oder
akademischer Lehrer, erweisen sich rasch als Kehrseite der
Medaille.
Zwischen diesen "Mäusegeschäften" und
"Götterplänen" spannt sich Schillers Biographie. Planend
und kalkulierend wägt er sein Leben lang "Riesenprojekte" und
"Bienensorgen", geistige und materielle Bedürfnisse
gegeneinander ab. Dabei zeigt sich, dass Idealismus und
Pragmatismus einander nicht widersprechen müssen: Unter den
Bedingungen des Alltags finden sie zusammen. Auch dies zeigt die
Ausstellung.
Wer war Friedrich Schiller, wie und wovon hat er gelebt? Die
Ausstellung versteht sich als ein Schaufenster, in dem Spuren
dieses Lebens gezeigt werden. Wie die bunten Glassplitter eines
Kaleidoskops mit jedem Dreh ihre Lage verändern und sich zu
neuen Bildern fügen, können auch die Hinterlassenschaften
Schillers in verschiedenen Kombinationen präsentiert werden.
Die Ausstellung arrangiert sie in thematischen Einheiten, die, mit
Schillers Tod beginnend, Ausblicke auf verschiedene Facetten seines
Lebens eröffnen: auf seine Karriere, sein literarisches
Schaffen, sein Verhältnis zur Gesellschaft und zu Freunden,
auf Familie und Haushalt, auf seine Reisen und auf sein
Sterben.
Schon zu Lebzeiten wird Schiller geehrt - durch die Verleihung
von Titeln, die Aufnahme in gelehrte Gesellschaften und
schließlich durch die Erhebung in den Adelsstand. Doch welchen
Nutzen können sie bringen, wenn sie mit keinerlei finanziellen
Vorteilen verbunden sind? Sie werden zu symbolischem Kapital
umgemünzt, denn ihr Prestigewert ist hoch. Wie Goethe
betrachtet Schiller Ehrenurkunden als "barometrische Anzeigen der
öffentlichen Meinung". Er nutzt sie für Werbezwecke,
indem er in Zeitungen über ihre Verleihung berichten
lässt und so seinen Namen publik macht. Das ist Arbeit am
eigenen Image.
Zu diesem Image gehört natürlich die Existenz als
Schriftsteller, als freier Autor zumal. Wie kann man um 1800 vom
Schreiben leben? Zunächst mehr schlecht als recht, doch mit
den fortwährend gesammelten Erfahrungen im Umgang mit Medien,
Verlegern und dem lesenden Publikum rücken bei Schiller
Schreiben und Ökonomie zusammen. Schiller arbeitet
marktorientiert: sein ständiger Vorrat an Ideen und Stoffen
und sein Gespür für aktuelle Bedürfnisse lassen
Texte entstehen, die auf das Interesse der verschiedenen
Lesergruppen stoßen. Gleichzeitig arbeitet Schiller durch
Selbstrezensionen, Teilenthüllungen der eigenen Biografie und
gezielte Nachrichtenstreuung am öffentlichen Bild der eigenen
Person, die durch eine Art Starkult schon zu Lebzeiten zum Mythos
wird.
Es ist eine Grundfrage des Schriftstellerdaseins, mit welchem
Aufwand ein literarisches Produkt gewinnversprechend realisiert
werden kann. Bevor Schiller mit dem ersten Satz eines neuen Werkes
beginnt, hat er längst überschlagen, durch welchen
Einsatz von Zeit und Fantasie er ein bestimmtes Resultat erzielen
kann. Pragmatisch bestimmt er sein Verhältnis zum Werk nicht
nur als ein ästhetisches, sondern auch als ein
ökonomisches: Es muss eben immer auch eine verkäufliche
Ware sein.
Die Ökonomie des Arbeitens bestimmt die Ökonomie des
Alltags. Seine Einkünfte und Ausgaben überschlägt er
und etatisiert so den Alltag eines Dichters nach den Posten "Ich
brauche - ich empfange". Was er durch die Investition von
Fleiß, Talent und Erfindungsgabe empfängt, also
erwirtschaftet, fließt in seine Haushaltsführung ein.
Jede Gewinnsteigerung und jede Erhöhung des Honorarsatzes
bedeutet eine Verbesserung des Lebensstandards.
Das Verhältnis zwischen Schreiben und Leben ist keineswegs
einseitig dominiert: auch das Leben bestimmt existentiell die
Bedingungen des Schreibens. Am deutlichsten sichtbar wird dies,
wenn Schillers Gesundheit zum Maßstab der eigenen Pläne
gemacht wird. Wenigstens bis zu seinem 50. Lebensjahr will er seine
geistige Kraft erhalten, um die Existenz seiner Kinder zu sichern.
Auch wenn der Tod dreieinhalb Jahre zu früh kommt: gute
Verträge mit Verlegern und das wohlwollende Andenken der
Theater sichern den Hinterbliebenen hohe Gewinne. Am Ende haben
sich die Mäusegeschäfte gelohnt, auch wenn nicht alle
Götterpläne realisiert werden konnten.
Aus der Fülle des Überlieferten präsentiert die
Ausstellung eine Auswahl hochrangiger Exponate. Alle Arten der
Überlieferung sind vertreten: Briefe, Manuskripte und
Gedrucktes, Kunst- und Alltagsgegenstände, Bildnisse und
Skulpturen. Erstmals können Stücke aus den beiden
großen Nachlassbeständen in Weimar und Marbach zusammen
gezeigt werden.
Dabei will und kann die Ausstellung nicht "den ganzen Schiller"
vorstellen. Sie möchte auch nicht ein neues Bild Schillers
entwerfen. Ihr Ziel ist es, Neugier zu wecken und Lust darauf zu
machen, sich mit seiner Person zu beschäftigen - mit ihrer
Individualität und mit typischen Erscheinungen ihrer Zeit.
Denn der Verfall einer literarisch-politischen Symbolfigur bedeutet
manches, nur nicht: den Tod des Autors.
Die beiden Autoren arbeiten als Literaturwissenschaftler und
Ausstellungsexperten in Marbach, wo sie die große Marbacher
Schiller-Ausstellung vorbereitet haben. Die Austellung wird
später auch noch in Weimar gezeigt.
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