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Kirsten Jüngling
Eine imaginäre "Ménage à trois"
über den Tod des Dichters hinaus
Schillers Liebe zu den
Lengefeld-Schwestern
Aber bei diesem Mannheim fällt mir ein, daß ihr mir
doch manche Thorheit zu verzeyen habt, die ich zwar vor der Zeit,
eh wir uns kannten, begieng, aber doch begieng! Nicht ohne
Beschämung würde ich Euch auf dem Schauplatz herum
wandeln sehen, wo ich als ein armer Thor, mit einer miserablen
Leidenschaft im Busen, herumgewandelt bin." Was immer den Dichter
bewogen haben mochte, Mannheim aus der Liste möglicher
Wohnorte für sich und seine beiden Lieben zu streichen,
Charlotte, die Braut, war entschlossen, es zu ignorieren:
"Erwähne nicht mehr, mein Lieber, von dem was Dir sonst
begegnete, was Dir vielleicht keine angenehmen Erinnerungen giebt
..."
Caroline, ebenfalls Adressatin des Briefes, wie es sich für
eine geplante "Ménage à trois" gehört, schwieg dazu.
Die Phantasie der unglücklich Verheirateten mochte weiter
reichen als die ihrer jüngeren Schwester, die lediglich mit
der Erfahrung einer heftigen, aber vergeblichen Schwärmerei
für einen Schotten in die Ehe mit Schiller gehen
würde.
Dessen "Éducation sentimentale" war turbulent verlaufen.
Als Schiller mit 21 Jahren die Militärakademie verließ,
kannte er Frauen nur als Mütter oder Schwestern. Umstandslos
machte er sich daran, das zu ändern. Auf körperliche
Schönheit kam es ihm dabei nicht an, und sein Umgang mit
garstigen Weibern waren seinen Jugendfreunden Beweise für
mangelndes Feingefühl im Sinnlichen. Ein paar Sprünge mit
Soldatenweibern, auch "en compagnie", habe es gegeben und, zur Not,
unbändige Imagination, die aus seiner Hauswirtin, "einem wie
an Geist so an Gestalt gänzlich verwahrlosten Weibe, einer
wahren Mumie" die Laura seiner Gedichte machte.
Das war noch in Stuttgart. Und die Mannheimer "Thorheiten"?
Dachte Schiller da an begehrte Schauspielerinnen? An Karoline
Ziegler, Katharina Baumann, Sophie Albrecht? Oder an gescheiterte
Versuche, eine ganz junge Frau zur Frau zu nehmen wie
beispielsweise Margarete Schwan? Oder doch an die eine, die - das
war neu für ihn - sah, dass mehr in diesem schlaksigen,
steifen, uneleganten Menschen steckte, die sich an roten Haaren,
Sommersprossen, spitzer Nase und dünnen Lippen nicht
störte und erkannte, dass dieser Friedrich Schiller, wenn auch
unangenehm kreischend, etwas zu sagen hatte?
Charlotte von Kalb war 22, unglücklich verheiratet, im
fünften Monat schwanger. Sie wurde seine Mentorin in
mehrfacher Hinsicht. Die Beziehung zu ihr überstand einen
Fluchtversuch des Dichters und dessen weitere mehr oder weniger
ernst gemeinten Anläufe, sich vernünftig - will sagen mit
einer reichen oder doch wenigstens braven, jedenfalls seiner Arbeit
förderliche Frau - zu verheiraten: "Eine Frau, die ein
vorzügliches Wesen ist, macht mich nicht glücklich oder
ich habe mich nie gekannt", wusste der Achtundzwanzigjährige,
und: "Bei einer ewigen Verbindung, die ich eingehen soll, darf
Leidenschaft nicht seyn."
Das hinderte ihn nicht, sich romantischen Vorstellungen von
einer Dreiecksbeziehung hinzugeben, denn Herr von Kalb blieb ihm
gewogen, auch noch als er von des Dichters Beziehung zu seiner Frau
wusste. Zwei entschlossene Schwestern schafften es dann doch,
Schiller aus der Verbindung mit Frau von Kalb zu lösen, dabei
Unfeinheiten nicht scheuend.
Caroline, verheiratete von Beulwitz, und Charlotte waren die
einzigen Töchter des hochangesehenen Carl Christoph von
Lengefeld, Jägermeister des Fürsten von
Schwarzburg-Rudolstadt. Zwölf und neun Jahre alt waren die
Mädchen, als der Vater starb und die finanzielle und
gesellschaftliche Basis ihrer Existenz weitgehend zerbrach. Die
Rettungsversuche der Mutter - sie drängte Caroline zur Heirat
mit einem Mann aus etablierter Familie, versuchte mit Hilfe der
Goethe-Freundin Frau von Stein Charlotte als Hofdame nach Weimar zu
bringen und ging schließlich selbst zur finanziellen
Absicherung als Prinzessinnen-Erzieherin ans heimische
Fürstenhaus - prägten die Töchter: sie wurden
kritische, selbständige junge Frauen mit einer
ausgeprägten Sehnsucht nach einem irgendwie besonderen
Leben.
Da sie zwar klug und auch gebildet waren, aber nicht schön
und auch nicht mehr wohlhabend, war nur eine dem Zeitgeist
entsprechende romantische Erfüllung dieser Sehnsucht denkbar.
Sie kam am 6. Dezember 1787 in Gestalt zweier Reiter. Wilhelm von
Wolzogen - er würde Carolines zweiter Ehemann werden - wollte
seinem Freund Friedrich Schiller seine klugen Cousinen
vorführen. Diese erfassten sofort, dass diese neue
Bekanntschaft geeignet war, sie ganz nach ihrem Geschmack zu
zerstreuen, wie sie auch Schiller nicht mehr aus dem Kopf gingen!
Als er und Charlotte in Weimar auf einer Faschingsveranstaltung
einander wiedersahen, als sie sich bis in den Frühling hinein
trafen, festigte sich ihre Bekanntschaft so, dass Schiller
beschloss, den Sommer auf dem Lande in ihrer Nähe zu
verbringen.
Und diesen Sommer wussten die Schwestern wohl zu gestalten:
Schlichte ländliche Feste im Wechsel mit anspruchsvollen,
Französisch-Assembléen, zu denen Caroline als Frau von
Beulwitz bei schönem Wetter in den Garten bat: in den
"englischen" ihrer Mutter, wo der Holunder duftete und ein
großes Gartenhaus zur Not Obdach bot, oder in den um den
verschachtelten Gebäudekomplex in der Neuen Straße, wo
Eglantinen und Centifolien über strenge Buchseinfassungen
wucherten. Dort, in gemieteten Räumen, wohnten Caroline mit
Ehemann und Charlotte mit Mutter.
Von dort aus konnten sie übers freie Feld sehen, wenn ihnen
der Freund von seinem Sommerwohnort Volkstedt aus entgegen kam.
Dann gingen sie ihm bis zu einer kleinen Brücke, die über
den Waldbach Schaale führte, entgegen. Beide. Denn inzwischen
hatte Schiller sich von Caroline fesseln lassen, von ihrer Begabung
für intellektuelle und erotische Abenteuer. Und so wanderten
die drei durch die sommerlichen Fluren, Schiller und Caroline ins
Gespräch vertieft, Charlotte fast immer einen Schritt
hinterdrein. Schweigend.
Und doch sollte die jüngere der Lengefeld-Schwestern
entscheiden, ob es zu der von Schiller ersehnten Ménage à
trois kommen konnte. Leicht war sie dazu nicht zu bewegen; ihr Ziel
war, den Mann für sich allein zu haben. Doch akzeptierte sie
den Umweg, den ein günstiges Geschick den Dreien wies. Das
kommende Jahr schenkte Freiheiten: Die Mutter lebte als Erzieherin
der Prinzessinnen im fürstlichen Schloss, Beulwitz war mit den
Prinzen auf Grand Tour. Caroline und Charlotte waren allein -
während Professor Schiller in den Semesterferien seine Jenaer
Wohnung zunächst mit dem alten Volkstädter Domizil und
dann mit einem Zimmer ganz in der Nähe der Schwestern
vertauschte.
Er besuchte sie, als beide in Bad Lauchstädt kurten. Da war
das Verhältnis schon so weit gediehen, dass Caroline ihm die
Idee schmackhaft machen konnte, Charlotte zu heiraten, um so mit
seiner Doppelliebe leben zu können. In Mannheim oder anderswo.
Es blieb dann bei Jena und bald bei Charlotte als der einzigen. Die
hatte darum gekämpft und, armiert durch ihren Status als
Ehefrau, gewonnen.
Gut ein Jahr konnte sie diesen Sieg genießen und hatte
Schiller für sich alleine - während Caroline einen
anderen ausprobierte, Dalberg, den Kirchenfürsten, keinen Mann
zum Heiraten also. Dann war klar: die junge Ehefrau war an einen
Schwerkranken gefesselt. Diese Herausforderung bestand sie
glänzend, zwei Söhne und zwei Töchter rundeten das
Bild einer gelungenen Verbindung ab. Doch Caroline konnte nie
vergessen, dass es ihrer Bereitschaft zum Verzicht zu verdanken
war, dass Charlotte den Umgang mit einem Schiller genießen
durfte.
"Hast Du ihn nie Caroline küssen sehen und dann Lotten?"
fragte einst Wilhelm von Humboldt seine mit den Schwestern
befreundete Braut. "Schiller hat seine Lage, sein schweres,
vielleicht einziges Verhältnis gegen beide ganz durchschaut.
Ich habe mich bei seinem Hiersein davon überzeugt. Carolinens
Ruhe gründet sich auf die Zufriedenheit, das Glück ihrer
Schwester ..." war ihr Eindruck. Der wohl trog. "Elle a
commencé à coucher avec Schiller, et plus tard avec
Dalberg", so Alexander Humboldt.
Und dann wieder Schiller, "denn dass Schiller in solchem Betreff
nicht eben streng war, ist genugsam bekannt, und Frau von Wolzogen
machte sich schwerlich ein Gewissen aus einer Untreue, in der sie
sogar eine Art Berechtigung sehen konnte", urteilte ein anderer
Beobachter, Rahel Varnhagens Mann. Carolines Sohn hatte
tatsächlich mehrere mögliche Väter - von Wolzogen,
der offizielle, zählt nicht dazu.
In der Sterbestunde Schillers am 9. Mai 1805 waren beide
Schwestern - angeblich, denn es mögen auch zwei Bedienstete
gewesen sein - zugegen. Charlotte wollte noch einen letzten Kuss
von ihm empfangen haben, während Caroline, ihm ein
wärmendes Kissen um die erkaltenden Füße legend, auf
ihre Frage, wie es ihm gehe, "Immer besser, immer heitrer" als
Antwort erinnerte unmittelbar bevor er verschied. Charlotte
würde es künftig nicht ungern sehen, wenn sie als
legitime Schiller-Witwe verehrt wurde, während Caroline ihn
auf eigene Weise in ihr weiteres Leben einbezog: als seine
Biografin.
Die Literaturwissenschaftlerin Kirsten Jüngling arbeitet
als freie Publizistin in Köln. Unter dem Titel "Schillers
Doppelliebe", erschienen im Propyläen-Verlag, hat sie zusammen
mit Brigitte Rossbeck diese "Ménage à trois" ebenso
ausführlich wie amüsant beschrieben.
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